Die meisten Portugiesen wollten einfach noch nicht gehen. Weit nach Mitternacht auf den breiten Treppen runter auf die Leipziger Festwiese haben sich viele wieder umgedreht, das Smartphone gezückt, um diese betörend illuminierte Kulisse zu knipsen.
Dass es in der Heimstätte von RB Leipzig aus vielen Lampen Rot leuchtete; dass auch der tschechische Kontrahent eine Rot gewandte Armada ans Sportforum schickte, mag Zufall gewesen, aber irgendwie fügten sich sogar die letzten über der sächsischen Metropole zuckenden Blitze ins Bild der roten Träume. „Até ao fim, Portugal“ (Bis zum Ende, Portugal), schrieb Cristiano Ronaldo zu einem Zeitpunkt, als viele Landsleute noch in den vollgestopften Straßenbahnen steckten.
Christiano Ronaldo noch immer zeitloser Wesenskern der portugiesischen Nationalmannschaft
Der auf Social Media bereits mit dem EM-Finale flirtende Superstar konnte gut damit leben, nach dem Arbeitssieg gegen Tschechien (2:1) nicht als „Man of the match“ in die Pressekonferenz kommen zu müssen. Diese Auszeichnung war beim fleißigen Mittelfeldmann Vitinha besser aufgehoben, der mit 24 die besten Jahre noch vor sich hat.
Sein Kapitän ist zwar 15 Jahre älter, aber irgendwie noch immer zeitloser Wesenskern der Seleção. Wenn die Turnierpremiere für Portugals Nationaltrainer Roberto Martinez eine Erkenntnis lieferte, dann diese: Der Spanier könnte den Spagat schaffen, CR7 so einzubinden, dass dessen Erfahrung jederzeit zum Faktor werden kann, doch die Auswahl scheint nicht mehr abhängig von der Form der nach Saudi-Arabien ausgewanderten Ausnahmeerscheinung.
„Wir haben die Nerven behalten und sind als Team aufgetreten“, resümierte Martinez. Der 50-Jährige weiß, dass er jeden Machtkampf mit dem Nationalheiligen verlieren würde, also kommt sein Konstrukt schlüssig rüber. Zumal der fünfmalige Weltfußballer offenbar beschlossen hat, dem Beispiel Lionel Messis bei der WM 2022 in Katar zu folgen: mit der Kapitänsbinde zuvorderst eine befruchtende Positivität zu vermitteln.
Seinen fahrigen Sturmpartner Rafael Leão feuerte Ronaldo bis zu dessen Auswechslung demonstrativ an.
Am Ende vereinten sich in seinem 208. Länderspiel bei ihm mal wieder die meisten Torschüsse. Hätte der seine sechste EM spielende Rekordjäger bei seinem Kopfball an den Innenpfosten nicht eine Armbreite im Abseits gestanden, wäre Joker Diogo Jota der Siegtorschütze gewesen (87.). So nahm die Heldenrolle Francisco Conceição an, der eine Vorlage des ebenfalls eingewechselten Pedro Neto mit gütiger Mithilfe des Gegners verwertete (90.+2).
Der 21-jährige Sohn des hierzulande gut bekannten Sergio Conceição - er schoss einst drei Tore für Portugals B-Elf gegen Deutschland beim EM-Versagen 2000 - tat es einem Ronaldo gleich, als er sich beim Jubeln das Trikot vom Leib riss.
Portugal klar überlegen: 70 Prozent Ballbesitz, 13:0 Ecken
Es sind genau solch emotionale Achterbahnfahrten, weswegen Anhänger ins Stadion kommen. Der Europameister von 2016 tat sich irgendwie schwer, geriet unvermittelt durch Lukas Provod (62.) in Rückstand, kam durch ein Eigentor von Robin Hranac (69.) zurück und sackte spät, aber nicht zu spät die Belohnung ein. Bei 13:0 Ecken, 70 Prozent Ballbesitz und 57 Prozent gewonnener Zweikämpfe war Portugals Auftaktsieg hochverdient.
Spannend wird, wie sich die immer noch vom inzwischen 41 Jahre alten Pepe organisierte Defensive nun bereits am Samstag gegen einen Gegner wie die Türkei schlägt, der in Dortmund dann selbst den Vorwärtsgang sucht.
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