Die Kunsthalle Mannheim zeigt eine spektakuläre Jeff-Wall-Ausstellung. Im Vorfeld der Eröffnung am Freitagabend beantwortete der kanadische Fotokünstler dieser Zeitung einige Fragen zu sich und seinem Werk.
Mister Wall, Sie eröffnen mit Ihrer Schau die Kunsthalle. Wie ist Ihr Eindruck von dem Gebäude?
Jeff Wall: Es ist recht hübsch. Ich hatte zwar noch nicht die Zeit, alles zu sehen, aber ich bin sehr glücklich darüber, wie mein Werk hier gezeigt wird. Es sind eine Menge Dinge, die eine Schau gelungen machen. Die Proportionen sind gut, das Licht ist schön, die Architektur sehr einfach.
Sie zeigen 30 Bilder. Haben Sie ein Lieblingswerk?
Wall: Nein. Diese Bilder sind so groß. Manche sind besser, andere weniger. Künstler kritisieren sich immer selbst. Meine Einschätzung ändert sich auch im Verlauf der Zeit. Es wäre nicht möglich, etwas hervorzuheben.
Es gibt nur 200 Bilder von Ihnen. Manche sagen, Sie seien der langsamste Fotograf der Welt…
Wall: (lacht) … das ist möglich, aber für mich ist es ein Vollzeitjob, und: Ich könnte sehr schnell sein, aber ich will nicht. Und ich muss nicht. So kann ich arbeiten, wie ich will. Und das, was ich am Ende zeige, entsteht aus diesem langen Prozess. Ich bin sehr glücklich, nicht hetzen zu müssen.
Wie kamen Sie zu Kunst und Fotografie? Kam die Kunst zu Ihnen?
Wall: Die Kunst kam zu mir, ja. Meine Eltern hatten Kunstbücher. Sie wollten die Menschen mit Kunst und Musik erziehen. Das war der Geist der 1950er, -60er Jahre. Das war eine großartige, leider aus der Mode gekommene Idee. So sah ich Rembrandt, Picasso und andere schon als Kind.
Menschen durch Kultur verbessern zu wollen, ist Humanismus …
Wall: … ja, das war eine sehr gute Phase, und ich habe viel gemalt damals. In den späten 1960ern hat sich das geändert. Aber mich hat das fasziniert, deswegen habe ich auch Kunstgeschichte studiert, obwohl ich nie Kunsthistoriker werden wollte.
Sie sagen oft, wie sehr Kunst, Literatur und Film Sie inspirieren. Was ist mit der Musik?
Wall: Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich Alltagsgeräusche der Musik vorziehe. Musik bewegt mich nicht, das ist eine Beschränkung in mir. Ich höre schon Musik, kann sie auch bewundern. Aber sie kann tyrannisieren, sie beherrscht die Zeit und die Umgebung. Man ist ihr ausgeliefert. Es ist eines meiner Probleme. (lacht)
Wie kamen Sie eigentlich darauf, die großen Lichtboxen zu machen?
Wall: In den 1970ern haben wir Fotografen mit großen Formaten und Farben experimentiert. Ich war unzufrieden: Ich wollte einen Weg finden, ein Bild groß zu machen, mochte aber große Drucke nicht. Deswegen habe ich es mit Transparenz versucht, wie die Werbung. Ich habe ein paar Sachen gemacht und mochte das. Im großen Format haben sie wie die Malerei eine Bedeutung angenommen, die es zuvor nicht gab. Ich mag das lebensgroße Format. Die Dinge werden zum Phänomen wie das Meer, die Welt, das wird für mich physisch.
Sie zeigen oft einsame traurige Menschen. Ist das auch eine Form eines sozialen, politischen Statements? Und wo bleibt der Humor?
Wall: Humor markiert für mich oft eine geringere Ambition. Das ist für mich weniger attraktiv. Komik schon eher. Aber ich suche meine Motive nicht aus. Ich bin so.
Und Ihr Bild hier in der Ausstellung „Listener“ (Der Zuhörer) ist nicht politisch motiviert?
Wall: Doch, aber nicht konkret. Jedes Bild ist politisch. Ich will meinen Bildern nichts hinzufügen. Im „Zuhörer“ geht es ums Opfer, ums Gefangensein. In den Medien sehen Sie immer wieder Opfer, von einer Gruppe verurteilt. Sie werden an einen Ort gebracht, auf den Boden geworfen, und meistens ist das das Ende für sie. In diesem Moment ist die Diskussion vorbei, niemand hört dem „Listener“ zu, deswegen diese Dramaturgie.
Wollen Sie ganz gezielt das 19. Jahrhundert thematisieren, weil die Moderne es ausgespart hat?
Wall: Die Moderne ist kompliziert, die Avantgarde wollte nichts mit der Vergangenheit zu tun haben. Es gab für mich nie einen Grund, zu sagen, dass dies der einzige Weg sei.
Mit Kunstkritiker Michael Fried gefragt: Warum ist Fotografie als Kunst so bedeutend wie nie zuvor?
Wall: In der Tafelbildform hat Fried eine Art Verpflichtung zum Viktorianischen gesehen, er sah Parallelen, die er mochte. Ich glaube, er sah bei manchen Fotografen einfach eine aus der vergangenen Kunst herrührende Kontinuität. Für mich ist das so. Es ist wie aktuelle Malerei.
Wie würde da Friedrich Hegels Theorie vom Ende der Kunst hineinpassen?
Wall: (lacht) Gute Frage. Das ist die Bedingung, nur so können wir heute Kunst machen. Vielleicht ist Evolution nur so möglich. Viktorianische Kunst ändert sich vor dem Hintergrund der Abstraktion. Deswegen ist die Mannheimer Sammlung auch so interessant, weil sie so viele interessante figurative Werke versammelt und mit abstrakter Kunst konfrontiert. Deswegen bin ich auch so glücklich, meine Schau hier zu zeigen.
Jeff Wall und die Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim
- Der Künstler: Jeff Wall ist 1946 in Vancouver geboren. Dem kanadischen Fotokünstler wird eine Schlüsselrolle zugeschrieben, Fotografie als eigene Kunstform etabliert zu haben. 2002 erhielt er den Internationalen Preis für Fotografie (Hasselblad Foundation Award). Besonders seine Großformate haben die Düsseldorfer Schule um Andreas Gursky geprägt.
- Die Ausstellung: Bis 9. September zeigt die Kunsthalle 30 Werke. Neben Dialeuchtkästen und Schwarz-Weiß-Fotografien werden auch Walls farbige C-Prints ausgestellt.
- Die Öffnungszeiten: Di-So und Feiertage 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 10-22 Uhr (ab 18 Uhr Eintritt frei).
- Der Kontakt: 0621/2 93 64 23. (dms)
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/kultur_artikel,-kultur-jeff-wall-die-kunsthalle-ist-recht-huebsch-_arid,1259375.html