Eisenbahn

Regionale Wirtschaft lobt Neubaustrecke

In wenigen Tagen geht die Schnellverbindung zwischen Wendlingen und Ulm in Betrieb. Das hat auch Auswirkungen auf die Metropolregion

Von 
Torsten Gertkemper-Besse
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Ein ICE befährt während einer Schulungsfahrt für Lokführer die Brücke über das Filstal. Sie ist das spektakulärste Bauwerk der neuen Schnellverbindung zwischen Wendlingen und Ulm. © Thomas Niedermüller / Deutsche Bahn

Rund 60 Kilometer Strecke, zahlreiche Tunnel und Brücken sowie knapp vier Milliarden Euro Baukosten: Zum Fahrplanwechsel an diesem Sonntag geht die Eisenbahn-Neubaustrecke zwischen Ulm und Wendlingen (bei Stuttgart) in Betrieb. Zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und Ulm verkürzt sich die Fahrzeit dadurch um rund 15 Minuten. Das hat auch Auswirkungen auf den Knotenpunkt Mannheim und die Region, denn die Neubaustrecke ist Teil der Verbindung Mannheim-München, auf der nicht zuletzt viele Geschäftsreisende unterwegs sind. Die Fahrzeit zwischen Mannheim und der bayerischen Landeshauptstadt sinkt auf deutlich unter drei Stunden.

Fahrzeitverkürzung um 15 Minuten

Die Wirtschaft in der Region sieht die neue Strecke entsprechend positiv. Das gilt besonders für Unternehmen, die sowohl in der Metropolregion als auch in München Niederlassungen haben. Man begrüße die neue Eisenbahnstrecke als Möglichkeit für nachhaltige Geschäftsreisen zwischen den beiden Standorten, teilt eine Sprecherin von Siemens auf Anfrage dieser Redaktion mit. Auch weitere Konzern-Niederlassungen – wie jene in Stuttgart und Ulm – würden profitieren. Auch das Pharmaunternehmen Roche sieht die neue Bahnlinie positiv. Nach Angaben einer Sprecherin sind pro Woche rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Zug zwischen Mannheim und Penzberg unterwegs. In dem Ort nahe München befindet sich ein Werk von Roche.

Bisher fuhren die Züge zwischen Stuttgart und Ulm auf der Filstalbahn (in der Grafik als „Bestandstrecke“ gekennzeichnet). Ausgebremst wurden besonders schnelle Züge dabei von der Geislinger Steige – also dem kurvenreichen Aufstieg auf die Schwäbische Alb, den selbst moderne ICEs nur mit rund 70 Stundenkilometern befahren können. Auf der neuen Strecke können die Züge bis zu 250 km/h fahren.

Die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm ist Teil von Stuttgart 21, auch Bahnprojekt Stuttgart-Ulm genannt. Es umfasst neben der Neubaustrecke auch den Tiefbahnhof in der Stuttgarter Innenstadt samt unterirdischer Anbindung an die neue Bahnlinie (gelb markiert). Diese wird nach derzeitigem Stand aber erst Ende 2025 fertig. Deshalb fahren die Züge zwischen Stuttgart und Wendlingen vorerst weiter auf der alten Filstalbahn.

„Es ist ein großes Plus dieses Projekts, dass die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm unabhängig vom Bahnhofsumbau Stuttgart in Betrieb gehen kann“, sagt Dagmar Bross-Geis, Verkehrsexpertin der IHK Rhein-Neckar. So könne man bereits jetzt von positiven Effekten profitieren. Wenn der neue Tiefbahnhof in Stuttgart vollendet ist, soll sich die Fahrzeit zwischen der Landeshauptstadt und Ulm noch einmal um weitere 15 Minuten verkürzen. Reisende sind so ab Ende 2025 insgesamt eine halbe Stunde schneller unterwegs als heute – auch zwischen Mannheim und München.

Spektakuläre Brücke

Die neue Strecke, die in großen Teilen parallel zur Autobahn 8 verläuft, hat einige spektakuläre Bauwerke zu bieten. Das auffälligste ist die knapp 500 Meter lange Brücke über das Filstal. Sie besteht aus zwei (jeweils 85 Meter hohen) Einzelbauwerken und verbindet zwei Tunnel miteinander. Reisende werden die Aussicht von der Filstalbrücke in Zukunft aber nur kurz genießen können. Wenn die Züge mit 250 km/h über das Tal rauschen, bleiben gerade einmal knapp acht Sekunden.

Und was wird aus der alten Filstalbahn (schwarz markiert)? Die Bestandsstrecke bleibt auch nach Inbetriebnahme der Schnellverbindung in Betrieb. Sowohl Teile des Personen- als auch des Güterverkehrs werden die alte Trasse weiter befahren. So entstehen zusätzliche Kapazitäten, was etwa die IHK Rhein-Neckar positiv sieht: „Unternehmen, die mehr Transporte auf die Schiene verlagern wollen, aber bisher nicht die gewünschten Trassen erhielten, können die höhere Kapazität auf der Bestandsstrecke nutzen“, erklärt Verkehrsexpertin Bross-Geis. Ein Hemmnis bleibe aber, sagt sie: Wegen der starken Steigungen auf der Filstalbahn brauche es zeitweise eine zweite Lok, was die Transporte verteuere.

Umstrittenes Gesamtprojekt

Mit der Neubaustrecke geht nun also ein erster Teil des Projekts Stuttgart 21 in Betrieb. Und auch wenn der neue Tiefbahnhof Ende 2025 wirklich fertig sein sollte, so ist Stuttgart 21 noch lange nicht abgeschlossen. Die Anbindung an den Flughafen ist derzeit in Bau, wird aber noch länger brauchen. Außerdem gibt es aktuell Streit darum, wie die Region südlich der Landeshauptstadt besser an die neue Infrastruktur angeschlossen werden kann. Ein zusätzlicher Tunnel ist aktuell erst in Planung.

Das Gesamtprojekt Stuttgart-Ulm (inklusive Neubaustrecke) kostet etwas mehr als neun Milliarden Euro. Hinter Stuttgart 21 liegen bereits zahlreiche Kostensteigerungen. 1995 hatten Bahn, Bund, Land und Stadt die Kosten bei rund 2,6 Milliarden Euro veranschlagt, im Finanzierungsvertrag 2009 waren es bereits 4,5 Milliarden Euro.

Umstritten war das Projekt von Beginn an. Kritiker warnten, dass die Kosten aus dem Ruder laufen würden. Proteste von Umweltschützern, Bahnkritikern und Zehntausenden Stuttgarter Bürgern gipfelten 2010 im „Schwarzen Donnerstag“, als die Polizei den Schlossgarten räumte, Wasserwerfer einsetzte und Menschen verletzt wurden. (mit dpa)

Redaktion Redaktion Neckar-Bergstraße, zuständig für Ilvesheim und Friedrichsfeld

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