Herbst-Prognose

Was passiert mit den 126 Milliarden?

Vor allem die Mehrwertsteuer spült in Inflationszeiten Geld in die Staatskasse

Von 
Theresa Martus
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Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) stellt das Ergebnis der Herbst-Steuerschätzung vor. © Oliver Berg/dpa

Berlin. Eigentlich klingt es, als müsste Christian Lindner freuen, was er am Donnerstag in Berlin vorträgt: Die Steuerkasse des FDP-Finanzministers wird in den kommenden Jahren klingeln. Das sagt jedenfalls der Arbeitskreis für die Steuerschätzung, der sich seit Dienstag in Sachsen-Anhalt getroffen hat. Die Steuerschätzer gehen nach der von Lindner präsentierten Prognose davon aus, dass Bund, Länder und Kommunen bis 2026 rund 126,4 Milliarden Euro mehr einnehmen werden, als noch bei der vorherigen Schätzung im Mai erwartet wurde. Dieses Jahr sollen die Steuereinnahmen wegen der Energiekrise zwar um 1,7 Milliarden Euro geringer ausfallen als vorhergesagt. Schon 2023 erwartet der Arbeitskreis aber ein Plus von 8,9 Milliarden Euro, davon allein 4,5 Milliarden für den Bund.

Hintergrund der hohen erwarteten Einnahmen sind laut Lindner ein robuster Arbeitsmarkt und zum Teil sehr gute Ergebnisse von Unternehmen. Aber auch die Inflation trägt einen erheblichen Teil dazu bei: Wenn Waren teurer werden, steigen auch die Einnahmen aus den Steuern, die darauf zu entrichten sind. Vor allem die Mehrwertsteuer spült mehr Geld in die Kassen. Doch den Rekordeinnahmen zum Trotz dauert es am Donnerstag nur eine knappe halbe Minute, bis Lindner bei der Vorstellung der Zahlen zum ersten großen verbalen Warnschild kommt.

Man dürfe sich von diesen Zahlen „nicht täuschen lassen“, betonte Lindner und nannte gleich mehrere Gründe, warum der Geldsegen vor allem auf dem Papier bestehe. Ebenso wie die Erwartungen zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Krise insgesamt seien auch die Ergebnisse der Schätzung sehr unsicher, sagte der Minister. Und die Inflation bedeute nicht nur höhere Einnahmen, sondern auch höhere Ausgaben für den Staat selbst. Vor allem aber rechnen die Steuerschätzer auf Grundlage des aktuellen Steuerrechts. Geplante, aber noch nicht beschlossene Reformen sind im Ergebnis noch nicht drin. Das gilt etwa für Lindners Pläne, den Einkommensteuertarif an die hohe Inflation anzupassen.

Begehrlichkeiten ersticken

Kalkuliert man geplante Entlastungsmaßnahmen im Steuerrecht ein, ergibt sich laut Lindner für den Bund im kommenden Jahr ein Minus von 7,4 Milliarden Euro. Auch 2024 gebe es statt einem Plus von 11,6 Milliarden in Wahrheit ein Minus von 4,7 Milliarden Euro. „Vermeintliche finanzielle Spielräume“ gebe es deshalb nicht, sagt der Minister. Es bleibe „essenziell, Haushaltsdisziplin zu wahren“.

Diese Serie von Einschränkungen soll vor allem eines tun – mögliche Begehrlichkeiten angesichts dieser großen Zahlen im Keim ersticken. Egal, ob bei den Koalitionspartnern von SPD und Grünen oder bei Ländern und Kommunen. Die Schätzung ist der Startschuss für eine neue Debatte um die Verteilung des Geldes. Nicht zufällig findet die nächste Runde der Bund-Länder-Beratungen erst in der kommenden Woche statt – nach der Schätzung, wenn klar ist, wie viel Geld es zu verteilen gibt und wer es bekommen soll.

Denn da gibt es an einigen Stellen Differenzen zwischen Bund und Ländern. Etwa bei der Frage, wer welche Kosten übernimmt für die Unterbringung der ukrainischen Geflüchteten, die in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind.

Unter anderem Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern und Vorsitzender der Innenministerkonferenz, dringt darauf, dass der Bund hier finanzielle Verantwortung übernimmt. „Wir haben nun bereits Oktober und warten immer noch darauf, dass der Bund endlich seiner Finanzierungsverantwortung im Bereich Asyl und Integration gerecht wird“, sagte er. Länder und Kommunen bräuchten Planungssicherheit.

Und auch beim 49-Euro-Ticket, das an den 9-Euro-Erfolg aus dem Sommer anknüpfen soll, hat man sich zwar verständigt, dass es kommen soll – aber noch nicht darauf, wer wie viel zahlt. Das Ticket sei eine echte Entlastung für viele Pendler, sagte Maike Schaefer, Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz und Verkehrssenatorin von Bremen. „Voraussetzung ist und bleibt aber die dringend notwendige Erhöhung der Regionalisierungsmittel und eine Mitfinanzierung des Bundes für die Kostenexplosion bei den Energiepreisen.“Das Ticket habe weder einen finanziellen Entlastungseffekt noch Vorteile für den Klimaschutz, wenn die Länder Nahverkehrsstrecken schließen müssten, um es zu bezahlen. „Die Länder sind bereit und haben ihre Hausaufgaben gemacht, nun sind der Bundeskanzler und die Ministerpräsidentenkonferenz am Zug.“

Bei den Kommunen teilt man Lindners eher vorsichtige Sicht auf die Finanzlage. Die Zahlen seien „ein Zerrbild“, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. „Wir stehen sehr wahrscheinlich vor der größten Finanzkrise der Städte und Gemeinden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.“ Er fordert eine Priorisierung bei den Ausgaben: Der Staat müsse prüfen, welche Leistungsversprechen „wirklich notwendig und auch erfüllbar sind“ – und andere möglicherweise zurückzunehmen.

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