Mannheim. Der Nächste bitte - zahlreiche bekannte Handelsketten aus der Mode- und Schuhbranche sind in den vergangenen Monaten in finanzielle Schwierigkeiten gekommen und haben die Rettung in einem Schutzschirmverfahren gesucht. Zuletzt machten etwa der Warenhauskonzern Galeria, der Schuhhändler Görtz oder das Modeunternehmen Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf (P&C) damit Schlagzeilen. Erst war es die Corona-Pandemie mit lange Zeit geschlossenen Läden, jetzt sind es die hohe Inflation und die Kaufzurückhaltung, die den Unternehmen Schwierigkeiten bereiten.
Von der Wahrnehmung her gibt es kaum ein Modeunternehmen, das nicht schon in einer ähnlichen Lage war. Diese Einschätzung ist nicht falsch, bestätigt Jürgen Erbe: „Es gibt ja in der Modebranche fast keinen mehr, der sich nicht schon in irgendeiner Form restrukturiert und Altverbindlichkeiten abgestreift hat, etwa René Lezard, Gerry Weber, Hallhuber, Esprit oder Bonita.“ Der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der Sozietät Schultze & Braun in Mannheim wird an verschiedenen Amtsgerichten der Metropolregion Rhein-Neckar regelmäßig zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Ablauf
- „Der Schutzschirm zielt laut Gesetz auf die Einreichung eines Insolvenzplans innerhalb von drei Monaten“, erklärt Fachanwalt Jürgen Erbe. Da ein Insolvenzplan komplex sei und im vorläufigen Verfahren sich viele Dinge neu orientierten, sei es meistens schwierig, diese Dreimonatsfrist zu halten. Die Praxis zeige: Wenn man nach ein bis zwei Monaten nach Verfahrenseröffnung einen Insolvenzplan einreichen und bei den Gläubigern zur Abstimmung bringen könne, sei das zeitlich eine sehr gute Leistung.
- „Der Insolvenzplan kann viele Dinge vorsehen. Im Prinzip beschreibt die Geschäftsführung darin ihren Plan, wie sie ihr Unternehmen neu aufstellen möchte.“ Dazu notwendig seien manchmal frisches Geld, operative Maßnahmen, die Neuverhandlung oder die Beendigung von Verträgen - meist von allem etwas. Weil das Verfahren so komplex ist, setze es voraus, dass das Unternehmen währenddessen über ausreichend Liquidität verfügt, weil auch die Sanierung Geld koste und der Geschäftsbetrieb parallel weiterlaufe. Bei kleineren Unternehmen scheide das Verfahren daher meist aus. „Deshalb ist meine Einschätzung, dass es einer gewissen Größe bedarf, damit das Schutzschirmverfahren ein geeignetes Verfahren ist.“
- Ein Schutzschirmverfahren habe eine andere Außenwirkung, sagt Erbe: „Es ist zwar auch ein Insolvenzverfahren, aber die Menschen verbinden damit ein Restrukturierungsverfahren, nach dessen Abschluss es mit dem Unternehmen weitergeht.“ Das könne zwar im klassischen Insolvenzverfahren genauso sein, die Wahrnehmung in der Bevölkerung und bei den Mitarbeitern sei aber positiver, wenn Schutzschirmverfahren draufstehe.
- Dass in der Textilbranche viele Firmen dieses Verfahren wählen, liege meistens daran, dass es für die Größenordnung der betroffenen Unternehmen passend sei und viele Vorteile mit sich bringe. So könne etwa die Geschäftsführung mit ihrem Know-how und den Marktkenntnissen im Amt bleiben und die Sanierung selbst steuern. Gleichzeitig könne sie aber das gesamte Spektrum an Sanierungsinstrumenten aus dem Insolvenzrecht nutzen. „So kann sich die Gesellschaft finanzwirtschaftlich sehr schnell neu aufstellen und man muss häufig operativ nicht viel verändern.“
- Für eine Restrukturierung im Schutzschirmverfahren gebe es viele Möglichkeiten. „Wenn man alle Optionen sorgfältig prüft und die Maßnahmen konsequent umsetzt, dann wird das Verfahren erfolgreich sein.“ Scheitern könne es, wenn es zu optimistisch angegangen werde, sich während des Verfahrens Marktänderungen ergeben oder die prognostizierten Umsätze ausblieben. Dann müsse man ins Regelverfahren wechseln.
Die Inflation treffe auch die Modebranche, aber die Branche habe den Vorteil, dass sie sich teilweise schon in Zeiten neu aufgestellt habe, in denen die Voraussetzungen noch besser waren, sagt Erbe. „Auch die nachlassende Frequenz in den Innenstädten dürfte eine zusätzliche Herausforderung sein. Zunehmende Leerstände oder das Abwandern von wichtigen Frequenzbringern sind da kontraproduktiv.“ Als Sanierungsberater hat Erbe an mehreren großen Restrukturierungsfällen der vergangenen Jahre mitgewirkt, darunter bei den Modehändlern Esprit und Bonita oder der Fluggesellschaft Condor.
Was sind die Ursachen, dass es so viele Textilhändler trifft? Dass Fehler gemacht wurden, könne man nicht zwingend sagen, erklärt der Jurist. „Im Fashion-Bereich ist nach meiner Beobachtung vieles durch Veränderungen des Marktes verursacht, das sieht man jetzt auch bei Peek & Cloppenburg.“ Ein ganz großes Problem für den stationären Einzelhandel sei der Onlinehandel, außerdem die richtig großen und teuren Mietflächen für den stationären Handel in den Innenstädten, wo viel Liquidität gebunden werde. „Und dann sitzt bei den Kunden das Geld für Mode nicht mehr so locker. Wenn die Leute sparen müssen, tun sie das an den Dingen, die man nicht zwingend braucht.“
Aus der Erfahrung heraus würde es mich wundern, wenn alle Häuser bestehen bleiben. Vielleicht kann man sich an einigen Standorten verkleinern, das wäre sicher der Optimalfall.
Den Handelsexperten Jörg Funder von der Hochschule Worms hat das Schutzschirmverfahren von Peek & Cloppenburg „sehr erstaunt“. Früher sei das ein „wirkliches Vorzeigeunternehmen“ gewesen. Doch die Gründe für die Probleme seien ähnlich wie bei Galeria: „Sie haben das Onlinegeschäft verschlafen, die klare Arbeit an der Marke und der Positionierung ist ausgeblieben. Sie hatten nur 15 Prozent ihres Umsatzes über den Onlinehandel generiert.“ Das habe man ausbauen wollen und deshalb viel Geld in Onlinemarketingmaßnahmen gesteckt. „Das heißt, man hat versucht, sich Größe im Onlinemarkt zu kaufen, insbesondere in den Jahren 2020 und 2021. Mit den Marketingausgaben konnte man aber nicht so viele Umsätze erzielen, dass sich das gerechnet hat“, erklärt Funder.
Während Galeria Karstadt Kaufhof in seinem dritten Insolvenzverfahren - das erste gab es bereits, als Karstadt noch eigenständig war - mit der Bewilligung des Insolvenzplans durch die Gläubigerversammlung einen entscheidenden Schritt vorangekommen ist, steht P&C diese Hürde noch bevor. Anders als Galeria, die sich im Zuge der Sanierung von 47 ihrer 129 Kaufhäuser trennen wollen, will P&C einen anderen Weg gehen und an allen 67 Filialen in Deutschland festhalten. Von den etwa 6800 Beschäftigten soll es vor allem die Zentrale in Düsseldorf mit etwa 800 Mitarbeitern treffen.
