Interview

Chef von Heidelberg Materials: „Ohne Fridays for Future wäre vieles nicht so schnell gegangen“

Der Zementhersteller Heidelberg Materials ist immer wieder Ziel von Protesten der Klimaaktivisten. Trotzdem zollt Vorstandschef Dominik von Achten der Bewegung seinen Respekt

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Dominik von Achten auf der Bühne bei der Feier zum 150. Geburtstag mit Beschäftigten in der Heidelberger Konzernzentrale. © Heidelberg Materials

Heidelberg. Herr von Achten, was hätte Ihr Unternehmensgründer Johann Philipp Schifferdecker zu dem neuen Namen Heidelberg Materials gesagt? Sie haben ja damit den Zement im Namen aufgegeben.

Dominik von Achten: Schifferdecker war offenbar ein sehr innovativer, unternehmerisch denkender Mensch. Er würde mit einem Lächeln auf die Namensänderung schauen und anerkennen, dass das für uns ein wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung war. Die Tatsache, dass er als Brauer im Alter von 62 Jahren plötzlich anfängt, Zement zu produzieren, ist schon sehr mutig.

Den neuen Namen gibt es seit rund einem Jahr, wie ist er angekommen?

Von Achten: Der Name ist voll akzeptiert. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wissen, wie wichtig die neue Marke ist, um die nächste Generation für uns zu begeistern. Junge Mitarbeiter zu gewinnen, fällt mit einer einheitlichen globalen Marke deutlich leichter.

Umtriebiger Gründer: Johann Philipp Schifferdecker, ca. 1880. © Heidelberg Materials

Und von extern? Gab es Vorwürfe von Greenwashing, also dass Sie den Konzern durch die Umbenennung klimafreundlicher machen, als er ist? Zement bleibt ja ihr Hauptprodukt. Und der ist für eine riesige Menge an Kohlendioxid verantwortlich.

Von Achten: Ehrlicherweise sind wir ein bisschen überrascht, dass aus dieser Richtung keinerlei Kritik kam. Ich glaube aber, dass wir inzwischen auch für die Klimaaktivisten glaubwürdig sind. Sie sehen, dass wir uns auf einen sehr intensiven Weg gemacht haben, um den Kohlendioxid-Ausstoß in unserer Industrie deutlich zu reduzieren. Und dass wir dabei ehrlich und transparent sind - und nichts hinter der grünen Tapete verstecken wollen.

Für Klimaaktivisten ist das Unternehmen ein Lieblingsfeind. Sie haben mehrfach gegen den Konzern protestiert, die Zufahrten und Eingänge blockiert. Wie kann da eine Annäherung aussehen?

Von Achten: Ich habe mich sehr gefreut, dass es bei der Hauptversammlung zu einem Austausch mit den Vertretern von Fridays for Future gekommen ist. Ich habe zusammen mit unserem Aufsichtsratschef Bernd Scheifele persönlich mit ihnen gesprochen.

Wie war das Gespräch?

Von Achten: Natürlich geht es ihnen nicht schnell genug mit der Reduzierung unserer CO2-Emissionen. Da kann ich nur sagen: Mir auch nicht! Aber wir müssen 51 000 Beschäftigte mit auf den Weg nehmen, wir brauchen die Politik, wir brauchen die Rahmenbedingungen, die Genehmigungen. Schauen Sie sich die Proteste gegen den Windpark vor Heidelberg an - es ist nicht so einfach, in Deutschland nachhaltige Projekte durchzusetzen. Aber eins ist klar, ohne die Fridays-for-Future-Bewegung wäre vieles in Richtung Dekarbonisierung nicht so schnell gegangen. Das muss man fairerweise sagen - die Bewegung hat eine Menge erreicht.

Dominik von Achten

  • Dominik von Achten führt Heidelberg Materials (bis 2022 HeidelbergCement) mit weltweit 51 000 Beschäftigten in 50 Ländern seit 2020.
  • 1873 baute Johann Philipp Schifferdecker eine Mühle in Heidelberg zu einer Zementfabrik um. Das war der Grundstein zu einem der weltweit größten Baustoffhersteller.

Heidelberg Materials will über die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid den eigenen CO2-Fußabdruck verringern. Dazu gibt es einige große Projekte. Aber die alleine genügen nicht. Wo stehen Sie auf dem Weg vom Klimakiller zur Klimaneutralität?

Von Achten: Wir kommen der ganz entscheidenden Weggabelung jetzt sehr nahe. Ende nächsten Jahres werden wir als erster Hersteller weltweit in der Lage sein, den ersten dekarbonisierten Klinker und Zement in größerem Stile zu produzieren und zu verkaufen. Das heißt, der Zement wird CO2-frei. Diese Nuss hat bisher noch keiner geknackt. Dass uns das zugetraut wird, sehen Sie schon in der Aktienkursentwicklung in den letzten neun Monaten. Ein viel besseres Investment hätten Sie kaum finden können.

Wie funktioniert eine CO2-neutrale Produktion im Zementwerk?

Von Achten: Anders als in anderen Branchen gibt es bei der Zementherstellung kein technisches Verfahren zur Vermeidung der rohstoffbedingten CO2-Prozessemissionen. Dieses CO2 ist schlicht unvermeidlich. Um komplett klimaneutral zu werden, muss das CO2 deshalb abgeschieden, genutzt oder unterirdisch gespeichert werden. In unserem norwegischen Werk in Brevik nehmen wir bereits Ende nächsten Jahres die weltweite erste CO2-Abscheideanlage in der Zementindustrie in Betrieb. Das abgeschiedene CO2 wird vor der Küste Norwegens eingelagert.

