Interview

Mannheimer Experte fordert Energiespar-App

Der Mannheimer Energie-Experte Martin Kesternich hat Zweifel daran, dass die Gaspreisbremse das richtige Instrument fürs Energiesparen ist. Im Interview verrät er, welche Lösung er für die bessere hält und wie wichtig der Austausch des alten Kühlschranks für die Verbrauchsbilanz ist

Von 
Walter Serif
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Sparen wir schon genug – oder ist da noch was drin? Ökonom Martin Kesternich hält eine Energiepauschale für das bessere Instrument, um die Sparziele zu erreichen. © Chrstin Klose/dpa

Herr Kesternich, die Gasspeicher sind voll, die Energiebremse kommt, können wir jetzt beruhigt Weihnachten und Silvester feiern?

Martin Kesternich: Wir können zumindest mit etwas mehr Zuversicht feiern, als wir uns das vor einigen Monaten noch hätten vorstellen können. Wir sollten aber nicht übermütig werden. Der Erfolg steht und fällt damit, wie weit es uns gelingt, wirklich genügend Gas und Strom in den nächsten Monaten einzusparen. Momentan sieht es gut aus, aber die Lage bleibt angespannt. Wir dürfen nicht nachlassen und müssen alle Mittel ausschöpfen, die die Haushalte zum Sparen animieren.

Ihr Forschungsschwerpunkt ist das nachhaltige Verbraucherverhalten. Was lässt sich daraus bezogen auf die Energiekrise ableiten?

Kesternich: Nehmen Sie die Gaspreisbremse. Die Politik muss klarstellen, dass die Gaspreisbremse nur dann etwas bringt, wenn die Leute tatsächlich auch Energie sparen. Der Staat subventioniert jetzt die Preise, damit die Menschen besser über die Runden kommen. Das Ziel, an dem sich letztlich der Erfolg dieses Mechanismus messen lassen muss, kommt aber nicht immer richtig rüber: Die Bundesregierung will, dass die Verbraucher mindestens 20 Prozent Strom und Gas einsparen. Sie hat entschieden, dass mit der Gaspreisbremse für 80 Prozent des historischen Verbrauchs ein Preisnachlass gilt. Aus ökonomischer Sicht bleibt es aber zentral, dass die Marktpreise als Knappheitssignal ihre volle Signalwirkung entfalten können. Natürlich müssen wir dann über zielgerichtete Entlastungen sprechen.

Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.

Kesternich: Keine Sorge, das mache ich jetzt. Wir sind bei vielen Konsumentscheidungen gegenwartsorientiert. Das Problem beim Energiesparen ist deshalb ein strukturelles. Die Haushalte haben zwar von ihren Energieversorgern Schreiben bekommen, in denen steht, dass die Preise steigen werden. Aber die Menschen verbrauchen ihren Strom jetzt, und die Rechnung bekommen sie erst in einem Jahr. Wer also im Winter Gas und Strom spart, hat unmittelbar nicht mehr Geld in der Tasche beziehungsweise bekommt die Informationen über die Mehrkosten erst zeitverzögert im Laufe des nächsten Jahres.

Das ist zum Beispiel beim Lebensmitteleinkauf anders.

Kesternich: Richtig. Die Leute merken, dass die Preise im Supermarkt gestiegen sind, und reagieren sofort darauf. Aus Studien, die wir am ZEW gemacht haben, wissen wir, dass dieser Fokus auf die Gegenwart eine große Rolle spielt. Sobald die Konsumenten wie beim Einkauf ein klares Signal bekommen, dass die Kosten steigen, reagieren sie schnell und senken ihren Verbrauch stärker, als wenn sie diese Information nicht zeitnah bekommen. Und beim Gas und Strom wissen wir nicht einmal genau, wie viel wir verbrauchen, weil sich ja nicht jeder ständig den Zählerstand notiert und ausrechnet, was das jetzt kostet.

Wir bräuchten also eine App auf dem Handy, die genau anzeigt, wie viel Energie wir verbrauchen und was uns das dann kostet?

Kesternich: Ja, eine Spar-App wäre gut und sehr vernünftig. Viele Energieversorger würden da auch sofort mitmachen, aber leider steht uns da in vielen Fällen nicht zuletzt auch der Datenschutz im Weg, und wir erreichen damit nicht jeden. Ein genauer Überblick würde die Menschen aber dazu animieren, kritischer hinzuschauen und zum Beispiel zu überlegen, den alten Kühlschrank gegen ein effizientes Kühlgerät zu ersetzen. In einer Studie zur Bedeutung des Kühlgerätetauschs in einkommensschwachen Haushalten haben wir errechnet, dass sich dieser Austausch in vielen Fällen schon nach drei Jahren rentiert. Bei den gegenwärtig hohen Preisen lohnt sich da jede eingesparte Kilowattstunde. Allerdings können einkommensschwache Haushalte diesen Austausch ohne Unterstützung häufig nicht leisten.

© ZEW/ Anna Logue

Die Bundesregierung will den Menschen beim Energiesparen helfen. Setzt sie die richtigen Instrumente ein?

Kesternich: Ich habe da zumindest Zweifel. Nehmen Sie noch einmal die Gaspreisbremse. Mit diesem Instrument bekommt ein Haushalt ein bestimmtes Grundkontingent zu einem günstigeren Preis, für den restlichen Verbrauch gelten Marktpreise. Damit subventioniert der Staat einen Teil des Energiekonsums. Ich profitiere von dieser Hilfe somit auch, wenn ich keine Energie einspare. Studien zeigen, dass Haushalte ihr Verhalten am Durchschnittspreis ausrichten, nicht am teuren Preis für den Mehrverbrauch. Daher ist es wichtig, den Mechanismus hinreichend zu erklären.

Welches Instrument hätten Sie denn gewählt?

Kesternich: Die unbequeme Wahrheit ist: Der Einsparanreiz muss sich von der ersten bis zur letzten Kilowattstunde konsequent am Marktpreis orientieren. Die Gaspreisbremse kommt in ihrer jetzigen Form dieser Forderung nicht nach. Mir erscheint es zentral, zu überlegen, wie wir gezielt sozial schwache Haushalte und auch Unternehmen ohne Eingriff in den Preismechanismus entlasten können.

Und was schlagen Sie vor?

Kesternich: Ich finde, dass eine Lösung wie die Energiepauschale, die im Oktober ausgezahlt wurde, das bessere Instrument wäre – wenn es zielgruppenorientiert ist. Man müsste dann natürlich auch wieder die Studierenden und Rentner einbeziehen. Wenn eine solche Pauschale wie damals zu versteuern wäre, würde derjenige, der viel verdient, auch weniger bekommen, weil das Finanzamt einen größeren Anteil einbehalten würde. Eine Pauschale wäre also zielgerechter. Der Konsument könnte, wenn er viel Energie spart, einen Teil des Gelds für andere Zwecke ausgeben. Oder er tauscht alte Stromfresser wie den Kühlschrank oder die Waschmaschine durch neue Geräte aus, die im Verbrauch niedriger sind. Wir wollen ja die Energieeffizienz steigern, das ist besser als die Deckelung der Preise, die teuer ist und sich auf Dauer aus meiner Sicht so auch nicht aufrechterhalten lässt.

Der Energie-Experte

  • Martin Kesternich wurde am 5. Juni 1985 in Aachen geboren.
  • Er studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Mannheim und Buenos Aires. Die Promotion erfolgte an der Universität Hamburg.
  • Kesternich begann seine berufliche Karriere bereits 2010 am Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Inzwischen ist er Stellvertreter des Forschungsbereichs Umwelt und Klimaökonomik. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Umwelt- und Verhaltensökonomik.
  • Sein Januar 2019 ist Kesternich auch Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kassel.

Wenn ich zu Hause nicht alle Lichter brennen lasse, spare ich Energie, mein Beitrag ist aber marginal. Wenn alle das machen, ist der Effekt dagegen extrem hoch.

Kesternich: Das ist richtig. Wir müssen wissen, dass die Menschen sich in ihrem Konsumverhalten an ihren Peergroups orientieren . . .

… also zum Beispiel an ihren Freunden oder Arbeitskollegen …

Kesternich: . . . genau. Das kennen wir aus unzähligen Studien. Wenn Sie wissen, was die anderen tun, sind sie auch bereit mitzugehen. Wir haben das im Kontext des eigenen Klimaschutzverhaltens in einer Umfrage mal getestet und nachgehakt, wie viel Geld die Teilnehmer an die Bundesgartenschau in Mannheim geben würden. Ergebnis: Wenn sie gewusst hätten, welchen Betrag die anderen gezahlt hätten, dann hätten sie mehr gezahlt.

Das ist ja auch im Büro so, wenn einer Geburtstag hat oder in Ruhestand geht. Dann fragt man auch: Was geben denn die anderen?

Kesternich: Eben. Interessant an der Buga-Geschichte ist aber folgendes: Wir haben auch dargelegt, wie das Engagement der Stadt bei dem Projekt ausgesehen hat. Das hat sich aber nicht positiv auf die Zahlungsbereitschaft des Einzelnen ausgewirkt. Wenn Städte also das Engagement der Menschen für das Klima erhöhen wollen, sollten sie nicht auf ihre eigenen Glanztaten hinweisen, sondern darüber informieren, was die Mitbürger und Mitbürgerinnen bereits getan haben.

Also nach dem Motto: In diesem Stadtteil haben besonders viele Familien Solardächer installiert. Und im anderen gibt es immer mehr Smart-Häuser, in denen die Nachbarn die Energie gemeinsam und effektiver nutzen.

Kesternich: Ja, das ist extrem wichtig in der Solidardebatte. Der Energieversorger MVV hat diese Aspekte der sozialen Vergleiche bei seinem Gasbonusprogramm ja auch eingebracht. Die Teilnehmer bekommen einen bestimmten Betrag, wenn sie genug Energie sparen, es gibt aber noch einen weiteren Bonus, wenn es alle gemeinsam schaffen, die Sparziele zu erreichen. Dies kann auch dazu beitragen, das Gemeinschaftsgefühl zu fördern.

Nur mit moralischen Appellen kommt man aber nicht weiter. Wer das Auto als Klimakiller einstuft, darf den Leuten keine ethische Debatte aufdrücken, sondern muss eine Alternative anbieten.

Kesternich: Das ist genau das Problem. Der Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr kann ja nur klappen, wenn es ein funktionierendes Netz gibt, das Anreize bietet. Das 9-Euro-Ticket hat diesen Anspruch nicht vollumfänglich eingelöst. Die Tickets gab es zu Dumpingpreisen, am Ende haben sich aber die neuen Kunden genauso aufgeregt wie die alten. Und beim 49-Euro-Ticket beklagen sich die Verkehrsbetriebe jetzt ja auch darüber, dass sie mit diesen Erlösen nicht auskommen und deshalb die Fahrpläne ausdünnen müssten. Dann würde der gewünschte Effekt verpuffen. Hier muss die Politik für eine verlässliche Planbarkeit sorgen.

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Von
dpa
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Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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