Bayreuth. Quer durchs Land, von Flensburg bis Füssen, von Gelsenkirchen bis Görlitz und vielleicht ja sogar von Bad Bergzabern bis Buchen, hört man das weinerliche Leidklagen und die Unkenrufe. Der Kultur, ja, der Kunst gehe es an den Kragen, ist aus der Szene zu vernehmen – mancherorts mehr und laut, etwa in Berlin, andernorts weniger und nur hinter vorgehaltener Hand, etwa in Mannheim. Doch Bayreuth fordert: „Wir möchten unser Education-Programm ausbauen, aber dazu brauchen wir mehr Geld“, sagt Festivalchefin Katharina Wagner unlängst auf der Pressekonferenz kurz vor Beginn der Ausgabe 2025. Dem Wagner-Festival und seinem rund 30 Millionen Euro schweren Jahresetat muss man aber auch zugutehalten: Nur gut ein Drittel (35 Prozent) sind Steuergelder, die Bund, Bayern, Bayreuth und Oberfranken aufbringen.
Von Krise auf unserer Welt im Dauerkrisenmodus ist auf dem Grünen Hügel kurz vor Beginn des Spektakels nichts zu hören? Obwohl Wagner noch vor Wochen „mehr Geld“ gefordert hat, aktuell den Festivalchor von 134 auf 80 Mitglieder ergo um 40 Prozent verkleinert und, wie Geschäftsführer Ulrich Jagels bestätigt, für das laufende Jahr nicht mal alle Karten (für „Tristan“, „Parsifal“ und „Ring“) verkauft sind? Zur Erinnerung: Noch vor zehn Jahren sollen die Bayreuther Festspiele laut Bayreuther Festspiele hoffnungslos und über Jahrzehnte bis zu zehnfach überbucht gewesen sein. Der hier demografisch interpretierte Satz, ein bisschen Schwund sei immer, reicht da zur Erklärung nicht mehr aus.
Doch Wunder: 2024 wurde ein Überschuss von 2,7 Millionen Euro erwirtschaftet, die Rücklagen belaufen sich aktuell auf 6,8 Millionen Euro. Man habe beim Verkauf der (nebenbei: immer teurer werdenden und bis zu rund 400 Euro kostenden) Tickets zulegen können, so Jagels, und so schon die Teams der Zukunft (2027 bis 2029) engagieren können.
Es bleibt in jedem Fall: die Location und ihr Genius loci
Wer dann aber bekanntgibt, dass 2026, wenn die Festspiele 150 Jahre alt werden, ein einmaliger „Ring des Nibelungen“ gezeigt werden soll, bei dem Marcus Lobbes mit dem „Ring 10010110“ (?) zwar 150 Jahre „Ring“-Geschichte erzählen will, dies alles aber (sparsam) ohne nennenswerte Kulissen, dafür aber, ähnlich wie Mannheims Nationaltheater mit den White-Wall-Projekten in der Corona-Zeit, als KI-gesteuerte Bilder- und Erlebnis-Flut, stimmt dann aber doch noch auf sehr defensive Weise in den omnipräsenten Krisen-Lamento-Chor mit ein - zumal mit Wagners Frühwerk „Rienzi“, erstmals im Festspielhaus zu erleben, eine Oper koproduziert wird, die danach noch an anderen Häusern zu erleben sein wird. Wo bleibt da noch der Exklusivitätsanspruch!
Es bleibt ja in jedem Fall die Location und ihr Genius loci, Richard Wagner, Größenwahnsinniger, Antisemit, Genie? Seine ursprüngliche Idee, die Festspiele privatwirtschaftlich zu betreiben, erwies sich schon in den Gründerjahren als nicht zukunftsfähig. Erst mit dem 1953 erfolgten Bekenntnis der öffentlichen Hand zu den Bayreuther Festspielen ist seitdem die alljährliche Durchführung abgesichert. Er wollte ja auch - wie der kommunistische Avantgardist Luigi Nono - Kunst fürs Volk schaffen, ein Festival, das sich jeder leisten kann. Am Einsturz dieses Traums arbeitet die öffentliche Hand gerade landauf, landab mit riesigen Abrissbirnen mit - als könnte man durch Einsparungen beim Minimalposten Kultur die vielen Milliarden Steuermindereinnahmen reinholen, die wiederum andere zu verantworten haben. Freiwillige Leistungen sind Kulturinvestitionen, aber sie tragen ja (demokratisch) dazu bei, dass nicht nur Reiche und Superreiche in den (laut Politikerreden ach so wichtigen) Genuss von Theater, Musik und Kunst kommen.
Immerhin spenden die Bayreuther Festspiele seit Jahren eine freiwillige Leistung fürs Volk: das Festspiel-Open-Air am Grünen Hügel, das auch in diesem Jahr wieder bei ziemlich gutem Wetter zwischen Wein, Leib und Gesang allerlei Gratis-Wagner parat hatte, oder, wie es die ständige Bayreuther Moderatorenvertretung Axel Brüggemann (mit Hans Sachs aus den „Meistersingern“) ausdrückt: „Wahn, Wahn! Überall Wahn!“
Beethovens Nr. 1-Hit „Ta-ta-ta-taaa“ erklingt auch
Zwischen Gershwins keckem „Girl Cracy“ und Beethovens von Pablo Heras-Casado in einem Affentempo dirigierten Nr.1-Hit „Ta-ta-ta-taaa“ fühlt sich der alte Richard zwar nicht so ganz wohl. Selbst in seiner komischsten Oper ist der heilige Ernst stets zu spüren. Aber die Leute, jung und alt, schick und shabby, heimisch und fremd, gehen mit - und Brüggemann, wie er durch die picknickende Masse schlendert und mit Berlinern und Bayreuthern schnackt, erinnert mit lockerem Sound schon fast an beste Gottschalk-Zeiten bei „Wetten dass..?“ - nur war Gottschalk origineller gekleidet.
Egal. Allem Krisengetöse zum Trotz ist Bayreuth immer noch gut fürs gesellschaftliche Parkett, als Bühne für staatliche Repräsentationskultur. Zur Premiere kommen wieder Amtsträger, die zuvor nicht unbedingt durch Wagner-Liebe glänzten: Bundeskanzler Friedrich Merz etwa oder sein kulturpessimistisch-konservativer Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, der das Abendland in der Krise sieht (aus der nur die Renaissance des Christentums helfen könnte?). Immerhin gibt es hier einen Wagner-Link. Der „Parsifal“ ist ähnlich deutbar.
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