Podiumsdiskussion

EU-Spitzenkandidaten aus Baden-Württemberg diskutieren über Wirtschaftspolitik

Wie soll die EU-Wirtschaftspolitik zukünftig aussehen? Was erwartet Unternehmer aus der Region? Bei einer Podiumsdiskussion in Mannheim äußerten sich die Spitzenkandidaten des Landes. Einige Aussagen ließen aufhorchen

Von 
Simon Retzbach
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Diskussionsrunde mit René Repasi (SPD), Daniel Caspary (CDU), Andreas Glück (FDP) und Anna Deparnay-Grunenberg (Grüne) unter Moderation von Axel Nitschke (IHK). © Christoph Blüthner

Mannheim. "Wir werden heute Abend nicht alle einer Meinung sein, aber um den besten Weg ringen", gab Manfred Schnabel, Präsident der IHK Rhein-Neckar, den Kurs vor. Die Kammer hatte zur anstehenden Europawahl alle Spitzenkandidaten aus Baden-Württemberg mit aussichtsreichen Chancen auf einen Parlamentseinzug eingeladen, um zu wirtschaftspolitischen Themen auf Europaebene zu debattieren und die Erwartungen der Mitgliedsunternehmen zu kommunizieren. 

Dabei machte der Präsident eines klar: "Wann immer es Kritik an der EU gibt, ist das nicht an der EU selbst, sondern an einzelnen Themenblöcken. Wir alle sind Europäer und gerade die Unternehmer hier im Raum wissen es zu schätzen, was Frieden und Freiheit bedeutet und welchen Beitrag die EU hier leisten kann", erklärte Schnabel. 

Europaparlament hat auch ohne Gesetzgebungskompetenz eine wichtige Funktion

Gefolgt waren der Einladung Andreas Glück (FDP), René Repasi (SPD), Daniel Caspary (CDU) und Anna Deparnay-Grunenberg (Bündnis90/Die Grünen). Sollten sie gewählt werden, kommt ihnen eine bedeutende Rolle zu. "Keine Verordnung oder Richtline wird ohne Zustimmung der Mehrheit des Europäischen Parlaments in Kraft treten können", führte Schnabel aus. Auch ohne formale Gesetzgebungskompetenzen gingen viele Initiativen für Gesetze vom Parlament aus. 

Um den inhaltlichen Rahmen der Debatte einzugrenzen, benannte der IHK-Präsident verschiedene Aspekte, welche die Unternehmer zukünftig von der EU erwarten oder Entwicklungen, die ihnen derzeit Sorge bereiten. Hierunter waren zum Beispiel eine europaweit sinkende Wettbewerbsfähigkeit, ausufernde Regulierung und Staatsverschuldung sowie Probleme bei der Nachfolgersuche.

"Green New Deal" als Langzeitvision, aber auch deutliche Kritik

Orientiert an diesen Schwerpunkten wurden die Spitzenkandidaten zu ihren Ansichten und Plänen befragt. Was die EU tun könne, um das Unternehmertum für potenzielle Nachfolger interessant zu gestalten? Eine Frage, an der sich bereits leichte Differenzen zwischen den Kandidaten zeigten. Während die Grüne Anna Deparnay-Grunenberg Stabilität und Rechtsstaatlichkeit zusammen mit der „gemeinsamen Langzeitvision Green New Deal“ als attraktive Faktoren sieht, zeigen sich ihre Mitstreiter deutlich kritischer.

Vieles müsse besser gemacht werden, befand der Liberale Andreas Glück. Schlechte Gesetzgebung und damit verbundene Bürokratie bemängelte Christdemokrat Caspary. „Wir müssen mehr ins Risiko gehen, es gibt keine 100 Prozent Sicherheit. Wir sind als Gesellschaft mit den Jahren in eine Vollkasko-Mentalität gegangen, Unternehmer sind da risikofreudiger“, analysierte René Repasi (SPD).

