Frankfurt. Nach Erkenntnissen der Bafin verloren Privatkunden in Deutschland mit Turbo-Zertifikaten in den Jahren 2019 bis 2023 insgesamt mehr als 3,4 Milliarden Euro – im Schnitt 6.358 Euro pro Kunde. Die Marktaufseher befürchten, dass viele Privatanleger die mit dem Handel dieser komplexen Finanzprodukte verbundenen Risiken unterschätzen.
Die Bafin verpflichtet Broker künftig, ihre Kunden vor dem Handel standardmäßig vor dem hohen Verlustrisiko zu warnen. Sie müssen ferner prüfen, ob Interessenten über ausreichende Kenntnisse verfügen. Dafür sollen sie im Vorfeld Fragen beantworten. Dieser Test müsse alle sechs Monate wiederholt werden. Verboten werden sollen Kaufanreize wie Bonuszahlungen oder reduzierte Ordergebühren. Eine entsprechende Verfügung sei in Arbeit, kündigt die Bafin an. Die betroffenen Marktteilnehmer würden derzeit angehört.
Bei Turbo-Zertifikaten wetten Anleger auf die Entwicklung von Aktien, Währungen oder Rohstoffen
Zertifikate sind Finanzprodukte, die sich an einem Basiswert wie Aktien, Indizes oder Rohstoffe orientieren. Anleger können an der Wertentwicklung teilhaben, ohne den Basiswert selbst zu besitzen.
Bei Turbo-Zertifikaten wetten Anleger auf die Entwicklung von Aktien, Währungen oder Rohstoffen. Allerdings ist diese Wette mit einem Hebel verbunden, der die Kurseffekte noch verstärkt. Dadurch sind überdurchschnittliche Gewinne möglich, aber auch heftige Verluste. Wird eine sogenannte Knock-Out-Schwelle festgelegt, wird das Zertifikat automatisch wertlos, wenn der Basiswert einen bestimmten Kurs erreicht.
In Deutschland gibt es nach Angaben der Bafin 20 Anbieter, zumeist Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen. Die fünf größten Institute stünden für rund 75 Prozent des Marktes, sagt der zuständige Bafin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch. Die wegen eines sehr aktiven Zertifikatehandels oft kritisierten Sparkassen hätten keine Turbozertifikate im Angebot.
Das Geschäft mit den Turbo-Zertifikaten sei für die Banken sehr lohnend, warnt die Bafin. Die Margen für die Anbieter seien höher als bei vielen anderen Finanzprodukten. Auch würden solche Zertifikate intensiv und häufig gehandelt. „Etwa 70 Prozent der Turbozertifikate werden weniger als 24 Stunden gehalten. Das ist näher am Glücksspiel als an langfristiger Vermögensanlage“, sagte Pötzsch dem Handelsblatt.
Verbraucherschützer Niels Nauhauser warnt vor hohen Kosten
Verbraucherschützer beobachten den boomenden Zertifikatemarkt seit langem mit Argwohn: Zwar würden Turbo-Zertifikate überwiegend von sogenannten Selbstentscheidern erworben, erklärt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Im Beratungsgeschäft spielten sie deshalb kaum eine Rolle. „Aber auch Selbstentscheider können nur dann informierte und selbstbestimmte Anlageentscheidungen treffen, wenn die Anbieter der Produkte Ihnen die dazu erforderlichen Informationen vorlegen“, sagt Nauhauser.
Verbrauchervertreter halten auch Zertifikate jenseits der jetzt von der Bafin jetzt mit Auflagen belegten Turbo-Varianten vielfach für zu kompliziert, intransparent und vergleichsweise teuer. Banken versteckten im Ausgabepreis satte Kosten und Vertriebsmargen, kritisiert Nauhauser. Viele Zertifikate wiesen Risiken auf, die höchstens Profis oder sehr erfahrene Anleger noch bewerten können.
Die Branche selbst sieht die kommenden Auflagen offenbar eher gelassen. Für den Verkauf mancher Finanzprodukte werde bereits Vorwissen abgefragt, heißt es. Die Implementierung von Risikohinweisen oder der von der Bafin geforderten Tests technisch kein Problem.
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