Mannheim. Herr Auer, während wir hier sitzen, arbeitet nebenan ein ganzes Team in der Büroküche zusammen. Was ist da los?
Markus Auer: Wir sind hier auf unserer New-Work-Fläche, wo wir neue Arbeitskonzepte und -räume jenseits des klassischen Büros testen. Jede unserer Abteilungen probiert die Fläche aus und meldet uns zurück, welche Elemente sie sinnvoll findet. Demnächst ziehen wir in unsere neue Zentrale im Mannheimer Glückstein-Quartier um, da können wir das umsetzen. Wenn wir wollen, dass die Menschen zum Arbeiten ab und zu wieder ins Büro kommen, müssen wir ihnen was bieten.
Sie könnten auch einfach bestimmen, wie viel Zeit man mindestens im Büro verbringen muss.
Auer: Ich halte nichts davon, die Menschen ins Büro zu zwingen. Die Bedürfnisse sind ganz unterschiedlich: Die eine arbeitet gerne jeden Tag im Büro, der andere hat 100 Kilometer Anfahrt und kommt lieber nur einmal die Woche. Da wollen wir keine Vorgaben machen. Die Pandemie hat gezeigt: Die Mitarbeitenden zahlen uns diese Flexibilität in Form von Ergebnissen zurück. Klar ist aber: Wenn alle nur noch remote arbeiten, funktioniert es auch nicht. Es braucht ein Zentrum, in das die Kolleginnen und Kollegen ab und zu kommen, wo sie sich aufladen mit Teamgeist und Mitarbeiterbindung. Dieser Kleber muss funktionieren in einem hybriden Arbeitsmodell. Und dafür investieren wir.
Am Flughafen oder im Restaurant – der Fachkräftemangel ist überall sichtbar. Wo sind in der Region die größten Lücken?
Auer: Insgesamt fehlen in der Region aktuell 6000 Expertinnen und Experten, allein 2500 davon in der IT. Dazu kommen 1000 im klassischen Engineering und 1500 in Vertrieb und Marketing. Dabei muss man bedenken: Was wir jetzt sehen und schon als großes Problem empfinden, ist erst der Anfang. Bis zum Jahr 2035 wird die erwerbsfähige Bevölkerung um etwa vier bis sechs Millionen Menschen auf 45,8 bis 47,4 Millionen schrumpfen, das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts.
Hays-Finanzvorstand
- Markus Auer ist seit 2016 Finanzvorstand der Mannheimer Personalvermittlung Hays.
- Von den deutschlandweit rund 3000 Mitarbeitenden beschäftigt das Unternehmen knapp 1000 in Mannheim, davon rund 120 Auszubildende.
- Als Personalberatung ist Hays auf die Rekrutierung und Vermittlung von hochqualifizierten Fachkräften spezialisiert. In Deutschland erzielte das Unternehmen, das zur Hays-Gruppe mit Sitz in London gehört, einen Umsatz von rund zwei Milliarden Euro.
Was raten Sie betroffenen Firmen?
Auer: Die Zeit des „Post and Pray“, also: ich schalte eine Anzeige und hoffe, dass sich jemand passendes bewirbt, ist vorbei. Stattdessen geht es darum, Talente aktiv zu entdecken und anzusprechen. Außerdem müssen die Firmen in der Auswahl kreativer werden. Wenn man zu picky ist, bleibt die Stelle sehr lange offen.
Man sollte also auch jemanden einstellen, der auf den ersten Blick nicht ganz passt?
Auer: In Zukunft kommt es vor allem darauf an, ob jemand Kernkompetenzen mitbringt, die ich suche – und weniger auf das rein Fachliche. Das kann man nämlich meistens gut on the job vermitteln, also nachdem man jemanden eingestellt hat. Die klassische Personalsuche war auf das Fachliche stark ausgerichtet: Man hat im Lebenslauf geschaut, wo jemand bisher gearbeitet hat und ob er bestimmte Dinge schon mal gemacht hat. Da müssen die Unternehmen richtig umdenken. Das gilt aber nicht nur für die Kandidatenauswahl, sondern auch bei dem, was sie als Arbeitgeber bieten.
Geht es da vor allem ums Gehalt, gerade jetzt, wo alles teurer wird?
