Berlin. Die Deutschen haben den dritten Winter seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine hinter sich. Und zum ersten Mal seit Start der Energiekrise ist der Gasverbrauch in der vergangenen Heizperiode wieder deutlich gestiegen. Nach einer Erhebung der Bundesnetzagentur, die unserer Redaktion vorliegt, haben Privathaushalte und Unternehmen im Winter 2024/25 594.314 Gigawattstunden Gas verbraucht. Das sind 8,9 Prozent mehr als im Winter davor. Während sich die Zunahme bei Haushalten und Gewerbe auf 7,7 Prozent beläuft, ist der Gasverbrauch der Industrie um 10,1 Prozent gestiegen.
Die vergangenen zwei Winter waren mild
Hauptgrund ist das Wetter: Während die beiden vergangenen Winter eher mild waren, war es vor allem im Februar dieses Jahres in großen Teilen des Landes kalt. Im Schnitt wurden in diesem Monat 5,1 Grad weniger gemessen als im Vorjahr, der Verbrauch bei Haushalten und Gewerben lag im Februar 30,5 Prozent über dem Vorjahresmonat. Über den gesamten Winter war es 1,4 Grad kälter als 2023/24.
„Wir haben in diesem Winter sehen können, dass der Gasverbrauch maßgeblich durch die Witterung beeinflusst wird“, sagt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, zum gestiegenen Verbrauch. Er weist aber auch darauf hin, dass trotz frostiger Temperaturen im Vergleich zurzeit vor der Energiekrise immer noch viel Energie eingespart wurde. Gemessen am Durchschnitt der Heizperioden von 2018 bis 2021, nahm der Verbrauch in diesem Winter um 8,9 Prozent ab – und das bei ähnlichen Temperaturen. Den größten Anteil an dieser Reduzierung gegenüber der Zeit vor der Krise haben Verbraucher in Haushalten und Gewerben, die 11,5 Prozent weniger Gas nutzten als im Referenzzeitraum von 2018 bis 2021. In der Industrie lag der Verbrauch um 6,6 Prozent niedriger.
Deutsche Gasspeicher aktuell nur noch zu rund 31 Prozent gefüllt
Netzagenturchef Müller lobte die Einsparungen gerade bei den Haushalten als „bemerkenswert“. Viele Menschen heizten inzwischen viel bewusster und nachhaltiger, sagte er unserer Redaktion. Zugleich warnte Müller davor, beim Energiesparen nachzulassen: „Energieeffizienz und ein umsichtiger Verbrauch bleiben auch in Zukunft wichtig.“
Dass in diesem Winter wieder mehr geheizt werden musste, spiegelt sich auch in den Füllständen der Gasspeicher zum Beginn des Frühjahrs. Nach den Daten der Bundesnetzagentur sind die deutschen Speicher aktuell nur noch zu rund 31 Prozent gefüllt – im April 2024 waren es zum selben Zeitpunkt noch 68 Prozent.
Es sind aber nicht nur die kalten Tage, die die Speicher entleert haben. Auch das Ende des Ukraine-Transits zum Jahreswechsel spielt laut Bundeswirtschaftsministerium eine Rolle. Bis Ende 2024 war russisches Gas noch per Pipeline durch die Ukraine in zentraleuropäische Länder geflossen, doch mit Auslaufen des entsprechenden Vertrags ist damit jetzt Schluss. „Größere Speichermengen“, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium, seien deshalb von Deutschland aus in Nachbarländer gegangen, um die wegfallenden russischen Lieferungen auszugleichen.
Wichtiger Lieferant ist inzwischen Norwegen
Über den Sommer müssen die Speicher jetzt wieder aufgefüllt werden: Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass sie zum 1. Oktober zu 85 Prozent gefüllt sind, zum 1. November zu 95 Prozent. Das Gas dafür wird vor allem aus europäischen Nachbarländern kommen. Wichtigster Lieferant für Deutschland ist – seit dem Stopp der russischen Pipeline-Lieferungen durch Moskau 2022 – Norwegen, gefolgt von den Niederlanden und Belgien. Ein eher kleiner Teil der deutschen Gas-Importe kommt als Flüssiggas an den LNG-Terminals an. Verglichen mit dem Höhepunkt der Energiekrise ist die Situation inzwischen deutlich entspannter. „Die Versorgungssicherheit ist jetzt stabil“, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage.
Trotzdem gilt in Deutschland weiterhin die 2022 ausgerufene Alarmstufe, die zweite Stufe des dreistufigen Notfallplans Gas. Und Kritiker argumentieren, dass das Instrument, das für Krisen gedacht ist, inzwischen Schaden anrichtet: „Wir sehen bei Gerichtsprozessen um Gasprojekte, zum Beispiel vor Borkum, dass diese Projekte durchweg mit der Alarmstufe begründet werden“, betont Julian Schwartzkopff, Gas-Experte bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). „Das ist ein Blankoscheck für fossile Projekte.“ Die DUH fordert deshalb, dass die Alarmstufe zurückgenommen wird: „Die Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen, dass wir keine Gasnotlage in Deutschland haben“, so Schwartzkopff.
Mehr-Verbräuche in einem kalten Winter seien normal, und der Puffer, den die Speicher bereitstellten, völlig ausreichend. Für die Umweltorganisation ergeben sich daraus auch Konsequenzen für den Kurs der nächsten Bundesregierung. Vieles, was im Koalitionsvertrag von Union und SPD geplant sei zum Thema Gasversorgung, sei unnötig, erklärt Schwartzkopff, „und sabotiert unsere Klimaziele“.
Union und SPD wollen Anreize schaffen
Unter anderem wollen CDU, CSU und SPD Anreize schaffen, damit bis 2030 20 Gigawatt neue Gaskraftwerke gebaut werden. Außerdem wollen die Parteien die „Potenziale inländischer Gasförderung nutzen“, also in Deutschland wieder nach Gas bohren lassen. Zudem soll es neue langfristige Gaslieferverträge mit internationalen Anbietern geben. Zuletzt hatte das bundeseigene Energieunternehmen Sefe einen 15-Jahres-Vertrag mit einem LNG-Lieferanten aus den USA geschlossen. „Selbst über eine Nutzung von Nord Stream 2 wird in Teilen von Union und SPD nachgedacht“, kritisiert Schwartzkopff. „Wir sehen da ein großes Risiko, dass Deutschland sich ohne Not wieder in gefährliche Abhängigkeiten begibt.“
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