Interview zum Buga-Ende

Buga-Kulturchef: „Sombrero-Entscheidung war sorgfältig abgewogen“

Fabian Burstein war für Tausende Veranstaltungen auf der Bundesgartenschau verantwortlich - auch für den Streit um Kostüme wie Kimonos einer Laientanzgruppe. Ein Bilanzgespräch mit dem Manager zum Ende der Buga

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
Ist unter dem Strich mit seinem Programm zufrieden: der Leiter des Veranstaltungsprogramms der Buga, Fabian Burstein, im Hof der U-Halle. © Stefan M. Dettlinger

Herr Burstein, sind Sie jetzt müde?

Fabian Burstein: Ja. Aber auch glücklich und stolz. Und dann ist da noch ein bisschen Wehmut.

Wie viele Veranstaltungen haben Sie auf der Buga gewuppt?

Burstein: Wir sind gerade dabei, alle Programmschienen auszuwerten. Es dürften am Ende mehr als 6000 Veranstaltungen gewesen sein. Quer durch alle Genres: Pop, Tanz, Klassik, Musical, Lesungen, Workshops, Theater, Sport und vieles mehr.

Also wir haben jedenfalls den Überblick verloren. Sie auch?

Burstein: Ein ehrliches Nein. Aber ich gebe zu, dass es gerade in den ersten Wochen sehr herausfordernd war. Wir haben kein spielfertiges Haus bezogen, sondern einen vollwertigen Kulturbetrieb von Grund auf neu hochgezogen. Da braucht es schon ein bisschen Zeit, bis sich Routinen festigen. Unsere Produktionsleiter haben da einen überragenden Job gemacht.

Zur Person: Fabian Burstein

  • Fabian Burstein: 1982 in Wien geboren, studierte er Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Er schrieb Romane und Sachbücher.
  • Kulturmanager: Seit Jahren lebt er vor allem in der Region, wo er zuletzt das Kulturbüro Ludwigshafen leitete. Nach der Zeit als Verantwortlicher fürs Buga-Programm geht er nach Wien zur Familie zurück und leitet weiter die Geschäfte der Wiener Psychoanalytischen Akademie.

 

Bei wie vielen der 6000 Veranstaltungen waren Sie physisch vor Ort?

Burstein: Es waren so viele, dass ich es unmöglich an einer Zahl festmachen kann. Jetzt haben Sie mich doch dabei erwischt, wie ich den Überblick verliere.

(Lacht) Dann können Sie vermutlich auch nicht sagen, welche aus Ihrer Sicht die gelungenste war?

Burstein: Wir Kulturmanager sollten uns davor hüten, uns selbst das Attribut „gelungen“ umzuhängen. Ich kann aber sagen, welche Produktionen mich besonders berührt und stolz gemacht haben. Dazu gehört die Uraufführung „Rhizom“ von Konstantin Gropper, Ziggy Has Ardeur und dem Haifa Symphony Orchestra zum Auftakt - damit haben wir die Kategorie Buga-Eröffnung sicherlich auf ein neues Level gehoben. Bei Samuel Kochs musikalischem Rilke-Abend haben ich und viele andere Tränen in den Augen gehabt und mit „Conversio“ von Philipp Morlock ist ein originäres Konversionsdenkmal ganz ohne Pathos entstanden. Für mich zählt vor allem das Gesamtbild: Es gibt einen breiten Konsens, dass wir Mannheim eine einzigartige Kultur-Buga beschert haben.

Jetzt für MM+ Abonnenten: Das E-Paper am Sonntag



Für MM+ Abonnenten: Lesen Sie kostenfrei unser E-Paper am Sonntag - mit allem Wichtigen aus Mannheim und der Region, dem aktuellen Sport vom Wochenende sowie interessanten Verbraucher-Tipps und Reportagen. Das Geschehen in Deutschland und der Welt ordnen unsere Korrespondenten für Sie ein.

Hier geht es zum E-Paper - ab dem frühen Sonntagmorgen für Sie verfügbar

Sie haben noch kein MM+ Abo? Dann sichern Sie sich den MM+ Kennenlernmonat  

Konsens von wem?

Burstein: Ein Konsens unter den Besucherinnen, immerhin mehr als zwei Millionen. Das Lebenskunst-Programm war einer der Hauptbesuchsgründe.

Ist bei Ihnen Kritik angekommen? Draußen hat man, wenn man Kritik vernommen hat, meist gehört: zu viel und zu unübersichtlich …

Burstein: Klar kam Kritik bei mir an – ich verschanze mich nicht hinter anonymen Sammel-Emailadressen. „Zu viel“ war da eigentlich nie das Thema. „Zu unübersichtlich“ schon hie und da – also wird da was dran sein. Eigentlich schade, dass wir 2024 nicht noch einen Durchgang machen, dann könnten wir da nachbessern. Das ist der Nachteil des Projektgeschäfts: Das Weiterentwicklungspotenzial endet abrupt am Tag der Abschlussveranstaltung.

Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?

Burstein: Konzeptionell haben wir mit unseren Eigenproduktionen und den starken regionalen Bezügen eine Punktlandung hingelegt. Man denke nur an den Sensationserfolg des Joy Fleming Musicals. Hätte ich eine zweite Spielzeit, würde ich das Thema Musiktheater wohl noch vielfältiger spielen. Und ich würde uns mehr Schienen wie den Buga Jazz Club oder das Pop-Roulette zutrauen – solche Fixpunkte haben die Menschen euphorisch angenommen.

Mehr zum Thema

Pop-Interview

BUGA-Musiker Gropper und Has Ardeur: "Wir waren künstlerisch komplett frei"

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren

Sie wollten ja auch Buga-Kultur für alle. Haben Sie – im Rückblick – doch jemanden vergessen?

Burstein: Sie treiben mich diesmal ganz schön über den Abgrund (lacht). Ich denke, wir haben das Format Bundesgartenschau sperrangelweit geöffnet. Das sieht man zum Beispiel am enormen Zuspruch in der jungen Bevölkerung, aber auch an den starken Positionen, die von der queeren Community ausgegangen sind. Ob das Kulturpublikum zu 100 Prozent dem Antlitz einer postmigrantischen Gesellschaft entsprochen hat? Hier bin ich mir nicht ganz sicher … da würde es sich definitiv lohnen, noch mal genauer hinzusehen und gegebenenfalls weitere Strategien zu entwickeln.

(lacht) Sie wissen, welche Frage ich nun stellen werde, oder?

Burstein: Ich habe eine leise Vorahnung, in welche Richtung es gehen könnte …

Ich muss leider die Kimonos und Sombreros ansprechen.

Burstein: Nur zu.

Stehen Sie nach wie vor zur Entscheidung, den Damen vom AWO-Ballett ihre getanzte Weltreise in Kostümen auf der Buga zu verbieten?

Burstein: Ich habe den Damen ihre getanzte Weltreise in Kostümen nicht verboten, sondern im Rahmen meiner kuratorischen Verantwortung Änderungen gefordert. Dazu stehe ich einhundertprozentig. Mit meinem Resümee zu der Causa kann man vermutlich keine Schlagzeilen mehr machen: Wir sind angetreten, um die großen gesellschaftlichen Themen zu verhandeln. Das schafft man nicht, wenn man sich als Verantwortlicher vor potenziell kontroversen Entscheidungen drückt. Die Debatte haben wir ja nicht erfunden – sie ist längst Teil eines breiten Aushandlungsprozesses.

Sie haben keinen Moment an Ihrer Entscheidung gezweifelt?

Burstein: Meine Entscheidung war, anders als viele Reaktionen darauf, kein Affekt, sondern Resultat einer sorgfältigen Abwägung. Habe ich darüber nachgedacht, wie man eine solche mediale Eskalation hätte vermeiden können? Natürlich. Habe ich an der grundständigen Richtigkeit gezweifelt, bei diesem Thema konsequent Sensibilität einzufordern? Nein. Kunstministerin Theresa Olschowski hat sich zu dem Thema im Interview mit Ihnen sehr differenziert geäußert und auch die unterschiedlichen Dilemmas der Verantwortung gut auf den Punkt gebracht. Wenn wir im Rahmen eines Veranstaltungsprogramms Themen anfassen, die das Identitätsbewusstsein von Menschen betreffen, ist das eine sehr herausfordernde Rolle, in der man aufgrund der aufgeheizten Gesamtstimmung gefühlt viel falsch und wenig richtig machen kann. Wir dürfen uns von diesem Missverhältnis aber nicht abschrecken lassen, wenn es darum geht, heiße Eisen anzufassen. Nur so werden wir als Gesellschaft langfristig wachsen.

Beim Chorfestival haben wir geschätzt 5000 Besucher gezählt. Wie beurteilen Sie insgesamt den Schwerpunkt auf die Chöre auf der Bundesgartenschau?

Burstein: Das Thema Chöre lag mir sehr am Herzen, weshalb wir bereits im Frühjahr 2021 begonnen haben, mit Tristan Meister eine eigene Programmschiene zu entwickeln. Wir waren hier nicht nur in der Veranstalterrolle, haben Chöre auch bei der Song-Auswahl oder bei der Nachwuchsarbeit unterstützt. Mit dem Chorfestival und der Plattform „Mannheimer Morgen“ hat das noch einmal eine ganz andere Öffentlichkeit bekommen. Es wäre toll, wenn es für das Chorfestival 2024 weitergeht – das war eine große Bereicherung.

Chöre haben uns verunsichert kontaktiert und gefragt: Dürfen wir jetzt überhaupt noch Gospels singen? Was sagen Sie?

Burstein: Ich verweise in solchen Fällen gerne auf Interviews des deutschen Reggae-Musiker Gentleman, der sehr unaufgeregt und gut nachvollziehbar über diese Themen spricht. Es steht und fällt mit der Haltung – wie eigentlich bei jedem Auftritt auf einer öffentlichen Bühne. Ist eine vernünftige Auseinandersetzung mit einer kulturellen Ausdrucksform erkennbar, ist das eine Bereicherung. Geht es um schlichte Imitation von Bevölkerungsgruppen, im schlimmsten Fall anhand von Klischees, ist das kritisch zu betrachten. Das ist im Übrigen kein abgeschlossenes Schema. Kultur ist Beziehung und an einer Beziehung muss man ständig arbeiten.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen