Recht

Warum die Elternzeit für Frauen zur Falle werden kann

Die Anwältin und Professorin Julia Gokel sieht beim Thema Gleichberechtigung noch viel Luft nach oben. Um die Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen, hat sie ein paar Ideen

Von 
Srefanie Ball
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Man and woman shake hands while balanced on a seesaw. © Getty Images

Heidelberg. Julia Gokel ist Anwältin sowie Professorin und lehrt Gesundheits- und Sozialrecht an der SRH Hochschule Heidelberg. Sie ist außerdem Mitglied im Deutschen Juristinnenbund, der sich unter dem Slogan „Lieber gleichberechtigt als später“ für eine geschlechtergerechte Gesellschaft einsetzt.

Frau Gokel, in Artikel 3, Absatz 2, Satz 1 Grundgesetz steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ In der Realität sieht das oft anders aus. Woran liegt’s?

Julia Gokel: Das Problem, wenn man so will, ist, dass sich aus dem Grundgesetz kein unmittelbarer Anspruch ableiten lässt. Vielmehr gibt der Verfassungsgeber einen Auftrag an den Gesetzgeber, das entsprechend umzusetzen. Im Übrigen ist der Zusatz in Satz 2, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern hat und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirken müsse, erst viel später, im Jahr 1994 dazu gekommen, und zwar auf Drängen von vier Mitgliedern des Deutschen Juristinnenbundes.

Was die Realitäten vieler Frauen allerdings nicht wirklich verändert hat.

Gokel: Das ist richtig, aber wie gesagt, das ist Sache der Gesetzgebung und da ist, was die Gleichberechtigung von Männern und Frauen angeht, noch viel Luft nach oben. Die Verfassung, das Grundgesetz, gibt einen Rahmen, einen Gestaltungsspielraum, und den muss der Gesetzgeber nutzen.

Julia Gokel © Gokel

Und das tut er nicht?

Gokel: Nicht in dem Maße, wie er könnte. Schauen wir zum Beispiel auf die Besetzung von Parlamenten und Parteien oder in die Rathäuser, Orte, wo Entscheidungen getroffen werden und Frauen nach wie vor in der Minderheit sind.

Wie sieht es in Sachen paritätischer Besetzung in den Richterämtern aus?

Gokel: Viele Jahre nicht gut, die Herren, die ausschieden, haben neue Herren als ihre Nachfolger in die Ämter geholt. Aber auch das hat sich geändert. Zahlreiche Obergerichte werden von Frauen geführt, und auch den Vorsitz im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts hat eine Frau inne, Doris König. Gerichte setzen Maßstäbe für die Rechtsprechung, es ist von zentraler Bedeutung, dass Frauen da mitwirken.

In der Wirtschaft wird seit langem über Wohl und Wehe einer Quote diskutiert. Geht Gleichberechtigung nicht ohne Zwang?

Gokel: Leider ja! Mit Freiwilligkeit hat es nicht geklappt, erst die Quote etwa bei der Besetzung von Aufsichtsräten hat dazu geführt, dass dort inzwischen mehr Frauen sitzen.

Aber geht das im Zweifelsfall nicht auf Kosten der Qualifikation, wie Kritiker monieren?

Gokel: Es besteht nach wie vor der Grundsatz der Bestenauslese, eine Quotenregelung heißt nicht, dass der schlechtere genommen wird. Das Argument wird häufig von Menschen gebracht, die Themen wie Gleichberechtigung verächtlich machen wollen.

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Der Widerstand gegen Gleichberechtigung ist vielfach groß, das Wort Feminismus fast schon ein Schimpfwort. Müssen wir aufpassen, dass wir den Bogen nicht überspannen?

Gokel: Wir müssen vor allem aufpassen, dass Gesetze, die der Gleichberechtigung dienen sollen, nicht durch die Hintertür zu einer Diskriminierung führen. So hat der Arbeitgeber beispielsweise die Pflicht, einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld zu zahlen. Das hätte dazu führen können, dass Unternehmen weniger Frauen einstellen, weil sie diese extra Kosten nicht tragen wollen, wenn die Frauen schwanger werden. Um dieses drohende Beschäftigungshindernis für Frauen zu vermeiden, hat der Gesetzgeber kompensatorisch das Ausgleichs- und Umlageverfahren eingeführt. Es ist also wichtig, dass der Gesetzgeber bei neuen Regelungen eine Folgenabschätzung mit Blick auf faktische Diskriminierungen macht.

Eine dieser neuen Regelungen ist das Entgelttransparenzgesetz. Warum nutzen das nur wenige, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was eigentlich die (männlichen) Kollegen verdienen?

Gokel: Das Entgelttransparenzgesetz ist ein erster Schritt, um Frauen zu unterstützen, ihren Anspruch auf das gleiche Gehalt bei gleicher Tätigkeit durchzusetzen. Allerdings gibt es bislang nur einen Auskunftsanspruch, und das auch nur bei Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigen. Was fehlt, ist ein Durchsetzungsanspruch, dass der Arbeitgeber das Gehalt dann auch entsprechend anpassen muss. Das könnte sich nun mit der deutlich schärferen Entgelttransparenz-Richtlinie der EU ändern, die Deutschland bis Juni 2026 in nationales Recht umsetzen muss.

Scheuen sich Frauen vielleicht auch, solche Themen wie gleiche Bezahlung anzusprechen?

Gokel: Das ganz sicher. Frauen sind oft froh, wenn sie einen sicheren Job haben. Ich hatte einmal eine Frau in der Beratung, die eigentlich auf ihren alten Posten zurückwollte, nachdem sie ein Jahr in Elternzeit war. Doch da saß eine andere Person, und die Frau hatte nicht die Energie und wollte auch keinen Konflikt mit ihrem Vorgesetzten.

Die Frage ist, ob das Einzelfälle sind oder ob dahinter eine strukturelle Benachteiligung von Frauen steht?

Gokel: Studien belegen, dass der oben geschilderte Fall leider kein Einzelfall ist. Um das Thema Gleichbehandlung im Arbeitsleben auf eine Kollektivebene zu heben und nicht länger von der aktiven Inanspruchnahme durch Einzelpersonen abhängig zu machen, fordert der Deutsche Juristinnenbund daher ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft.

Das dürfte den Unternehmen nicht besonders gut gefallen, noch mehr Bürokratie. . .

Gokel: Der Entwurf des Juristinnenbundes beruht auf dem Prinzip der regulierten Selbstregulierung. Das bedeutet kurz gesagt, dass ein Unternehmen gesetzlich verpflichtet wird, selbst diskriminierende Strukturen aufzudecken und eigenverantwortlich, aber verbindlich Gleichstellungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen – also selbst zu regulieren. Dabei wird auch darauf geachtet, dass die Maßnahmen für das jeweilige Unternehmen angemessen sind, insbesondere aufgrund des Bürokratieaufwandes nicht zu Wettbewerbsnachteilen führen.

In anderen Ländern gibt es Möglichkeiten wie Elternzeit gar nicht. Ist der Ausstieg auf Zeit vielleicht keine so gute Idee?

Gokel: In Deutschland kann das zur „Falle“ werden. Die Familiengründung ist oft der Zeitpunkt, wo Frauen gegenüber den Männern zurückfallen. Leider halten sich hierzulande die Stereotype vom Mann, der den Job macht, und der Frau, die sich um Kinder, Haushalt und später die zu pflegenden Angehörigen kümmert.

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