Auer: Das Gehalt ist ein Hygienefaktor. Wenn das stimmt, fangen die Kandidaten an zu überlegen. Dann kommen andere Faktoren: Habe ich flexible Arbeitszeiten? Gibt es eine Feedbackkultur, Teamspirit und ein New-Work-Umfeld? Sehr gefragt sind Mobilitätsangebote – aber nicht unbedingt der klassische Firmenwagen. Bei uns können die Mitarbeitenden per App wählen, ob sie ein Auto aus dem Fuhrpark wollen oder mit dem Geld lieber ihre Bahntickets bezahlen oder einen E-Roller mieten. Für Kandidaten zeigt sich an solchen Punkten: Steht ein Arbeitgeber für Zukunft und Modernität? Oder steht er für die Old Economy, die stumpf das Statussymbol Auto forciert? Gleiches gilt für die Frage, ob man Homeoffice anbietet.
Inwiefern?
Auer: Die Menschen haben in der Pandemie gesehen, dass Arbeiten im Homeoffice gut funktioniert. Wenn Firmen jetzt wieder auf einer reinen Präsenzkultur bestehen, fünf Tage die Woche, von 9 bis 17 Uhr, ist das für die Leute nicht nachvollziehbar. Man verliert sie ein Stück weit damit. Und das ist gerade in Zeiten des Fachkräftemangels riskant. Wir glauben: Wer Flexibilität bietet, wird die besseren Talente finden.
Müssen wir alle mehr und länger arbeiten, um den Fachkräfte-mangel aufzufangen – Stichwort 42-Stunden-Woche und Rente mit 70?
Auer: Ich halte solche Forderungen für unrealistisch. Die 42-Stunden-Woche machen die Leute da draußen nicht mit. Mir fehlt jedenfalls komplett die Fantasie, dass da jemand einsteigt. Und was das Rentenalter betrifft: Wo soll das noch hingehen? Wir sind doch schon bei 67, zumindest rein technisch. In den Firmen wird das ja so nicht gelebt. Wir müssen das Problem anders lösen, zum Beispiel über Zuwanderung. Durch die Digitalisierung gibt es zudem die Option Nearshoring. Experten aus Spanien oder Osteuropa können problemlos an Projekten in Deutschland mitarbeiten.
Es gibt ja auch Firmen, die experimentieren mit der Vier-Tage-Woche oder Fünf-Stunden-Tagen, weil sie glauben, ihre Belegschaft ist dann produktiver …
Auer: Das ist natürlich ziemlich radikal und eine echte Wette. Grundsätzlich finde ich: Es sollte erst einmal kein Gedanke verboten sein – und Althergebrachtes in Frage zu stellen, ist sicher richtig. Da muss jede Firma experimentieren, was für sie das Beste ist.
Sie vermitteln Fachkräfte für verschiedene Beschäftigungs-formen, von der Festanstellung bis zur Arbeitnehmerüberlassung. Was ist besonders gefragt?
Auer: Vor allem im Expertenbereich ist Projektarbeit ein Megatrend. Viele, die heute nach der Ausbildung auf den Arbeitsmarkt kommen, wollen nicht 30 Jahre lang bei einem Arbeitgeber sein, sondern suchen eher nach interessanten Projekten. Und wenn sie dann eine Zeit lang intensiv gearbeitet haben, wollen sie vielleicht zwei, drei Monate Pause machen bis zum nächsten Projekt.
Und wie sieht es auf Unternehmensseite aus?
Auer: Auch hier sehen wir einen wachsenden Bedarf an Freelancern, gerade in der IT. Nehmen wir einen klassischen Mittelständler: Der braucht für eine konkrete digitale Fragestellung vielleicht einen absoluten High-End-Experten – aber den kann er nicht für die nächsten zehn Jahre begeistern und ihm eine gute Perspektive bieten. Wenn es dagegen um Funktionen geht, die in der Firma permanent gefragt sind, dominiert die unbefristete Festanstellung.
Im Moment sind viele Firmen durch hohe Energie- und Rohstoffpreise sehr belastet. Schlägt die Krise auch auf Ihr Geschäft durch?
Auer: Normalerweise reagiert unser Markt sehr zyklisch: In Krisenzeiten treten Unternehmen als erstes bei den Marketingausgaben auf die Bremse, als zweites sind die Neueinstellungen dran. Im Moment sehen wir aber, dass das weniger als sonst passiert. Der Fachkräftemangel führt scheinbar zu einer Art Sonderkonjunktur in unserem Markt.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-mannheimer-personalexperte-die-42-stunden-woche-machen-die-leute-nicht-mit-_arid,2006624.html