Lebensmittel

Weinheimer Brotsommelier entwickelt eigene „Brotsprache“

Brot macht dick und war früher sowieso besser? „Falsch“, sagt Bernd Kütscher. Der Bäcker hält in Weinheim das traditionelle Backhandwerk hoch und warnt vor „Massenbrothaltung“

Von 
Sabine Rößing
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Bernd Kütscher, Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk, steht in einer Backstube der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk vor einer Auswahl verschiedener Brotsorten. © Uwe Anspach

Weinheim. Wie beschreibt man den Geruch von frischem Brot? Vielleicht malzig, röstig oder eher süßlich? Lässt sich gar eine feine Gerstennote erspüren – oder ist es eher Mokka? Welche Farbe hat die Kruste: sandbraun oder currygelb?

Der Genuss von Brot habe keine eigene Sprache, beklagt Bernd Kütscher, Deutschlands vielleicht bekanntester Back-Sachverständiger und Leiter der Weinheimer ‚Akademie Deutsches Bäckerhandwerk’. Wein werde blumig beschrieben, ärgert sich der bekennende Brotliebhaber, der Bücher mit Starköchen schreibt und sich der Bewahrung traditioneller Brotsorten verschrieben hat. Wein-Connaissseure schwärmten von der rubinroten Farbe im Glas, einem leichten Barrique oder feinen Noten von Steinfrüchten. Bei Brot hieß es lange nur „schmeckt gut“.

Kütscher hat Brotregister aus der Taufe gehoben

Es fehle ein Genussvokabular für Brot, erkannte Kütscher. Deshalb entwickelten sie in Weinheim eine eigene „Brotsprache“. Wer sich hier zum „Brot- Brot-Sommelier“ fortbilden lässt, erhält dazu auch ein sensorisches Training. Denn schließlich, sagt Kütscher, habe Beliebtheit immer auch mit Sprache zu tun: „Worte schaffen Werte“, heißt einer seiner markanten Merksätze, mit denen er Aufmerksamkeit schaffen will für ein Produkt, dessen bewusste Anerkennung im Alltag weit hinter seiner eigentlichen Bedeutung zurückbleibt.

Trotz seiner fundamentalen kulturellen und wirtschaftlichen Relevanz wüssten die meisten Menschen sehr wenig oder sogar das Falsche über Brot, registriert Kütscher. Er hat eine Liste mit Lieblingsklischees. „Brot macht dick“ ist das eine, in Bäckereien werde nicht mehr selbst gebacken, oder auch „Brot war früher besser“: „Alles falsch“, sagt er.

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Als Leiter des Deutschen Brotinstituts hat Kütscher das deutsche Brotregister aus der Taufe gehoben, dessen Sachverständige pro Jahr landauf, landab tausende Brote begutachten und bewerten. Die Website „Bäckerfinder“ listet prämierte Brote, auf Wunsch sortiert nach der Nähe zum Wohnort des Nutzers. Mehr als 3000 verschiedene Brotspezialitäten verzeichnet die liebevoll gepflegte Datenbank.

Backhandwerk in die Wiege gelegt

Gewissermaßen wurde ihm seine Affinität zum Backhandwerk in die Wiege gelegt: „Meine Kinderstube war direkt über dem großen Backofen einer kleinen handwerklichen Bäckerei in der Eifel“, schreibt Kütscher in einem seiner Blogs, in denen er sich Gedanken macht über die wirtschaftlichen Aspekte des Backens, Ernährungstrends, die Geschichte des Brotverzehrs oder den Niederschlag des Backwerks in der Kunst.

Schließlich essen wir Menschen Brot seit 22 000 Jahren. „Wenn Großvater und Vater das Brot aus dem Ofen zogen, duftete das ganze Haus danach“, beschreibt er und wirbt für das klassische Abendbrot anstelle der zweiten Nudelmahlzeit des Tages.

Seine Leidenschaft für das Backhandwerk hat Kütscher über die Jahre Auszeichnungen und Einfluss eingetragen: So berief ihn das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2016 in die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission (DLMBK), welche die Leitsätze der Lebensmittelherstellung definiert und überarbeitet. In der von ihm geführten Akademie erhalten gestandene Bäckermeister und der Berufsnachwuchs Fortbildungen zur Vermarktung ihrer Betriebe über Social Media oder die Mitarbeiterentwicklung.

Brot mit Sägemehl in Notjahren

Ernährung sei zu einer Art Religion geworden, bemerkt er in einem Blog. Im Zuge des „Frei von“-Trends habe auch das Image des Brotes sehr gelitten. Das bekümmert ihn und er tritt an gegen Halbwahrheiten und Übertreibungen, aber auch Romantisierungen: So sei in Sachen Brot früher tatsächlich nicht alles besser gewesen: Bis vor gut 100 Jahren sei es nicht vordringlich um das Aroma gegangen, sondern um die Produktion von Kalorien.

Die Menschen mussten satt werden. „Die Versorgung mit Getreide war damals bei weitem nicht so sicher wie heute. In Notjahren wurde das Brot oft mit zweifelhaften Zutaten wie Sägemehl gestreckt.“ Bis man die Hefegärung entdeckte, war die Brotqualität überdies „reiner Zufall“.

Dennoch ist ihm die Qualität besonders wichtig: Schließlich ist es das Handwerk, welches das Bäcker-Brot vom Angebot der Supermärkte unterscheidet.

Die Marktanteile der Einzelbäckereien geraten zunehmend unter Druck, auch weil Brot aus dem Discounter erheblich billiger produziert werden kann: „Nur noch jedes dritte Brot in Deutschland kommt aus einer Bäckerei“, warnt Kütscher. Nachwuchsmangel und die zunehmende Marktmacht der großen Lebensmittelfilialisten mit industrieller Brotfertigung hinterlassen Spuren.

Von „Massenbrothaltung“ spricht Kütscher und warnt vor extrem kurzen Teig-Reifezeiten, die sich auf die Bekömmlichkeit auswirken und Zutaten, die nur hinzugefügt werden, um die industriellen Prozesse zu ermöglichen.

Kleinbetriebe unter Druck

Der Brotkonsum in Deutschland sei leicht rückläufig, auch Zahl der Betriebe gehe zurück, jedes Jahr etwa drei bis vier Prozent. Das Ende des Einzelbäckers lasse sich von diesen Zahlen aber nicht ableiten, betont der Mann, den die „Zeit“ bereits zum „Brotpapst“ erhob: Brot, sagt er, sei ein Zukunftsprodukt, regional tief verwurzelt. Immer mehr Bäckereien widmeten sich heute wieder der traditionellen Brotbackkunst. Brotmanufakturen konzentrierten sich auf weniger Produkte bei guter Qualität: „Diese Entwicklung finde ich gut“, sagt Kütscher.

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