Literatur

Bestsellerautorin Noll liefert mehr als nur „Ein Gruß aus der Küche“

Die Weinheimer Autorin Ingrid Noll serviert ihren Lesern mit "Gruß aus der Küche" ein Psychogramm kurioser Typen, deren Schicksal sich in einem vegetarischen Restaurant entscheidet

Von 
Helmut Orpel
Lesedauer: 
Die Schriftstellerin Ingrid Noll sitzt in einem Zimmer ihres Wohnhauses. Am Mittwoch ist ihr neuer Roman erschienen. © Uwe Anspach/dpa

Das Gasthaus „Zum Hirschen“ im Odenwald ist ein heimeliger Ort. Mit Sicherheit hatte Ingrid Noll, die Autorin aus Weinheim, die seit 1991 einen Bestseller-Roman nach dem anderen schreibt, einen solchen Gasthof vor Augen, als sie mit dem Konzept für „Gruß aus der Küche“ begonnen hat.

Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp



Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt

Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen

Liest man das erste Kapitel, das mit „Nudeldicke Dirn“ überschrieben ist, hört man gleich die Dielen knarren und spürt die weiche Luft des Sommerabends an einem solchen Ort. Gleichzeitig hört man das Lied, ja, denn zur „Nudeldicken Dirn“ gehört doch bekanntermaßen der „Spannenlange Hansel“, und der kommt uns unmittelbar in Gestalt des Kellners entgegen. Josch ist lang und groß und, im Gegensatz zu Irma, wie die Dirn mit bürgerlichem Namen heißt, ein rationaler Typ, der trotz seines lässigen Erscheinungsbildes etwas von Buchhaltung und kaufmännischer Kalkulation versteht, viele Reisen unternommen hat und sogar an der Universität studierte. Hierbei brachte er es allerdings nicht zu einem Abschluss, was seinem Ansehen als Intellektuellen in der „Aubergine“, in welche „Der Hirsch“ nach der Übernahme durch Frau Irma umbenannt wurde, keinen Abbruch tut.

Blick in die Tiefe der Wünsche

Die Aubergine - man ahnt es schon, denn den Duft deftiger Fleischgerichte, wie er eben zu den bodenständigen Lokalen an der Bergstraße gehört, schnuppert man hier nicht. Geschmorter Lauch, gebackene Auberginen, oder duftendes Gemüse entwickeln hier das dominierende Odeur.

Und für den Schnitt des Gemüses zuständig ist der Gemüsemann. Dies ist eine weitere geheimnisvolle Figur in dem an Überraschungen reichen Lokal. Vinzent, der Siegreiche, was der Name eigentlich bedeutet, ist ein alter Mann, der bei der Stammbelegschaft als vertrottelt gilt. Aber, was die Intellektualität angeht, ist er es, der es wirklich zu einem Doktortitel geschafft hat, wenn das dafür ein Beweis sein sollte. Aber davon weiß nur Irma. Irma La Duce, wie sie gelegentlich von den Gästen genannt wird. Sie ist die Einzige, die nicht über den Gemüsemann lästert, ihn in Schutz nimmt und achtet. Sein Geheimnis aber erfährt sie auch erst nach und nach, wie es sich für einen guten Roman gehört.

Ingrid Noll, ihre Lesungen und das Buch

  • Ingrid Noll wurde am 29. September 1935 in Shanghai geboren. Sie studierte in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte und lebt heute in Weinheim. Nachdem ihre drei Kinder das Haus verlassen hatten, begann sie Krimis zu schreiben, die zu Bestsellern und verfilmt wurden. Zum Beispiel mit Katja Riehmann als „Die Apothekerin“.
  • 2019 ernannte die Mannheimer Polizei sie zur Ehrenkriminalhauptkommissarin. Seit 2021 gibt es in Weinheim den Ingrid-Noll-Weg mit 13 Stationen in der Innenstadt. Wer ihm folgt, kann sich von einem über QR-Code abrufbaren Audiokommentar der Bestseller- Autorin von Station zu Station führen lassen.

Zum Buch: Ingrid Nolls „Gruß aus der Küche“. Diogenes Verlag. 304 Seiten, 26 Euro.

  • Lesungen von Ingrid Noll:
  • Weinheim, Buchhandlung Beltz (Atrium) 7. März, 19.30 Uhr.
  • Heidelberg, Buchhandlung Schmitt & Hahn, 14. März, 20.15 Uhr.
  • Schwetzingen Kulturzentrum, 17. März, 11 Uhr. jpk

Die Erzählweise, die Ingrid Noll wählt, ist bemerkenswert. Die Geschichte, die sie erzählt, entwickelt sie aus den total unterschiedlichen Perspektiven ihrer Protagonistinnen und Protagonisten. So erlebt der Leser und die Leserin die Welt aus den Augen von Josch, der als Macho-Mann und Macher Typ das Heft, zumindest eine Zeitlang, in der Hand hält, oder aus denen seines Antagonisten, des Gemüsemannes.

Lucy in the sky

Auf diese Weise vermittelt die Autorin die Erkenntnis von der Relativität einer Subjektivität, die sich immer für Absolut hält. Besonders bezeichnend hierfür ist dies für die Jüngste im Team der „Aubergine“, nämlich Lucy, die auch hier wieder mit Lucy in the sky eine musikalische Konnotation verpasst bekommt. Dieser siebzehnjährige Springinsfeld hat es doch glatt auf den sehr viel älteren Josch abgesehen, und es gelingt der Autorin die erzählerische Dynamik veritabel zu steigern, indem sie den pädagogisierenden Ex-Weltenbummler zu Lucy in die Kiste lockt. Bei einem weiteren Abenteuer dieser Art taucht unerwartet der Vater auf, was zu weiteren Turbulenzen führt.

Es ist wirklich erstaunlich, und hier ein weiteres großes Kompliment an die Autorin, wie frei ihre Prosa mit diesen doch eher ungewöhnlichen Situationen umgeht, und wie menschenfreundlich unkonventionell in einer Zeit, in der sich manche gern bei solchen ungleichen Paarungen als Sittenwächter aufspielen. Ingrid Noll hat das nicht nötig. Und das ist auch gut so. Die Ehrenhauptkommissarin des Mannheimer Polizeireviers, zu der sie vor ein paar Jahren ernannt wurde, kennt offensichtlich die Geschichten, die das Leben schreibt. Vor allem für Irma ist die Geschichte zwischen Lucy und Josch tragisch und es gibt ihr einen Stich ins Herz, als die Klatschbase Nicole, von Lucy angestachelt, die Wahrheit ans Licht bringt.

Lässt man die Geschichten der einzelnen Figuren nach der Lektüre Revue passieren wird deutlich, dass man den neuen Roman von Ingrid Noll keineswegs einfach in eine Schublade stecken kann. Der Hintergrund ist viel weiter gefasst: Es sind die Schicksale unterschiedlicher Generationen, deren Lebensentwürfe in gewisser Weise gebrochen, hier in dieser kleinen lokalen Welt aufeinandertreffen.

Gebrochen oder nicht, Traum oder Realität, sie bilden ein buntes Kaleidoskop menschlichen Daseinsformen, deren Dialektik sich in einem Wechselspiel zwischen Wunsch und Wirklichkeit erfüllt. Die Prosa der Autorin ist angenehm zu lesen, nicht zuletzt auch deswegen, weil die Figuren von ihr warmherzig mit großer Empathie gestaltet wurden.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke