Walldorf. „Here we are, hier sind wir also.“ Mit diesem Satz beginnt die Ära von Christian Klein an der Spitze von SAP.
Es ist Oktober 2019. Die Nachricht, dass Klein gemeinsam mit Jennifer Morgan Europas größten Softwarekonzern führen soll, verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Ein vergleichbares Duo hat die deutsche Wirtschaft bis dahin nicht gesehen: Morgan ist die erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns, Klein mit damals 39 Jahren der jüngste Chef. SAP gelingt ein Coup.
Morgan allerdings kann sich nur ein paar Monate halten. Im April 2020, kurz nach Beginn der Corona-Krise, verlässt sie SAP Knall auf Fall.
Was für diese Geschichte viel wichtiger ist: Klein steht allein ganz oben. Here I am, hier bin ich also.
August 2025. Klein ist weiterhin die unangefochtene Nummer eins. In den vergangenen fünf Jahren hat er SAP gegen Widerstände neu ausgerichtet – vom klassischen Softwarehersteller hin zum Cloud-Dienstleister. Inzwischen ist SAP der mit Abstand wertvollste Dax-Konzern, zeitweise sogar der wertvollste börsennotierte Konzern Europas. Das Cloud-Geschäft wächst. Die Gewinne steigen. SAP ist das einzige deutsche Unternehmen, das in der Liga der IT-Giganten aus den USA mitspielen kann.
Wer ist dieser Christian Klein, einer der mächtigsten Manager Deutschlands?
Ortstermin in Walldorf. Klein steht vor dem S.Mart-Store, ein hochautomatisierter Supermarkt, in dem ausschließlich SAP-Beschäftigte einkaufen können. Rund um die Uhr geöffnet, quasi ohne Personal. Künftig brauche er an langen Arbeitstagen nicht mehr den Schokoladenvorrat seiner Assistentin zu plündern, sondern könne selbst etwas Süßes besorgen, scherzt Klein.
Christian Klein pflegt Start-up-Mentalität
Auf öffentlichen Terminen wirkt der Topmanager freundlich, fast bescheiden und kumpelhaft. Einer, der bei allen ankommen will. Oft trägt der 45-Jährige Sneaker und Pullover. Ein Hauch Start-up-Mentalität: jung, zupackend, innovativ. Klein ist wie ein Star in der Szene, grinst regelmäßig von den Titelseiten der Wirtschaftsmagazine.
Gleichzeitig drückt dieser Topmanager knallharte Sparprogramme durch, lässt keinen Stein auf dem anderen, zieht die Zügel in der Belegschaft an. Damit macht er sich nicht nur Freunde.
Da ist die Order, nach Corona wieder häufiger ins Büro zu kommen. Da ist das neue Bewertungssystem, das Beschäftigte in Leistungskategorien einteilt – blau für Leistungsträger, gelb für Low-Performer, die sich verbessern müssen. Und da ist die Forderung: reflektiert euere Arbeit mehr, seid selbstkritischer! Wenn sich alle nur gegenseitig auf die Schulter klopfen, nützt das keinem.
Kind der Region
- Christian Klein wurde am 4. Mai 1980 in Heidelberg geboren. Er ist in Mühlhausen (Rhein-Neckar-Kreis) aufgewachsen, in Östringen zur Schule gegangen und hat in Mannheim studiert.
- Die Karriere bei SAP begann Klein 1999 als Werkstudent .
- Im Vorstand sitzt der Manager seit 2018, an der Spitze ist er seit Oktober 2019. Zuerst gemeinsam mit Jennifer Morgan, seit Mitte April 2020 allein.
- Der Vater zweier Kinder bezeichnet sich auf der Plattform X als „Fußball-Begeisterter“. Welche Mannschaft er anfeuert, ist ein gut behütetes Geheimnis.
- Sein Vater, Karl Klein , saß lange für die CDU im Landtag Baden-Württemberg.
Für Unruhe sorgt Klein, als er bei Diversitätszielen in den USA zurückrudert, weil Präsident Donald Trump, höflich ausgedrückt, Vielfalt nicht leiden kann. Was für Klein eine geschäftliche Notwendigkeit sein mag – immerhin sind die USA der größte Markt für SAP – schimpft die Heidelberger IG Metall ein Unding. Sie unterstellt SAP „ein Glaubwürdigkeitsproblem“.
Künstliche Intelligenz hält Klein nachts wach
Bei der Transformation will Klein indes keine Zeit verlieren. Die Wucht der Künstlichen Intelligenz (KI) und die Geschwindigkeit, in der sich Innovationen entwickeln, hielten ihn nachts wach, wie er in einem Interview verrät. Auf der Kundenmesse Sapphire in Orlando scheint es nur ein Thema zu geben: KI, KI, KI. „Wir treiben die digitale Transformation voran, damit Kunden in einer zunehmend unberechenbaren Welt weiter erfolgreich bleiben.“ Das Versprechen: Mit Künstlicher Intelligenz sind Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent möglich. Ist das kühn, realistisch, überzogen?
Andreas Hahn, Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats, hegt zumindest Zweifel. Er wundert sich im Wirtschaftsmagazin „Capital“ über die Messgröße, „die wir nicht nachvollziehen können“.
Mit dem „Transformationsprogramm“ geht ein Abbau von etwa 10.000 Stellen einher. In Zukunft sollen weiter Jobs gestrichen werden, wenn auch kontinuierlicher. Mal ein, mal zwei Prozent Stellen jährlich. Das Unternehmen solle das Geld lieber für KI-Weiterbildungen nutzen, anstatt es in Abfindungen zu stecken, moniert Eberhard Schick, Vorsitzender des Betriebsrats der SAP SE.
Klein gibt sich unbeirrt. Das Versprechen, Jobs in Wachstumsfeldern zu schaffen, hält er jedenfalls. SAP zählt weltweit mittlerweile mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als vor dem großen Abbauprogramm. Zur Wahrheit gehört allerdings, dass viele Jobs nicht in Deutschland entstehen, sondern in Indien.
Mitarbeiterbindung bei SAP steigt wieder
In der jüngsten Befragung fällt der Stresslevel unter SAP-Beschäftigten in Walldorf etwas höher aus als im vergangenen Jahr. Zwar sind Mitarbeiterbindung und Vertrauen in die Ausrichtung des Konzerns deutlich gestiegen. Doch SAP erklärt: „Wir haben noch nicht das gewünschte Niveau erreicht.“
Zumindest nach außen hin ist mehr Ruhe eingekehrt. Im vergangenen Jahr um diese Zeit hat SAP bereits spektakuläre Personalwechsel und Prozesse vor dem Arbeitsgericht Mannheim hinter sich. Mittlerweile gibt sich Klein durchaus selbstkritisch: „Das Veränderungstempo war zuletzt sehr hoch, und ich hätte vielleicht beim einen oder anderen Thema drosseln können.“
Christian Klein hat sein gesamtes Berufsleben bei SAP verbracht
Dass ein Konzern wie SAP – mit weltweit fast 110.000 Beschäftigten und 200.000 Kunden – schwieriger zu manövrieren als wie ein kleines Start-up, liegt auf der Hand. Klein hilft bei der Transformation, dass er jeden Winkel des Unternehmens kennt. Immerhin hat der 45-Jährige bisher sein gesamtes Berufsleben bei SAP verbracht, sich vom Werkstudenten zum Vorstandsvorsitzenden hochgearbeitet.
Das Bodenständige will er, so gut es geht, erhalten. Klein verabredet sich mit Kolleginnen und Kollegen in der Kantine. Auf der Weihnachtsfeier schenkt er Glühwein aus. Sich geduzt wird bei SAP sowieso. Klein, der laut Vergütungsbericht im Jahr 2024 etwa 19 Millionen Euro verdient hat, ist einer von nebenan: In Mühlhausen (Rhein-Neckar-Kreis) aufgewachsen und bis heute in der 8.800-Seelen-Gemeinde zu Hause. Der badische Sing-Sang kommt immer durch – selbst, wenn Klein Englisch spricht.
Investitionsgipfel „Made for Germany“ bei Bundeskanzler Friedrich Merz
Seine Agenda wird zunehmend politisch. Die Rahmenbedingungen für die IT-Branche in Europa? Ausbaufähig. Die Regularien? Lähmen mehr und mehr, da muss man bitte dringend ran. Gerne trommelt der Manager gegen die Förderpolitik der Europäischen Union. Statt in KI-Rechenzentren zu investieren, sollte das Geld lieber in Anwendungen und digitale Bildung fließen, ist Klein überzeugt.
Anfang des Jahres weilt Klein beim Weltwirtschaftsforum in Davos, Ende Juli posiert er gemeinsam mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Spitzenmanagern von mehr als 60 Unternehmen. Es soll ein Aufbruchssignal sein: Seht her, wir investieren! Klein schreibt auf Linkedin: „Deutschland hat alles, was es braucht, um ganz oben mitzuspielen – da liegt es wirklich in unseren eigenen Händen, diese Chance zu ergreifen und zu verwirklichen!“ Die öffentliche Diskussion allerdings dreht sich hauptsächlich um das Missverhältnis zwischen Männern und Frauen auf dem Gruppenfoto.
Kleins Vertrag bei SAP gilt bis 2030. Dann wäre er elf Jahre lang Vorstandsvorsitzender des Softwareherstellers. Sogar länger als Mitgründer Dietmar Hopp, der in der Zentrale bis heute „Vadda Hopp“ genannt wird.
Von einem anderen Mitgründer, dem mächtigen Ex-Aufsichtsratsvorsitzenden Hasso Plattner, hat Klein gelernt, dass ein Netzwerk von Vertrauten über alles oder nichts entscheidet. So scharrt er Manager um sich, die er schon seit vielen Jahren kennt und in ähnlichem Alter sind: Technologie-Chef Philipp Herzig zum Beispiel, Strategie-Chef Sebastian Steinhäuser oder Cloud-Chef Thomas Saueressig.
Das operative Geschäft sollte die nächste Zeit gut laufen. Der Cloud-Auftragsbestand ist üppig. Zudem werden viele weitere Kunden in die Cloud umsteigen. Schon allein, weil sie sonst von technologischen Neuerungen abgeschnitten wären.
Klein ist er klug genug zu wissen, dass fünf weitere Jahre in der rasanten Softwarebranche fast eine Ewigkeit sind. Dass die Konkurrenz gnadenlos ist, wenn man einen Moment nicht aufpasst. Und dass die Fallhöhe aufgrund des bisherigen Erfolgs gewaltig ist.
Auf dem Karrierenetzwerk Linkedin findet sich dieser Tage ein interessantes Job-Angebot von SAP. Das Unternehmen will die Stelle eines Kommunikationsexperten nachbesetzen, eng an der Seite des Chefs, am besten mit mindestens zehn Jahren Berufserfahrung, „für die Gestaltung und Vermittlung der Vision, der Strategie und der Kernbotschaften des CEO“. Christian Klein ist in Walldorf noch lange nicht fertig.
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