In der Region hat Peek & Cloppenburg Läden in der Ludwigshafener Rhein-Galerie, im Viernheimer Rhein-Neckar-Zentrum und in der Mannheimer Innenstadt auf den Planken. Das dortige Haus, 2007 mit einem 50 Millionen Euro teuren Neubau als sogenanntes „Weltstadthaus“ eröffnet, hat schon eine Umstrukturierung hinter sich. Vor zwei Jahren wurden aus den bisher fünf Verkaufsetagen nur noch drei. Die Fläche wurde von etwa 11 000 auf rund 5000 Quadratmeter reduziert. Die Etagen ab dem zweiten Obergeschoss aufwärts sollen neu aufgeteilt und als Büros genutzt werden.
Einen ähnlichen Weg hat P&C in Ulm eingeschlagen. Und Handelsexperten gehen davon aus, dass weitere Filialen verkleinert werden könnten. Auch Sanierungsberater Jürgen Erbe sagt - ohne vertiefte Kenntnisse und Zahlen zum Unternehmen zu haben: „Aus der Erfahrung heraus würde es mich wundern, wenn alle Häuser bestehen bleiben. Vielleicht kann man sich an einigen Standorten verkleinern, das wäre sicher der Optimalfall.“
Auch über eine reduzierte Mitarbeiterzahl könne man die Profitabilität steigern. „Allerdings ist es entscheidend, gute Mitarbeiter mit verkäuferischem Talent zu haben, die dafür sorgen, dass der Kunde gut beraten wird und auch deshalb mehr einkauft. Deswegen ist es gefährlich, in schwierigen Zeiten zuerst beim Personal zu sparen.“
Handelsexperte Funder sieht P&C hier auf dem richtigen Weg: „Ich fand es interessant und vorausschauend, dass man gesagt hat, man will gar nicht Personal in den Filialen reduzieren. Man hat erkannt, dass man das Personal in den Filialen für den Erfolg braucht.“ Dennoch habe das Unternehmen große Herausforderungen, gerade in der Führungsstruktur. „Es gibt ein Führungsgremium aus zwölf Personen, da war es schon schwierig, die Ausrichtung hinzubekommen. Trotzdem glaube ich, dass es dem Unternehmen gelingen wird.“
Rechtsanwalt Jürgen Erbe sagt: „Weiterzumachen wie bisher und lediglich ein paar Leute in der Verwaltung abzubauen, wird nicht der Weg aus der Krise sein. Trotzdem glaube ich nicht, dass P&C komplett verschwindet.“ Auch Jörg Funder meint, „dass die Rettung gelingen kann“. P&C sei nach wie vor der größte filialisierte Textileinzelhändler in Deutschland. „Bei der Strategie, die sie ausgegeben haben, nämlich mehr über den stationären Handel zu verkaufen und weniger online, bin ich jedoch kritisch. Das vernachlässigt das aktuelle Einkaufsverhalten der Konsumenten. Da wird man sicher noch mal drüber nachdenken müssen.“
Ein „Generalkonzept“ für die Modebranche sieht Jürgen Erbe indes nicht: „Sonst würden uns wahrscheinlich alle, die in Schwierigkeiten sind, die Bude einrennen.“ Er nennt aber Ansatzpunkte: „Die stationären Händler müssen sich etwas einfallen lassen, damit sie mit dem Onlinehandel mithalten können.“ Das Problem sei: Alle, die ein Hybridmodell aus Online- und stationärem Handel hätten, verdienten meistens mit dem Onlinegeschäft kein Geld. Sie müssten aber irgendwie die Wende hinbekommen, um profitabler zu werden. „Ob durch Reduzierung von Mietflächen, mehr auf den Onlinehandel zu setzen, oder ob es eine ganz andere Philosophie braucht, um den Leuten das Shoppen schmackhafter zu machen, das ist noch niemandem wirklich klar“, sagt Fachanwalt Erbe und bringt es auf den Punkt: „Einfach ist es in der Branche im Moment jedenfalls nicht.“
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