Fußball

Ex-Bundestrainerin Silvia Neid: „Dieses Team hat mitgerissen“

Elf Jahre lang - von 2005 bis 2016 - war Silvia Neid Bundestrainerin der DFB-Frauen. Ihre Erfolgsbilanz ist einmalig. Im Interview verrät sie, was der Schlüssel zu großen Titeln ist und wie sie den Frauenfußball aktuell sieht.

Von 
Frank Hellmann
Lesedauer: 
Die vielen Erfolge von Silvia Neid als Bundestrainerin werden wohl unerreicht bleiben. © Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Als Bundestrainerin war Silvia Neid bei drei Weltmeisterschaften für das deutsche Frauen-Nationalteam verantwortlich. Gleich bei ihrem ersten Turnier 2007 in China gab es den zweiten WM-Titel für Deutschland. Seitdem warten die DFB-Frauen auf ihren dritten Stern.

Frau Neid, Sie leiten die Abteilung Trendscouting im Frauen- und Mädchenfußball beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Das hört sich danach an, als seien Sie noch häufiger auf Reisen als früher als Bundestrainerin?

Silvia Neid: Meine Tätigkeit bedeutet tatsächlich, dass ich bei Champions-League-Spielen, bei Europa- und Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen bin. Wir wollen sehen, was im Frauenfußball international passiert.

Dann können Sie uns wahrscheinlich genau sagen, was Deutschland in einer Gruppe mit Marokko, Kolumbien und Südkorea erwartet?

Neid: Eigentlich ist das nicht explizit mein Aufgabengebiet, weil Marokko nicht zu den führenden Nationen gehört, die Trends setzen. Südkorea kennen wir besser. Colin Bell (Nationaltrainer von Südkorea, Anm. d. Red.) agiert mit seinen Teams gerne sehr kompakt. Aber auch diese Aufgabe ist sicher machbar. Wo wir gewarnt sein müssen, ist bei Kolumbien: sehr viele gute, technisch versierte Einzelspielerinnen. Da sehe ich eine hohe Qualität.

Können Teams aus Südamerika bei der WM die Überraschung werden? Brasilien als möglicher deutscher Gegner im Achtelfinale hat beim Testspielsieg gegen Deutschland eine richtig starke Leistung geboten.

Neid: Brasilien hat sich verbessert. Sie sind unheimlich zweikampfstark, total robust geworden und besitzen mittlerweile auch die entsprechende Fitness. Für mich machen sie einen sehr viel besseren Eindruck als in den vergangenen Jahren. Sie erinnern fast an 2007, als sie auch schon so gut waren.

Damals hat Deutschland unter Ihrer Regie im Finale gegen Brasilien gewonnen. Das Turnier wurde noch mit 16 Teams ausgetragen. Ist es richtig, diese WM mit 32 Teilnehmern auszuspielen?

Neid: Das ist aus meiner Sicht ein bisschen zu früh, aber das haben wir auch schon gesagt, als von 16 auf 24 Teams aufgestockt wurde. Ich glaube nicht, dass Haiti oder Panama schon so weit sind. Ich finde es nicht schön, wenn eine Mannschaft bei einer WM total überrollt wird, wie das 2019 passiert ist, als die USA so hoch gewonnen haben (13:0 gegen Thailand, Anm. d. Red.).

Bei der WM 2007 war der 11:0-Kantersieg gegen Argentinien unter Ihrer Regie der Startschuss in ein furioses Turnier. Wenn man sich Ihr damaliges Team anschaut, hatten Sie damals ein halbes Dutzend Persönlichkeiten wie Alexandra Popp zur Verfügung, oder?

Neid: Nein, würde ich nicht unbedingt sagen. Wir hatten eine hohe Qualität mit Birgit Prinz, Sandra Minnert und Sandra Smisek. Aber wir hatten vor allem einen guten Mix aus jüngeren und reiferen Spielerinnen. Das hat gut harmoniert. Uns hat dieser erste Sieg natürlich Selbstvertrauen gegeben.

Vermutlich wird nie wieder jemand als Bundestrainerin so erfolgreich sein wie Sie. Unter Ihrer Regie gelang es, die WM 2007, die olympische Bronzemedaille 2008, die EM 2009 und 2013 sowie die Olympischen Spiele 2016 zu gewinnen – der letzte Titel deutscher Fußballerinnen. Macht Sie das stolz?

