Medizin

Wie KI gegen den Ärztemangel hilft

Die Künstliche Intelligenz ersetzt vor allem zeitraubende Tätigkeiten. Bisher ist sie in den Arztpraxen aber wenig verbreitet. Eterno Health will das ändern.

Von 
Wolfgang Mulke
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Mit dem Einsatz der KI können Arztpraxen Geld sparen. © Christian Charisius/dpa

Berlin. Berlin. Auf den ersten Blick sieht hier nichts nach einer Arztpraxis aus. Am Empfangstresen erkundigen sich zwei Helferinnen nach dem Anliegen des Besuchers. Nebenan erinnert ein mit Stühlen und Sesseln ausgestatteter Raum mit Bar eher an eine Cafeteria als an ein Wartezimmer beim Arzt. Und doch finden hier bis zu 18 Arztpraxen Platz zum Arbeiten. Das Konzept der Software-Schmiede Eterno Health ist noch neu.

Das Unternehmen vermietet Räume an freischaffende Ärzte. Im Preis inbegriffen sind die medizinische Ausstattung und das Personal am Empfang und alles andere für den Betrieb. Zwischen 2000 Euro und 10.000 Euro bezahlen die Mediziner für diese Dienstleistung, die in anderen Branchen als Co-Working-Space bezeichnet wird, in der Gesundheitsversorgung bisher jedoch noch nicht verbreitet ist. „Wir reduzieren die Anfangshürden für Ärzte“, sagt Timo Rodi, einer von vier Gründern von Eterno.

Berliner Dependance ist bereits die dritte Miet-Praxis

Die Berliner Dependance ist nach Ablegern in Frankfurt und Hamburg die dritte Miet-Praxis. Patienten treffen auf ein breites Spektrum an Fachdisziplinen. Eingemietet sind Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin, Kardiologie, Inneres, Kinder- und Jugendmedizin, Orthopädie, Physiotherapie sowie ästhetische Medizin. Und auch Kassenpatienten werden behandelt. Das Geschäftsmodell dient einem weit größeren Ziel des Unternehmens. Eterno entwickelt Software für Arztpraxen und setzt dabei auf künstliche Intelligenz (KI). Deren Einsatz wird in der Miet-Praxis erprobt. Was nicht hilft, wird fallengelassen, was sich als nützlich erweist weiterentwickelt.

„Das ist ein Showroom“, sagt Rodi, der selbst Mediziner ist. Potenzielle Kunden können sich vom Nutzen der KI selbst ein Bild machen. Zielgruppe sind die freien Ärzte. Sie arbeiten in der Regel noch mit veralteter Software. „Der digitale Fortschritt kommt noch nicht in die Praxis“, erläutert Rodi. Die Technologie kann Ärzte nicht ersetzen, allenfalls unterstützen, zum Beispiel durch die Auswertung großer Datenmengen für die Bestimmung von Krankheitsverläufen und Symptomen.

Aber im alltäglichen Umgang mit den Haus- und Fachärzten kommen die Patienten immer häufiger in Berührung mit KI. Zum Beispiel helfen Chatbots ohne Wartezeiten, wenn Rezepte oder Informationen benötigt werden. Ärztinnen und Ärzte können alle wesentlichen Informationen zu ihren Patienten abrufen oder in die elektronische Patientenakte laden. Patienten können Fachärzte suchen und Termine buchen.

Die KI ersetzt zunächst vor allem zeitraubende Tätigkeiten. Es beginnt bei der Terminplanung. Der Algorithmus führt nicht nur den Kalender der Ärzte. Das Programm berechnet auch die Wahrscheinlichkeiten, mit der Patienten ihren Termin auch wahrnehmen. Lehrt die Erfahrung beispielsweise, dass jemand nur bei jedem zweiten Mal erscheint und sonst kurzfristig absagt, kann der Arzt oder die Ärztin das Zeitfenster vorsichtshalber doppelt vergeben.

Ein weiterer Zeitfresser ist die Dokumentation der Behandlungen. Sie wird durch KI deutlich vereinfacht. Mittels Spracherkennung verfolgt die Software das Gespräch zwischen Arzt und Patient, fasst es schriftlich zusammen und kann auf Nachfrage anschließend noch besonders wichtige Punkte hervorheben und die Dokumentation dann in die Patientenakte übertragen. Den Arztbrief für den Patienten formuliert die KI gleich mit. „Sie können sich 90 Prozent der Dokumentationsarbeit sparen“, versichert Rodi. Die Daten selbst werden in einer Cloud gespeichert.

Der Server ist in Deutschland beheimatet. Auch das erhöht die Wirtschaftlichkeit. Denn eine eigene Hardware wird in der KI-Praxis nicht mehr benötigt. Das Personal kann ebenso wie die Mediziner von überall aus auf benötigte Informationen zugreifen. Die Daten seien sicherer als bisher verwahrt, versichert Rodi. In einer herkömmlichen Praxis seien die Computer anfälliger für Datenverluste, etwa bei Wasserschäden oder Hackerangriffen.

Unternehmen verspricht erhebliche finanzielle Vorteile

Eterno verspricht allein durch diese Anwendung erhebliche finanzielle Vorteile für eine Praxis. Sie fallen je nach Fachgebiet unterschiedlich aus. Allgemeinmediziner mit hohem Dokumentationsaufwand sparen pro Jahr fast 48.000 Euro ein, wenn diese Arbeit pro Patient zwei Minuten weniger Zeit bedarf. Bei Augenärzten wären es gut 66.000 Euro. Eine betriebswirtschaftliche Analyse des Praxisbetriebs liefert die KI mit.

Noch ist KI in den Arztpraxen nicht weit verbreitet. Aber das starke Wachstum von Eterno weist auf den Bedarf daran hin. Erst 2021 gegründet, entwickeln mittlerweile mehr als 100 Fachleute die Software weiter. Dank der Erfahrungen aus den Mietpraxen wird die KI weiter verfeinert. Noch konzentriert sich die Entwicklung auf die Betriebsabläufe. Doch wird sie absehbar auch bei der Entwicklung neuer Versorgungsformen eine Rolle spielen. Hier nennt Rodi etwa Hinweise an den Arzt, dass bestimmte Untersuchungen oder Vorsorgeprogramme angezeigt sind. „Die KI wird mittelfristig auch bei der Diagnose von Krankheiten eine Rolle spielen“, sagt Rodi. Mit Konzepten wie der Miet-Praxis ließe sich womöglich auch dem Ärztemangel entgegenwirken.

„Praxismodelle wie Eterno können eine Tätigkeit im ländlichen Bereich wieder attraktiver für die neue Generation von Ärzten machen, die hier beispielsweise in Teilzeit tätig werden können“, glaubt Rodi.

Korrespondent

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