Tourismus

Weniger Masse - wie sich der Tourismus neu erfindet

Wie soll der Tourismus der Zukunft aussehen? Und wie lässt sich Qualität messen? Die Branche ist um Umbruch, das hat der Tourismustag in Heidelberg gezeigt

Von 
Walter Serif
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13 Millionen Touristen kommen pro Jahr nach Heidelberg und schauen vom Schlossgarten auf die Altstadt. © Uwe Anspach/dpa

Heidelberg. „Fühl dich wie daheim, sogar wenn du zum Auswärtsteam gehörst“ – mit dieser (ins Deutsche übersetzten) Kampagnen-Botschaft hat die Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) gezielt ausländische Fußball-Fans umworben. Sie sollen nach den EM-Spielen nicht sofort abreisen, sondern in der Verlängerung Urlaub im Südwesten machen.

Doch mit Werbeslogans ist das so eine Sache. Sie wecken bei den Gästen Erwartungen, die diese mit der Wirklichkeit vor Ort vergleichen. Dass es in Deutschland in diesem merkwürdigen Sommer ständig regnet, dürfte nur bei den Schotten und Engländern keine Akklimatisierungsprobleme ausgelöst haben. Der geteilte Ärger der Touristen mit den Einheimischen über das Chaos bei der Bahn lässt sich dagegen womöglich nur mit einer ungesunden Menge Bier herunterspülen.

Nachhaltigkeit wird in der Tourismusbranche immer wichtiger

Werden die vielen ausländischen Fußball-Fans also wie 2006 nach dem Sommermärchen glücklich in ihre Heimat zurückkehren und den Leuten erzählen, in was für einem fantastischen Land sie waren? Eine solche Frage hätte vor Jahren bei Tourismusexperten eher ein Achselzucken ausgelöst. Die Zeiten haben sich aber geändert. Die Branche bewertet Erfolg oder Misserfolg nicht mehr nur auf Basis der aktuellen Gäste- und Übernachtungszahlen, sondern schaut natürlich auch in die Zukunft.

Bei Touristen beliebt: die Heidelberger Altstadt. © Zinke

„Die klassischen Kennzahlen spielen noch eine Rolle, aber sie reichen nicht mehr aus“, sagt TMBW-Geschäftsführer Andreas Braun bei der Eröffnung des Tourismustags in Heidelberg. „Welchen Tourismus wollen wir?“, diese Frage stellten sich auch die 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Heidelberger Congress Center (HCC). In der Online-Umfrage nannten sie als Ziele neben der Service- und Dienstleistungsqualität die Gästezufriedenheit – und Nachhaltigkeit, die für die Branche immer wichtiger wird.

„Vier Sterne sind nicht mehr automatisch besser als zwei“

„Wenn im Tourismus die reine Steigerung von Gäste- und Übernachtungszahlen nicht mehr länger das Maß aller Dinge ist, rückt zwangsläufig die Qualität stärker in den Mittelpunkt“, sagt Staatssekretär Patrick Rapp (CDU), der im Stuttgarter Wirtschaftsministerium für den Tourismus zuständig ist und als Präsident den Tourismus-Verband Baden-Württemberg leitet. „Ein moderner Qualitätstourismus bezieht auch die Interessen von Einheimischen und Beschäftigten ein“, so Rapp.

Urlaubsgäste wollen nicht mehr nur Spaß und Erholung, sondern suchen sinnstiftende Aktivitäten wie Pilgern und natürlich auch persönliche Begegnungen
Harald Pechlaner Tourismusforscher

Tourismusforscher Harald Pechlaner geht noch ein Stück weiter. Qualitätstourismus hat für ihn das „Lebensgefühl einer ganzen Region“ im Blick und ist damit auch für die Reisenden besonders attraktiv: „Urlaubsgäste wollen nicht mehr nur Spaß und Erholung, sondern suchen sinnstiftende Aktivitäten wie Pilgern und natürlich auch persönliche Begegnungen“, so Pechlaner. Einfachheit wird dabei zum neuen Luxus. „Vier Sterne sind nicht mehr automatisch besser als zwei, das relativiert sich gerade“, sagt er.

Hohe Energiekosten sind für Gastronomie ein wichtiges Thema

Solche Sätze klingen natürlich gut. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Das Seehotel Wiesler in Titisee hat vier Sterne. Anna Wiesler, die im Familienbetrieb arbeitet, weiß, dass Qualität und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen müssen. Sie weiß aber auch, wie kontrovers das Thema ist: „Als Wellness-Hotel sind wir ja das Gegenteil von nachhaltig, nämlich eine Energievernichtungsmaschine“ – gerade daran arbeitet aber das Hotel. „Deshalb heizen wir zum Beispiel mit Holzhackschnitzeln und setzen natürlich auch Solarenergie ein. Das bekommt der Gast gar nicht mit, und der will nicht von uns hören, dass er nur noch fünf Minuten duschen soll“, so Wiesler. Immerhin können die Gäste entscheiden, ob sie auf die eine oder andere Zwischenreinigung des Zimmers verzichten wollen.

Dieser pragmatische Ansatz bewirkt vielleicht mehr als die Überfrachtung des Nachhaltigkeits-Begriffs. Pechlaner sinniert darüber, welchen Beitrag der Tourismus und seine verschiedenen Akteure für Wirtschaft und Gesellschaft leisten. Dabei muss der Tourismus doch erst einmal die Basics liefern. Deshalb regt sich Pechlaner ja darüber auf, dass bei seiner Anfahrt die Raststätte auf der Autobahn geschlossen war.

13 Millionen Touristen kommen jährlich nach Heidelberg

Dass die Branche umdenkt, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Manche werden auch dazu gezwungen. „Im Nordschwarzwald hat man auch erkannt, dass der Winter nicht mehr immer kommt. Wellness und Winterwanderungen werden dort immer wichtiger“, sagt TMBW-Geschäftsführer Braun.

„Weniger ist mehr. Die Balance muss stimmen“, meint Braun und erwähnt „unser kleines Mallorca“. Pro Jahr kommen 13 Millionen Touristen nach Heidelberg. Mathias Schiemer von der Heidelberg Marketing GmbH gefällt der Vergleich mit der Ballermann-Destination nicht. „Stadtmarketing ist mehr als nur Touristen heranzukarren. Flusskreuzfahrtschiffe bringen uns nichts. Genauso wenig, wie wenn sechs Busse gleichzeitig ins Schloss wollen.“

Schiemer setzt auf Entschleunigung. „Wir haben nur noch zwei statt drei Schlossbeleuchtungen mit Feuerwerk im Jahr. Das gefällt auch nicht jedem. Aber ich muss auch an meine Mitarbeiter denken“, sagt er. Und auch ein Herz für Obdachlose hat Schiemer. „Wir unterstützen auch Menschen, die in der Gesellschaft heruntergefallen sind“, sagt Schiemer. In den 1970er Jahren entfernte die Polizei noch auf Anordnung des damaligen OB Reinhold Zundel Obdachlose aus der Stadt.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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