Neid: Natürlich. Weil ich das mit meinem Team und meinen Spielerinnen erreicht habe. Aber natürlich würde ich mich freuen, wenn die deutsche Frauen-Nationalmannschaft bald wieder einen Titel gewinnen würde. Dafür arbeite ich beim DFB und versuche immer noch, Impulse zu geben.

Was würden Sie den Spielerinnen denn sagen, wenn Sie morgen einen Impulsvortrag halten müssten?

Neid: Es ist bei den Turnieren immer ein ganz schmaler Grat, ob es in die eine oder andere Richtung geht. Bei der EM 2022 hat mir das Engagement gefallen, total intensiv gegen den Ball zu arbeiten. Das hat mich sehr beeindruckt. Dieses Team hat die Menschen mitgerissen.

Die letztjährige Vize-Europameisterschaft hat einen Boom angestoßen, der sich in die Liga überragen hat. Überrascht Sie das?

Neid: Zum Glück ist es jetzt immer noch so, dass der Frauenfußball aufgrund der EM bei den Menschen in aller Munde ist. Die Rolle der Frau ist in der Gesellschaft ein wichtiges Thema und im DFB sind nicht mehr nur zwei, drei, sondern ganz viele Menschen für den Frauenfußball zuständig. Auch für Sponsoren ist der Frauenfußball eine lohnende Investition geworden. Ich hoffe, dass es im Sommer so weitergeht.

Und despektierliche Äußerungen gibt es auch kaum mehr?

Neid: Vielleicht gibt es das noch, aber wir bekommen es nicht mehr so mit. Fußball wird als Sport für Männer und Frauen angesehen. Man sieht es auch an den Prämien der FIFA. Schon mit der WM-Teilnahme hat jede 30 000 Dollar sicher.

Und für den Titel gibt es 270 000 Dollar. Neidisch?

Neid: Da bin ich nicht neidisch. Ich gönne es wirklich allen Spielerinnen. Das finde ich wichtig und richtig.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat jetzt öfter betont, dass Sie mit Ihrem Blick über den Tellerrand helfen würden. Wie muss man sich den Austausch vorstellen?

Neid: Wir telefonieren, aber wir sehen uns auch mal auf dem Campus. Es ist jedes Mal interessant, mit ihr zu reden.

Sie ersparen sich aber gute Ratschläge?

Neid: Wenn Sie von mir etwas wissen will, sage ich das natürlich. Die angesprochene Defensivlust war beispielsweise bei Olympia 2021 sehr auffällig, wo Kanada Olympiasieger wurde. Und deshalb sind auch wir 2007 Weltmeister geworden. Die Defensive ist bei Turnieren das A und O.

Martina Voss-Tecklenburg ist als Bundestrainerin zu einer öffentlichen Person gereift, die zu fast jedem Thema etwas zu sagen hat. Hätten Sie ihr das zugetraut?

Neid: Ja, denn Martina ist rhetorisch sehr stark, sehr interessiert – und sie weiß, dass es wichtig ist, sich zu gesellschaftspolitischen Themen zu äußern.

Und wer wird nun Weltmeister? Die Bundestrainerin spricht von einem sehr großen Kreis von Titelanwärtern.

Neid: Für mich gibt es Deutschland, USA, Brasilien, Frankreich und England. Diese Mannschaften können aber schon ab der K.o.-Phase aufeinandertreffen. Das zeigt, wie anspruchsvoll der Weg ins Finale ist.

Sie sind 2000 bei Olympia in Sydney dabei gewesen. Auch wenn es 23 Jahre her ist, was wird die Fußballerinnen dort erwarten?

Neid: Sportverrückte, fröhliche Menschen, schöne Landschaften. Die WM wird super werden.

Silvia Neid

Als Spielerin bestritt die heute 59 Jahre alte gebürtige Walldürnerin 111 Länderspiele. Sie holte 1989, 1991 und 1995 den EM-Titel und wurde 1995 Vizeweltmeisterin.

Neun Jahre arbeitete sie als Co-Trainerin beim DFB, ehe sie 2005 Bundestrainerin wurde.

Der WM-Titel 2007, die EM-Siege 2009 und 2013, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008 und die Goldmedaille bei Olympia 2016 fallen in ihre Amtszeit.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen