Mannheim. Peter Schneider, Präsident des baden-württembergischen Sparkassenverbands, trägt Herz und Hirn auf der Zunge. Vor allem, wenn es um Christine Lagarde geht. Auch bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz der 50 Südwest-Sparkassen in Stuttgart attackiert der Schwabe die Zinspolitik der Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), ohne sie direkt beim Namen nennen zu müssen. Jeder, der an der Hybrid-Veranstaltung teilnimmt, kann mithören, wie sehr sich Schneider über die Geldpolitik der EZB aufregt. „Die Zinswende war überfällig. Es ist offensichtlich, dass die EZB im Gegensatz zu fast allen anderen Notenbanken die Inflation zu lange unterschätzt hat. Auch mit der Anhebung der Leitzinsen bleibt sie klar hinter der Welle. Die Zinsen im Markt sind viel schneller gestiegen und auch die Inflation ist der EZB entglitten“, kritisiert Schneider.
Realzinsen im Rekord-Minus
Der Verbandspräsident freut sich zwar darüber, dass „die EZB endlich die Negativzinsen abgeschafft hat“, aber das Grundproblem sei damit nicht gelöst, nämlich der viel höhere Realzinsverlust. Und in der Tat, bei einer Inflationsrate von aktuell 7,5 Prozent und einer Rendite von um die ein Prozent für sichere Bundesanleihen ergibt sich - so Schneider - „ein in dieser Dimension noch nie da gewesener“ negativer Realzins von minus 6,5 Prozent. Deshalb schlägt er Alarm: „Dies kann der normale Sparer überhaupt nicht ausgleichen. Wenn die Inflation weiter so anhält, heißt dies, dass in drei Jahren das Geldvermögen der Menschen ein Fünftel weniger wert ist“, sagt der frühere CDU-Landtagsabgeordnete und betont, die Klientel der Sparkassen habe im Vergleich zur Konkurrenz mehr wirtschaftlich schwache Kundinnen und Kunden.
„Da sind wir ein Seismograf, wir sehen am schnellsten, wie sich die wirtschaftliche Lage unserer Kundschaft entwickelt“, sagt Schneider und verweist auf die Kundeneinlagen. Auf den ersten Blick sehen die Zahlen gut aus. Innerhalb eines Jahres parkten die Menschen 3,6 Milliarden Euro mehr bei den Sparkassen als Ende Juni 2021. Ein Plus von immerhin 2,3 Prozent. Nur: Das Wachstum, so Schneider, kommt ausschließlich aus dem zweiten Halbjahr 2021 und nicht aus dem ersten 2022. Wie lässt sich das erklären? Schneider nennt zwei Ursachen. Erstens: Wegfall der Corona-Einschränkungen. Die Leute haben wieder mehr Geld ausgegeben - zum Beispiel für den Urlaub. Zweitens: die Inflation. Die hohen Kosten führen dazu, dass die Menschen kein Geld mehr zurücklegen können. Das Einkommen reicht gerade, um über die Runden zu kommen. Mittlerweile gilt dies für 40 Prozent der Sparkassen-Kunden. Tendenz steigend. „Die Zahl verschiebt sich in Richtung 50 Prozent“, sagt Schneider.
Bei den Krediten vermelden die Sparkassen einen neuen Rekord. Das Kreditvolumen konnten sie um elf Milliarden steigern, das sind immerhin 7,5 Prozent. Viele würden sich jetzt noch die günstigen Zinsen sichern, meint Schneider. Die Aufteilung der Kreditsumme auf Privatkunden und Unternehmen sei ausgewogen. Nämlich halbe-halbe. „Da das Risiko gut gestreut ist, sind die Sparkassen wenig anfällig für Krisen“, so der Verbandspräsident. Auch bei den Unternehmenskrediten gab es einen starken Anstieg, trotz eines hervorragenden Vorjahres. Die Kredite würden aber weniger für Investitionen aufgewendet, sondern dienten in erster Linie der Liquiditätssicherung. Viele Betriebe würden - Stichwort Lieferkettenprobleme - Kredite für den Ausbau der Lagerhaltung verwenden.
„Wir sehen da erste Bremsspuren, zum Beispiel wenn Privatkundinnen oder -kunden ihre zugesagten Kredite nicht abrufen, da die stark steigenden Baupreise sie von ihrem Vorhaben abbringen.“ Außerdem würden die höheren Finanzierungskosten durch steigende Zinsen in Zukunft auf die bisher sehr starke Nachfrage nach Immobilienkrediten bremsend wirken, richtet Schneider den Blick nach vorn. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist das Geschäft mit den Immobilienkrediten aber noch hervorragend gelaufen. Der Bestand wuchs um 9,2 Prozent auf 85,6 Milliarden Euro, das ist nach Angaben des Verbands das stärkste Wachstum, das die Sparkassen je in einem Jahr verzeichnet haben. Rund 80 Prozent der Kredite entfallen auf Privatkunden.
Dickes Minus bei Wertpapieren
Beim Wertpapiergeschäft gibt es zwar ein dickes Minus, Schneider führt dies aber auf das extrem gute Vorjahr zurück. Gut findet er, dass sich die Verkäufe trotz der Kursrückgänge seit Jahresanfang in Grenzen gehalten haben. „Dies lässt hoffen, dass wir doch in Richtung einer langfristigeren Wertpapierkultur kommen, in der die Anlegerinnen und Anleger auch in Krisenzeiten die Nerven behalten“, so Schneider. Die Zahl der Wertpapierdepots bei den Sparkassen ist innerhalb eines Jahres auf fast eine Million gestiegen.
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