Dieser Zement wird teurer sein. Wie groß sind die Chancen, dass er auch gekauft wird?

Von Achten: Der Markt ist da, die Nachfrage kommt. Schauen Sie, es werden jährlich 4,5 Milliarden Tonnen Zement produziert. Was für ein gigantischer Markt! Und bisher haben alle Hersteller das mehr oder minder gleiche Produkt angeboten. Sich in so einem riesigen Markt im Produkt differenzieren zu können - diese Gelegenheit kommt in 100 Jahren einmal vorbei. Das sage ich auch unseren jungen Mitarbeitern: Die Chance, an so einer Weggabelung mitzuarbeiten, kommt nicht in jeder Generation.

Die millionenschweren Projekte zur CO2-Abscheidung sind etwa in Norwegen, in Kanada und den USA - aber nicht in Deutschland.

Von Achten: Wir wollen so schnell wie möglich die großen Projekte in Deutschland voranbringen. Für die Abscheidung und Speicherung von CO2 gibt es in Deutschland aber noch keine politischen Rahmenbedingungen. Das Bundeswirtschafts und -klimaministerium erarbeitet gerade eine Strategie dazu, da muss noch vieles konkretisiert werden. Immerhin ist jetzt ein Vorverfahren für die sogenannten Klimaschutzverträge gestartet worden. Dabei geht es um Zuschüsse für besonders vielversprechende Projekte zur Reduzierung von Kohlendioxid. Daran werden wir uns beteiligen. In der Zwischenzeit haben wir bereits mehrere Projekte gestartet. Im Zementwerk Lengfurt wollen wir bereits ab 2025 CO2 abscheiden und zum Beispiel für die chemische Industrie oder für Mineralwasser aufbereiten.

Heidelberg Materials hat sehr unter den hohen Energiepreisen gelitten und daher ältere Anlagen heruntergefahren. Wollen Sie - wie BASF - Anlagen ganz stilllegen?

Von Achten: Die Lage hat sich beruhigt. 120 bis 150 Euro pro Megawattstunde Strom ist aber immer noch sehr viel teurer als vor dem Ukraine-Krieg. Es ist zu früh, Entwarnung zu geben, auch wenn es aktuell nicht mehr diese explosionsartigen Preissteigerungen wie im Vorjahr gibt. Für uns gibt es derzeit dennoch keinen Anlass für größere Eingriffe in der Produktion. Es ist nicht geplant, Anlagen deshalb stillzulegen.

Wie ist der Stand in Russland? Laufen die drei Werke weiter oder droht die befürchtete Enteignung?

Von Achten: Für den Moment haben wir uns entschieden, die drei Werke auf Sparflamme weiter laufenzulassen. Russland hat klargemacht, dass bei einem Rückzug die Enteignung käme. Dass dann die Werke an die russische Regierung fielen, würde keinem helfen. Die Situation bleibt angespannt, wir setzen uns ständig mit dem Thema auseinander. Es ist auch möglich, dass wir morgen eine andere Entscheidung treffen. In dem Zusammenhang ist mir auch wichtig zu betonen, dass wir zahlreiche humanitäre Aktionen für die Ukraine unterstützen. In unserer alten Dienstvilla in Leimen wohnt zum Beispiel eine geflüchtete Familie aus der Ukraine.

Sie hatten kürzlich offenbar IT-Probleme wegen Hacker-Angriffen. Wie groß war der Schaden?

Von Achten: Wir sehen generell eine erhöhte Gefahrenlage für Unternehmen bei Cyber-Attacken. In den vergangenen Jahren und Monaten gab es immer wieder Angriffe auf Heidelberg Materials, aber wir sind gut durchgekommen. Es gab zu keiner Zeit einen Ausfall von Fabriken, und unsere Kunden wurden weiter beliefert. Aber es wird für viele Unternehmen in Deutschland und Europa ungemütlicher. Diese kriminelle Industrie ist inzwischen sehr groß. Deshalb haben wir unsere Schutzmaßnahmen kurzfristig massiv verstärkt und geplante Investitionen zur IT-Sicherheit vorgezogen.

Was bedeutet die Stadt Heidelberg als Unternehmenssitz für einen global agierenden Konzern?

Von Achten: Es ist ja nicht in Beton gesetzt, dass ein Unternehmen 150 Jahre alt wird und am selben Standort bleibt. Das weiß auch die Stadt Heidelberg zu schätzen - so viele Dax-Unternehmen gibt es ja nicht in Heidelberg. Dass es für die Stadt nicht immer leicht war, ihre Ziele zur Klimaneutralität mit einem Zementhersteller vor Ort in Einklang zu bringen, das kann ich verstehen. Das ist jetzt aber - mit unserer CO2-Strategie - einfacher geworden. Es ist ein Geben und Nehmen. Wir haben uns bei der Umbenennung bewusst dafür entschieden, Heidelberg im Namen zu behalten. Da ist auch ein gewisser Stolz dabei.

Zum 150. Geburtstag stiftet der Konzern 150 Bänke und Bäume für das Heidelberger Stadtgebiet Haben Sie schon einen Wunschort, wo Sie sich hinsetzen wollen?

Von Achten: Diese Sitzplätze sollen die Leute anregen, sich zu einem Plausch über Dinge hinzusetzen, über die man sonst im Alltag nicht redet, etwa über Innovationen, wie wir künftig leben wollen. Es sollen Mini-Kommunikationspunkte werden. Ich werde mir eher die weniger prominenten Orte aussuchen, wo es etwas heimeliger ist.

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