Keine Lösung für das Bürokratieproblem

Angesprochen wurde auch das leidige Thema Bürokratie. „Da gibt es keine Lösung per se“, befand die grüne Kandidatin, es brauche Mut und gesamteuropäische Lösungen. Es sei jedenfalls keine Boshaftigkeit, dass es derart ausführliche Regulierung gebe, ergänzte Andreas Glück. Er zeigte sich als großer Freund einer „One in, two out“-Lösung, nach der für jedes neue Gesetz alte Gesetze abgeschafft werden müssten. Auch eine zeitliche Befristung von neuen Gesetzen könnte in seinen Augen eine Lösung sein.

Daniel Caspary brachte die neue Position eines EU-Mittelstandskommissars ins Spiel, der sich um die Belange der Unternehmer kümmern soll. Eine Vollharmonisierung, also Vereinheitlichung, von Standards sah Sozialdemokrat Repasi als zentrales Instrument. Hier plädierte er dafür, dass die „Sozialdemokratie der Christdemokratie die Hand ausstreckt“ und man gemeinsam Potenzial zur Liberalisierung nutze.

Potenzial für Überraschungen eher bei Fragen der Unternehmer

Es waren überwiegend häufig gehörte Argumente und Konflikte, die an diesem Abend vorgetragen wurden. So lag das Potenzial für Überraschungen eher in den konkreten Fragen der Unternehmer, die mit den EU-Gesetzen in der Praxis konfrontiert sind. Ein Verpackungshersteller wollte beispielsweise wissen, wie mit der sogenannten Entwaldungsverordnung der EU umzugehen sei. Diese solle schon Ende des Jahres in Kraft treten, bislang sei die Umsetzung jedoch völlig unklar. So entsteht eine paradoxe Situation, die dem Unternehmer Bauchschmerzen bereitet: Er könnte gegen eine Verordnung verstoßen, die er schlichtweg nicht befolgen kann.

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Das Antwortmuster war ein bekanntes: Einer ausführlichen Problembeschreibung folgten kaum Lösungsansätze. „Da sind wir ratlos“, musste Anna Deparnay-Grunenberg zugeben. „Das kann man nicht mal Bürokratie nennen, das ist Wahnsinn. Ich wundere mich da auch jeden Tag“, befand die grüne Abgeordnete. Man müsse Druck machen, damit die Verordnung nicht wie geplant bis Ende des Jahres in Kraft trete. Andere Länder würden dies ebenfalls so handhaben. Man wolle eine Verzögerung um zwei Jahre erreichen, ergänzte Daniel Caspary.

Ob es nicht an der Zeit wäre für einen großen EU-Industrieplan ähnlich dem Inflation Reduction Act in den USA, wollte eine Chemieunternehmerin wissen. Beim Skizzieren eines solchen Plans kam es dann zu einem kleinen Eklat, in dessen Folge René Repasi sich einer Antwort verweigerte. Auslöser war die Aufforderung von Moderator Axel Nitschke, in wenigen kurzen Sätzen zu antworten.

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„Wir wollen bis 2050 klimaneutrales Industrieland bleiben und nicht Industriemuseum werden“, erklärte Daniel Caspary die Absichten der CDU. Dafür müssten Weichen innerhalb des Green New Deals gestellt werden. Andreas Glück sah Freihandelsabkommen und Technologieoffenheit – sein Lieblingswort an diesem Abend – als wichtige Elemente. Anna Deparnay-Grunenberg hielt einen solchen Plan für „vermessen“. Es sei unmöglich zu wissen, welche Produkte oder Dienstleistungen sich in Zukunft durchsetzen würden.

Insgesamt wurde der Abend den einleitenden Worten Schnabels gerecht. Die Vertreter der vier Parteien stellten auf proeuropäischer Basis durchaus klare Unterschiede heraus und zeigten Probleme auf, mit denen Politik auf europäischer Ebene konfrontiert ist. Einzig das „Ringen um den besten Weg“ blieb insofern etwas auf der Strecke, als dass sich die Parlamentarier mit konkreten Lösungen doch recht schwertaten.

Redaktion

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