Das Thema ist virulent wie eh und je, auch wenn es gerade vom Krieg in Nahost etwas in den Hintergrund gedrängt wird: Migration – und wie damit umgehen. Eine „Festung Europa“ fordern längst nicht mehr nur die vereinten europäischen Rechten, längst sprechen sich Teile der bürgerlichen Lager um Bundeskanzler Friedrich Merz, Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Alexander Dobrindt – er hat schon als Verkehrs- und Infrastruktur-Minister gelinde ausgedrückt wenig klug agiert – für ein hartes Vorgehen gegen Flüchtende aus. Auch wenn weite Teile der Bevölkerung dies missbilligen. Einmal ganz davon abgesehen, dass die avisierten beziehungsweise bereits umgesetzten Maßnahmen dem EU-Recht schlichtweg widersprechen.
Fakt bleibt jedoch, dass es schwierig ist, eine für alle Parteien tragfähige Lösung zu finden. Ist Integration möglich? Funktioniert sie überhaupt? Wo liegen die Probleme?
Im Kino hat man sich des Sujets bereits vielfach angenommen. Agnieszka Holland etwa in ihrem Drama „Green Border“ (2023), das die Flüchtlingskrise an der Grenze zwischen Belarus und Polen beleuchtet, oder Simon Verhoeven mit seinem pointierten Spaß „Willkommen bei den Hartmanns“, 2016 mit knapp vier Millionen Besuchern der erfolgreichste heimische Film des Jahres.
Nun greift Regisseurin Julie Delpy („Die Gräfin“), als Schauspielerin und Autorin aus Richard Linklaters „Before“-Zyklus bekannt, mit „Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne“ in die filmische Diskussion ein. In die fiktive bretonischen Kleinstadt Paimpont geht es nach dem von ihr, Matthieu Rumani („Joint Venture“) und Nicolas Slomka („Culte“) verfassten Skript. Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Auch wenn die Einwohner nicht unterschiedlicher sein könnten, eint sie der Stolz auf ihren Zusammenhalt und ihre Nächstenliebe.
Unerwarteter Empfang und kulturelle Missverständnisse
Als Zeichen der Solidarität stimmt die Gemeinde begeistert dafür, eine aus der Ukraine geflüchtete Familie bei sich aufzunehmen. Auf dem Marktplatz haben sie sich versammelt, um sie zu empfangen. Die ukrainische Flagge wird geschwenkt, für einen musikalischen Gruß ist gesorgt. Als jedoch anstatt der erwarteten Ukrainer die sieben Fayads aus Syrien eintreffen, ist die Überraschung bei den vermeintlich weltoffenen Bürgern groß. Ein Kamerateam ist zudem vor Ort, um fürs Lokalfernsehen eine Dokumentation über die Neuankömmlinge zu drehen. Film im Film. Ein cleverer Kunstgriff, der es der Filmemacherin ermöglicht, immer wieder einzelnen Figuren in den Fokus zu rücken und so deren Wertewelt zu beschreiben.
Beispielsweise sie selbst als empathische, als vorgebliche „Lesbe“ verschriene Lehrerin Joëlle, ihre beste Freundin Anne (Sandrine Kiberlain), die mit ihrem mit der Metzgerin fremdgehenden Pfennigfuchser-Ehemann (Mathieu Demy) einen kleinen Supermarkt betreibt und ihren Kummer im Lagerraum mit Alkohol ertränkt, der trotzköpfige „linke“ Biobauer Yves, gespielt von Delpys Papa Albert, oder der ultra-reaktionäre Klempner Hervé (Laurent Lafitte).
Julie Delpy – vielseitige Kosmopolitin
- Julie Delpy, Tochter des französischen Schauspielerpaars Albert Delpy und Marie Pillet , stand als Fünfjährige erstmals auf der Bühne.
- Die 1969 geborene Pariserin absolvierte ein Regiestudium an der Filmhochschule von New York und wurde im Alter von 16 Jahren von Jean-Luc Godard für eine kleine Rolle in „Détective“ besetzt.
- 1987 und 1988 wurde sie für ihre Auftritte in „Die Nacht ist jung“ beziehungsweise „Die Leidenschaft der Beatrice“ für einen César als beste Nachwuchsdarstellerin nominiert , zwei Oscar-Nominierungen für ihr jeweils (co-)adaptiertes Drehbuch gab es für „Before Sunset“ (2004) und „Before Midnight“ (2013). Mit Regisseur Richard Linklater und Co-Star Ethan Hawke drehte sie zudem „Before Sunrise“ (1995), weitere namhafte Produktionen, in denen sie mitwirkte, sind „Hitlerjunge Salomon“, Volker Schlöndorffs „Homo Faber“, Krzysztof Kieslowskis „Drei Farben: Weiß“, Roger Avarys „Killing Zoe“ oder das Marvel-Epos „Avengers: Age of Ultron“.
- Das Multitalent hat zwei Tonträger , „Julie Delpy“ und „Die Gräfin“, eingespielt, bislang bei acht Spielfilmen Regie geführt, darunter „Zwei Tage Paris“ und „My Zoe“.
- Von 2004 bis 2013 war die Kosmopolitin, die in Los Angeles lebt , mit dem deutschen Filmkomponisten Marc Streitenfeld liiert, der Beziehung entstammt Sohn Leo (*2009). geh
Auf der anderen Seite stehen die vermeintlichen „Barbaren“ – „Les barbares déhors“, also „Barbaren raus!“, steht bald als Graffito auf dem Haus der Fayads zu lesen. Vater Marwan (Ziad Bakri), ein Architekt, seine Schwester, Ärztin Louna (Dalia Naous), die in einem Bombenangriff ihr Bein verloren hat, seine Frau Alma (Rita Hayek) und deren aufgeweckte Teenagerkinder sowie Großvater Hassan (Fares Helou), der sich als versierter Koch erweist und es wagt, die Crêpes – „ähnlich wie syrische Atayef“ – im Gasthaus zu bemängeln: „Fett und viel zu matschig“. „So machen wir sie in der Bretagne“, kontert die Wirtin. „Wir nehmen viel Butter!“
Die eigenwilligen Figuren sind ideal besetzt
Ein intellektuelle, aufgeschlossene Familie, die für reichlich Aufregung sorgt – im positiven wie im negativen Sinn. Satirischer Culture Clash, aufbereitet in sechs Kapiteln. Eine prototypische Versuchsanordnung mit zahlreichen Klischees, die nötig sind, um zu erklären, wie es zu zunächst zu den Anfeindungen und schließlich zur Aussöhnung – nicht zuletzt durch die öffentlich Aufführung eines privaten Videos über die Gräuel in Baschar al-Assads Syrien – kommt. Wortwitz und Slapstick – Anne prügelt mit einer Wurst auf ihren Gatten ein – sind geboten, hochaktuell und mit genauem Blick wird auf menschliche Schwächen wie Vorurteile und fehlende Toleranz hingewiesen, dabei werden die eigenwilligen, ideal besetzten Figuren, alle mit eigenen Ecken und Kanten, niemals diffamiert.
Ein Plädoyer für Menschlichkeit und friedliche Koexistenz, das die französischen Werte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ beschwört. Wobei der Ortssheriff – von Joëlle als „police, but nice police“, sprich „guter Polizist“, vorgestellt – anmerkt, kein „Macron“ zu sprechen.
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