Editorial Bereit zum Streit an Weihnachten?

"MM"-Chefredakteur Karsten Kammholz ist überzeugt: Eine erschütterte Gesellschaft darf zum Weihnachtsfest politisch werden. Der Familienfrieden lebt von etwas anderem

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Karsten Kammholz
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Mannheim. Haben Sie auch das Gefühl, dass sich Weihnachten in diesem Jahr wie ein kurzer Zwischenstopp anfühlt? Wie ein knapper Atemzug, und wehe, man holt zu tief Luft. Als ob allein der Wunsch, sich fallenzulassen eine Gefahr in sich birgt.

Wie also soll man zur Ruhe kommen, wenn alles um einen herum in Unruhe geraten ist? Die innere Stimme warnt: Sorge Dich, das Leben wird so schnell nicht besser. Sei diszipliniert, sonst holt Dich eine der vielen Krisen ein. Sei wachsam, denn die Welt ist schon aus den Fugen.

Im Wahlkampf wird der Streit ohnehin zur politischen Pflicht, aber leider zu selten mit Niveau. Wird das jetzt alle vier Jahre so? Wahlkampf zu Weihnachten?

2024 endet mit einer Horrortat, deren Aufklärung die Behörden in Bedrängnis bringt und politisch die Feiertage dominieren wird. 2025 wirft längst seine Schatten voraus. Die vorgezogene Bundestagswahl hat die allgemeine Stimmungslage im Advent geprägt, so dass zu erahnen ist, wie unbarmherzig sich jetzt erst recht die Debatten um Schuld und Konsequenzen der Magdeburger Tat über die Weihnachtszeit ziehen werden. Im Wahlkampf wird der Streit ohnehin zur politischen Pflicht, aber leider zu selten mit Niveau. Wird das jetzt alle vier Jahre so? Wahlkampf zu Weihnachten?

Besinnlich soll doch dieses Fest sein, friedlich und still, nach den Anstrengungen und der Hektik des Jahresendspurts. Weihnachten soll uns doch zum Wesentlichen unseres Daseins und des Miteinanders führen, zur Liebe. Da darf die Politik gern mal außen vor bleiben.

Nur das wird in diesem Jahr kaum funktionieren. Verwandte begegnen sich an den Feiertagen, am festlich gedeckten Tisch beginnen sie zu diskutieren: Wie sicher ist unser Land noch? Und überhaupt: Wen wählen? Welche Kandidierenden überzeugen, welche nicht? Wer bringt Deutschland am ehesten voran? Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach könnten ausgerechnet diese vermeintlich ruhigen Tage zu politischen Verschiebungen führen. Denn 45 Prozent der Befragten seien noch unentschieden, wen sie am 23. Februar wählen wollen.

Je geringer die Erwartungen an die heile Familienwelt sind, desto weniger können sie enttäuscht werden.

Die weihnachtlichen Gesprächsthemen können demzufolge das Meinungsklima verändern. Dafür werden zum einen die jüngsten, erschütternden Ereignisse sorgen, zum anderen die Krisendauerbrenner: Migration, die wirtschaftliche Lage, Preissteigerungen, Krieg in der Ukraine, Donald Trump. Es sind wahrhaft politische Zeiten - natürlich auch unterm Weihnachtsbaum.

Allerdings ist die Politik sicher nicht schuld daran, wenn die Diskussionen - etwa rund um die bevorstehende Wahl - den Familienfrieden gefährden. Die Psychotherapeutin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl hat vorsorglich einige Tipps formuliert. Man könne sich gedanklich vorbereiten, wenn man schwierige Diskussionen befürchte. Sollten politische Themen zu Spannungen in den Familien führen, rät Stahl zu bewusstem innerlichem Abstand, zu ruhigen oder humorvollen Reaktionen auf Provokationen. Das Gesagte des Gegenübers solle man nicht allzu sehr zu sich herüberholen. Die Psychotherapeutin empfiehlt, sich auf positive Gespräche und gemeinsame Erlebnisse zu konzentrieren.

Dieser Rat ist ohnehin der klügste für alle Weihnachten. Schließlich sind es häufig auch alte familiäre Konflikte und unausgesprochene Bedürfnisse, die es zum Fest krachen lassen. Je geringer die Erwartungen an die heile Familienwelt sind, desto weniger können sie enttäuscht werden.

Vielleicht lohnt es sich einmal, die vermeintliche weihnachtliche Pflicht aufzubrechen, stets die engen Familienkreise bedienen zu müssen. An der Krippe Jesu standen mit Ochs und Esel, den Hirten und den Heiligen Drei Königen auch ungebetene Gäste. Laden Sie doch spontan Menschen ein, die ihnen gar nicht allzu nahestehen. Im besten Fall wird Ihr Weihnachten viel friedlicher, herzlicher und liebevoller als befürchtet. Und sprechen Sie ruhig auch über Politik. Eine neue Meinung zu hören, hat noch nie geschadet.

Frohe Weihnachten, liebe Leserinnen und liebe Leser!

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur

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