Buchhandel

Warum die Deutsche Bahn dem Bahnhofsbuchhändler Schmitt & Hahn Probleme macht

Unpünktliche Züge und mehr Homeoffice spürt die Heidelberger Gruppe Schmitt & Hahn an ihren gut 60 Bahnhofsstandorten. Was Firmenchef Karl-Hans Schmitt dennoch zuversichtlich stimmt - und welche Rolle Tiktok dabei spielt

Von 
Tatjana Junker
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In rund 60 Bahnhöfen und Flughäfen ist die Heidelberger Gruppe Schmitt & Hahn mit Filialen vertreten – hier eine der beiden Buchhandlungen im Mannheimer Hauptbahnhof. © Thomas Tröster

Heidelberg. Herr Schmitt, gut jeder dritte Fernzug in Deutschland kommt zu spät. Profitieren Sie von der unzuverlässigen Bahn, weil Reisende so mehr Zeit zum Stöbern in Ihren Bahnhofsläden haben?

Karl-Hans Schmitt: Leider nein. Da gibt es nämlich ein sehr deutsches Phänomen: Selbst wenn für einen Zug 10 oder 15 Minuten Verspätung angekündigt sind, warten die Leute auf dem Bahnsteig. Sie kommen nicht zurück in die Bahnhofshalle. Vielleicht trauen sie den Ansagen nicht und glauben, der Zug kommt doch früher. Jedenfalls bleiben sie am Gleis. Das würde im Ausland, etwa in Spanien, Österreich oder der Schweiz, nie passieren.

Karl-Hans Schmitt ist geschäftsführender Gesellschafter der Buchhandelsgruppe Schmitt &Hahn mit Sitz in Heidelberg. © Privat

In der Schweiz haben die Züge ja quasi nie Verspätung.

Schmitt: Stimmt. Fakt ist: Wir würden sehr davon profitieren, wenn die Deutsche Bahn zuverlässiger wäre und damit dauerhaft mehr Kunden gewinnen würde. Unsere große Hoffnung war der 30-Minuten-Takt, der vor einigen Jahren als politisches Ziel bis 2030 verkündet wurde. Der ist dann kurzerhand auf 2070 verschoben worden – ein Irrsinn. Auch unter Baustellen wie der Riedbahn-Sanierung werden wir wahrscheinlich massiv leiden. Langfristig hilft es uns aber, wenn die Strecke leistungsfähiger ist.

Wie sehr hat Ihnen der letzte Bahn-Tarifkonflikt mit den Lokführern zugesetzt?

Schmitt: Jeder Streiktag hat massiv Umsatz gekostet. An manchen Großstadt-Standorten lag das Minus bei 60 bis 70 Prozent, zum Beispiel in Mannheim – in der Filiale im Untergeschoss – oder in Frankfurt. Weniger schlimm war es in Heidelberg. Da hat der Bahnhof eine sehr gute Stadtanbindung, es kommen nicht nur Reisende, sondern auch andere Kunden. Generell muss man sagen: Die mangelnde Leistungsfähigkeit des Produkts Bahn ist für uns schon länger schwierig, ständig Ausfälle und Verspätungen. Das ist gerade für den Geschäftsreiseverkehr extrem problematisch, zumal wir da auch noch Corona-Nachwehen spüren.

Inwiefern?

Schmitt: Viele große Arbeitgeber haben Homeoffice-Regelungen nach der Pandemie teilweise beibehalten, gerade im Dienstleistungsbereich, bei Banken oder Versicherungen. Das spüren wir zum Beispiel in Frankfurt, einem unserer wichtigsten Bahnhofsstandorte. Dort gibt es normalerweise eine sehr hohe Pendlerquote. Wenn die Menschen aber nur noch zwei Mal die Woche ins Büro fahren müssen, nehmen sie oft lieber das Auto, zumal die Bahn kein attraktives Monatskartenangebot hat. Auch die 1. Klasse ist nicht mehr so voll, und es gibt weniger von den klassischen Bahncard50-Reisenden – eine kaufkräftige Klientel, die uns dann auch in den Bahnhofsbuchhandlungen fehlt.

Ein Familienunternehmen aus Heidelberg

  • Karl-Hans Schmitt ist geschäftsführender Gesellschafter der Buchhandelsgruppe Schmitt & Hahn mit Sitz in Heidelberg.
  • Die Wurzeln des Unternehmens reichen zurück bis Mitte des 19. Jahrhunderts. 1854 gründete Carl Schmitt im Heidelberger Bahnhof eine Verkaufsstelle für „Reiseliterarien“ – nach Unternehmensangaben die erste deutsche Bahnhofsbuchhandlung.
  • Das Unternehmen ist bis heute in Familienbesitz: Der Gesellschafterkreis besteht aus Karl-Hans Schmitt, seiner Schwester und zwei Cousinen.
  • Schmitt & Hahn betreibt in Deutschland rund 70 Buchhandlungen an gut 60 Bahnhöfen und Flughäfen. Dazu kommen acht Innenstadt-Filialen, vor allem im Rhein-Neckar-Raum.
  • Im deutschen Bahnhofsbuchhandel ist Schmitt & Hahn nach eigenen Angaben mit einem Marktanteil von rund 20 Prozent die Nummer zwei nach Marktführer Valora (u.a. „Press&Books“). Der Umsatz der Gruppe im Bereich Bahnhof und Presse liegt bei rund 90 Millionen Euro.
  • Die Gruppe ist zudem Mehrheitsgesellschafter der Presse-Grosso Südwest GmbH & Co. KG. Sie beliefert rund 4700 Einzelhändler im Südwesten täglich mit Zeitschriften und Zeitungen. tat

 

Das heißt, Ihr Geschäft ist noch nicht wieder auf dem Vor-Corona-Niveau von 2019?

Schmitt: Wir hatten in der Pandemie unter dem Strich Umsatzrückgänge von knapp 30 Prozent. Vor allem der Pressebereich – also Zeitungen und Zeitschriften – hat sich nicht so stark erholt wie erhofft. Dort haben wir immer noch ein Minus von mehr als 20 Prozent gegenüber 2019. Gerade im hochpreisigen Segment, also bei den Fachzeitschriften, fehlt uns die zahlungskräftige Kundschaft.

Die eben angesprochenen Bahncard-Besitzer und ICE-Fahrer?

Schmitt: Genau. Die nehmen, wenn sie denn am Bahnhof sind, gerne mal eine Zeitschrift für ein bestimmtes Hobby oder Spezialinteresse bei uns mit, weil die große Auswahl hier ein Alleinstellungsmerkmal von uns ist: Wir haben in unseren Bahnhofsläden 4000 bis 6000 Zeitungs- und Zeitschriftentitel.

Gerade bei den Spezialzeitschriften gibt es ja teils skurrile Titel. Was sind aktuelle Trendthemen?

Schmitt: Der ganze Bereich „Well-being“ ist ein Riesenthema: Esoterik, Lifestyle, Hobbys. Auch rund um das Thema Kochen sind viele neue Zeitschriften dazugekommen. Da funktionieren Print-Produkte einfach immer noch gut, weil Haptik und tolle Bilder eine große Rolle spielen. Was dagegen überhaupt nicht mehr läuft, sind Computerzeitschriften. Das ist quasi komplett ins Netz abgewandert.

Insgesamt ist das Standbein Zeitschriften aber nicht krisenfester als das Buch?

Schmitt: Das Buch ist erstaunlich gut durch die Krise gekommen, von allen Segmenten sogar am besten. Das galt sowohl während der Pandemie als auch danach, während der hohen Inflation. Insgesamt liegen wir mit unseren Buch-Umsätzen sogar über dem Niveau von 2019 – wobei auch Zusatzartikel wie Geschenke oder Trendartikel eine große Rolle spielen. Mit diesem Angebot machen wir inzwischen zehn Prozent unserer Umsätze. In Mannheim zum Beispiel haben wir jetzt auch Kühlschränke und verkaufen Eis und Getränke. Damit kompensieren wir die Rückgänge im Pressesegment. Aber auch beim Buch gibt es eben vielversprechende Entwicklungen – denken Sie an Book Tok. . .

Die Buchhandlung Schmitt&Hahn im Mannheimer Hauptbahnhof verfügt über eine breite Auswahl an Zeitschriften. © Thomas Tröster

. . .eine Sub-Community bei Tiktok, in der Bücher vorgestellt und besprochen werden. . .

Schmitt: Genau. Noch vor ein paar Jahren drohte der Buchhandel zu vergreisen. Alle waren alarmiert, weil junge Leute spätestens ab der Pubertät angeblich nichts mehr von Büchern wissen wollten. Dann kamen die ersten Titel der amerikanischen Autorin Colleen Hoovers und andere New-Adults-Bücher. Sie haben eine völlig neue Zielgruppe angesprochen: Jugendliche und junge Erwachsene. Daraus haben sich eine ganze Generation von jungen Lesern und ein eigener Markt entwickelt – und wir waren relativ schnell dabei. Book Tok hat uns da geholfen, auch wenn wir am Anfang damit gefremdelt haben. Zum Glück haben sich unsere Auszubildenden weniger schwergetan.

Für das Buch war das jedenfalls toll – und auch hier ging es nicht um elektronische Formate, sondern um Haptik. Es gibt Sonderausgaben mit farbigem Schnitt, die haben fast Sammelcharakter. Ähnlich hat man das bei den E-Readern gesehen. Wir haben alle befürchtet, dass uns die Tolinos und Kindles die Leserschaft abgraben – aber am Ende gab es dafür nur eine beschränkte Nachfrage, und jetzt stagniert es.

Neben Ihren gut 60 Bahnhofsstandorten haben Sie acht Innenstadt-Buchhandlungen, vor allem in der Region. Planen Sie hier weitere Filialen?

Schmitt: Wir möchten das weiterentwickeln. Dabei bemühen wir uns gezielt um Buchhändler, die sich zurückziehen wollen und eine Nachfolgeregelung suchen. Ihnen bieten wir an, dass wir viele organisatorische Aufgaben wie Buchhaltung etc. für sie übernehmen, weil wir da eine starke Infrastruktur und auch Einkaufsvorteile haben. Sie selbst können sich dann ganz auf die Beratung der Kunden im Laden konzentrieren. Das ist wichtig – Buchhandel ist immer noch ein sehr persönliches Geschäft, und es ist hilfreich, wenn man seine Kunden kennt. Wichtig ist für uns allerdings, dass es sich um echte Ladengeschäfte mit Umsätzen und Frequenz handelt.

Vor ein paar Tagen hat die Thalia-Filiale am Mannheimer Paradeplatz geschlossen. Hatten Sie da kein Interesse?

Schmitt: Wir haben uns darüber durchaus Gedanken gemacht – und uns auch angeschaut, was an anderen Stellen, zum Beispiel auf den Planken, passiert. Aber am Ende ist das eine Frage der Mietpreise. Manche Vermieter sind noch sehr verwöhnt und haben Vorstellungen, die von klassischen Fachhandelsgeschäften nicht zu erwirtschaften sind. Und der Buchhandel hat andere Margen als mancher Textilhändler.

Wir hoffen jetzt, dass die Thalia-Schließung ein paar zusätzliche Kunden in unsere Mannheimer Filiale in N2 am Paradeplatz bringt. Entscheidend ist für uns außerdem, wie sich das N1-Quadrat entwickelt. Das ist in den letzten Jahren sehr stiefmütterlich behandelt worden. Und das Stadthaus unter Denkmalschutz zu setzen, war aus unserer Sicht auch keine geniale Idee.

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Zum Schluss: Sie werden in diesen Tagen 64 Jahre alt. Bleibt Schmitt & Hahn familiengeführt?

Schmitt: Nein. Es läuft auf eine externe Lösung hinaus. Im Stadtbuchhandel wird Andreas Klingel stärker übernehmen. Er ist dort jetzt schon als geschäftsführender Gesellschafter der S+K mit im Boot. Auch im Bahnhofsbuchhandel werden wir über eine Geschäftsführer-Lösung agieren. Und im Pressegrosso arbeiten wir ohnehin schon mit einem Partner zusammen, der bereits mit in der Geschäftsführung ist.

Über einen Verkauf denken Sie aber nicht nach?

Schmitt: Wir haben immer Gespräche geführt, zum Beispiel mit dem früheren Thalia-Chef Michael Busch oder – bei den Bahnhofsbuchhandlungen – mit der Unternehmensgruppe Dr. Eckert, zu der es schon lange enge Beziehungen gibt. Da spricht man immer mal wieder darüber, ob es Sinn macht, Interessen zusammenzulegen. Um einen Verkauf geht es dabei aber nicht. Im Moment geht es uns als unabhängiges Unternehmen gut – und ich habe auch noch Spaß an der Arbeit.

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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