Film

Kinostart: "The Zone of Interest" zeigt die Banalität des Bösen

Jonathan Glazer zeichnet das Familienleben des KZ-Kommandanten Rudolf Höß nach. Er berichtet dabei vom Holocaust, ohne dessen Grauen explizit zu zeigen. In den Hauptrollen glänzen Christian Friedel und Sandra Hüller

Von 
Gebhard Hölzl
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Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in einer Filmszene. Der Streifen kommt am 29. Februar in die deutschen Kinos. © picture alliance/dpa/Leonine

Lang, schmerzhaft lang, ist der Filmtitel zu lesen: „The Zone of Interest“. Dann verschwindet, verblasst, der Schriftzug. Die Leinwand wird dunkel. Sphärische, an den Nerven zerrende Musik, komponiert von Mica Levi („Jackie: Die First Lady“), erklingt. Vogelgezwitscher mischt sich unter die Noten. Dann endlich erscheint das erste Bild: eine pastorale Idylle. Ein strahlender Sommertag. Eine Auenlandschaft am Fluss. Eine Handvoll Erwachsener verbringt mit ihren Kindern einen ausgelassenen Tag. Spät nachmittags wird zusammengepackt. Durchs Unterholz zu den geparkten Autos spaziert. In ihnen nach Hause gefahren.

Eine Eröffnungssequenz von unglaublicher Sogkraft. Irritierend. Schwer fassbar. Ein mit extremem Stilwillen umgesetztes Drama, darunter Farbwechsel, einmontierte schwarze und rote Tafeln sowie Negativfilmszenen. Markenzeichen des Briten Jonathan Glazer, von dem so unterschiedliche Arbeiten wie „Sexy Beast“, „Under the Skin - Tödliche Verführung“ oder „The Birth“ stammen. Für sein aktuelles Werk, in Cannes uraufgeführt und mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, hat er sich vom gleichnamigen Buch seines 2023 verstorbenen Landsmannes Martin Amis inspirieren lassen, das Skript selbst zu Papier gebracht. Er beleuchtet die Schrecken des Holocaust aus der Perspektive von Rudolf Höß, Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, und dessen Frau Hedwig.

Anlehnung an Hannah Arendt

Um die von Hannah Arendt konstatierte „Banalität des Bösen“ geht es, die Bürokratie des Todes. Die von Adolf Hitler propagierte „Endlösung“, die systematische Ermordung aller Juden. Gespiegelt im Bilderbuchheim der Familie Höß. Vater, Mutter, fünf Kinder. Mauer an Mauer mit dem Vernichtungslager führt man ein privilegiertes Leben. „Rudi“ (Christian Friedel) feiert Geburtstag. Hedwig (Sandra Hüller) hat ihm ein schnittiges Ruderboot geschenkt. Der Nachwuchs streitet, wer zuerst paddeln darf. Die Untergebenen treten an, gratulieren dem vorgesetzten SS-Obersturmbannführer. Bekunden ihre Loyalität.

(Albtraum-)Alltag. Höß besteigt mit auf Hochglanz gewienerten Stiefeln sein Pferd und reitet durchs Tor zur Arbeit. Hedwig, das Haar akkurat zur Gretchenfrisur geflochten, kümmert sich derweil um den Haushalt. Befehligt das Personal, schlüpft in den Nerzmantel, der für sie abgegeben wurde. Drückt ihn dem Dienstmädchen in die Hand, um ihn reinigen und den Saum frisch einfassen zu lassen. Die Dialoge sind sparsam, primär nur Gesprächsfetzen zu hören. Beispielsweise wie verwildert der Garten einst ausgesehen hat, wie frostig kalt es im Winter in den Räumen war, ehe man eine Zentralheizung installieren ließ.

Doch nun kann man es sich endlich gut gehen lassen, wie Hedwig ihrer angereisten Mutter Linna (Imogen Kogge) erzählt. Das Gewächshaus zeigt sie ihr, erläutert, das quengelnde Baby im Arm, die Namen der schön erblühten Blumen - eingefangen in gestochen scharfen Detailaufnahmen von Lukasz Zal („Ida“) - ehe man am kleinen Pool mit seiner Holzrutsche in den Liegestuhl sinkt. Trügerischer Frieden. Denn jenseits der mit Stacheldraht bewehrten Grundstücksgrenze rauchen die Schlote des Krematoriums, blasen unentwegt menschliche Asche in die Luft. Als einziger sichtbarer Beweis der stattfindenden Shoah. Man sieht sie nicht. Hört sie nur. Hundegebell, Schläge, Schmerzensschreie, Schüsse...

Oscar-Anwärter: Deutsche Produktion überzeugt mit beeindruckendem Produktionsdesign

Das Tondesign ist passend zum Soundtrack markerschütternd. Ebenso wie die beiläufig angesprochenen Gräuel, die vom nationalsozialistischen Terror zeugen. Zwei Architekten suchen Höß auf, unterbreiten ihm ihre Pläne zum Bau einer ringförmigen Gaskammer, bei der Dauerbetrieb möglich ist, während Linna sich ihrer Tochter gegenüber beklagt, dass man ihr die schönen Vorhänge ihrer von der Gestapo verhafteten Nachbarin vor der Nase weggeschnappt hat. Man ist Gefangener im faschistischen „Schöner Wohnen“-Ambiente, wird Zeuge ehelicher Untreue und Lügen, dem Fehlen jeglichen Gewissens.

Sandra Hüller

  • Seit ihrem Auftritt in „Toni Erdmann“ gehört sie zu den Stars des heimischen Films: Sandra Hüller. Sie wurde 1978 in Suhl, Thüringen, geboren wuchs in Oberhof und Friedrichroda auf.
  • Nach dem Abitur studierte sie von 1996 bis 2000 an derHochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, war von 1999 bis 2001 Ensemblemitglied im Theaterhaus Jena. Weitere engagements folgten, darunter an den Münchner Kammerspielen und im Schauspielhaus Bochum, während der Zeit mehrfach – etwa als „Theaterschauspielerin des Jahres“ – ausgezeichnet.
  • Ihren Leinwanddurchbruch schaffte sie 2006 als Exorzismus-Opfer in Hans-Christian Schmids Drama „Requiem“, belohnt mit dem Bayerischen und dem Deutschen Filmpreis sowie einem Silbernen Berlinale-Bären.
  • Bemerkenswerte Auftritte absolvierte die Aktrice, die fließend Englisch und Französisch spricht, zudem in „Anonyma – Eine Frau in Berlin“, Jessica Hausners „Amour Fou“, neben Elyas M’Barek in „Fack ju Göhte 3“ oder zuletzt – Oscar-nominiert – in Justine Triets „Anatomie eines Falls“.
  • 2017 wurde sie in die Berliner Akademie der Künste aufgenommen, 2019 in die Berlinale-Jury berufen. Mit Tochter und Lebensgefährten lebt sie in Leipzig und Bochum.

Erschreckend perfekt füllen Friedel („Das weiße Band“) und Hüller („Anatomie eines Falls“) ihre fordernden Rollen. Kalt, regungslos, ohne Empathie. Überzeugt auf der „richtigen“ Seite zu stehen. An polnischen Originalschauplätzen - inklusive Aufnahmen von Putzkräften, die im Hier und Heute das zum Museum umgestaltete Vernichtungslager säubern - wurde in deutscher Sprache gedreht, das grandiose Produktionsdesign verantwortete Chris Oddy („’71: Hinter feindlichen Linien“). Der Oscar als bester internationaler Film scheint gesetzt, selbst wenn man hierzulande Wim Wenders für „Perfect Days“ und Ilker Çatak für „Das Lehrerzimmer“ die Daumen drückt.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

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