Von der vergangenen Saison wird national in Zukunft immer die Rede sein, doch auch international hat Bayer Leverkusen die Schlagzeilen bestimmt. 51 Pflichtspiele in Folge blieb die Werkself unbesiegt. Das hatte es im europäischen Fußball noch nie gegeben. Leverkusen pulverisierte damit den seit 2012 durch Juventus Turin gehaltenen Rekord von 43 Partien. Insgesamt waren es am Ende bei 53 Spielen 52 ohne Niederlage. Nur das Europa-League-Finale verlor das Team von Trainer Xabi Alonso, den erstmaligen Gewinn der Meisterschaft sowie den nach 1993 zweiten Titel im DFB-Pokal konnte das aber nicht schmälern.
Welche Rückschlüsse lässt die Vorbereitung zu?
Mit 4:0 hatte Leverkusen am 5. August 2023 bei der Saison-Generalprobe West Ham United aus der Bayarena gefegt und damit war der englische Erstligist noch gut bedient gewesen. Pressing, Tempo, Passgenauigkeit und Spielfreude deuteten bereits darauf hin, dass es eine besondere Spielzeit werden könnte. Dieses Jahr lief alles viel schleppender an. In den vier Tests bei Rot-Weiss Essen (2:1), beim RC Lens (2:2), beim FC Arsenal (1:4) sowie gegen Betis Sevilla (1:1) sprang lediglich ein Sieg heraus. Gegen die Andalusier zeigte der Auftritt nach zuvor viel Schatten immerhin wieder Licht.
Vom Optimum jedoch ist der Kader angesichts seiner Klasse noch ein gutes Stück entfernt. „Die Leistung in London war klar unter unserem Standard und weit weg davon, wo wir hinwollen“, sagte Alonso und auch Kapitän Granit Xhaka meinte: „Priorität besitzt nicht das Ergebnis, sondern die Leistung, und die war nicht optimal. Wir müssen einige Dinge verbessern.“ Aber: Den ersten Titel gab es bereits. Im Supercup bezwangen die Leverkusener den VfB Stuttgart mit 3:2.
Worin liegen die Herausforderungen?
Wegen der durch das DFB-Pokal-Endspiel verlängerten Saison sowie ihren Teilnehmern an der EM und Copa América ist die Werkself erst am 14. Juli wieder ins Training eingestiegen. Doch selbst da weilten einige Akteure noch im Urlaub. Die Zeit zum Einspielen und Adaptieren neuer Automatismen war kurz. Zudem hatte Leverkusen im Winter auch Spieler für den Afrika-Cup abstellen müssen. Mit Verspätung könnte sich nun die entsprechende Müdigkeit bemerkbar machen.
Vor allem aber eine ob der Erfolge geringere Fokussierung muss Alonso aus den Köpfen vertreiben. „Die Vergangenheit lässt dich keine Spiele gewinnen“, sagt der 42-Jährige. Überdies wird spannend, wie die Mannschaft mit Niederlagen umgeht. Die kennt sie aus der vergangenen Saison nicht - diese Spielzeit könnte es allerdings das ein oder andere verlorene Spiel geben.
Was könnte zum größten Problem werden?
Ein Abgang von Jonathan Tah würde eine immense Lücke reißen. Der 28 Jahre alte Innenverteidiger hat sich in der vergangenen Saison zum absoluten Führungsspieler entwickelt. Er ist als Persönlichkeit weiter gereift und so nicht nur auf dem Platz, sondern ebenso in der Kabine enorm wichtig. Auch im Test gegen Betis zeigte sich seine Klasse. Mit cleverem Stellungsspiel, intelligenter Antizipation, Zweikampfstärke sowie Passsicherheit war er der unumstrittene Abwehrorganisator. Mit Tah an der Seite gewannen in der vergangenen Saison die Nebenleute Odilon Kossounou, Josip Stanisic, Edmond Tapsoba und Piero Hincapié an Sicherheit und Selbstvertrauen. Trotz der individuellen Fähigkeiten dieser Akteure ist fraglich, ob sie einen Tah-Verlust adäquat kompensieren könnten.
Lauern Gefahren abseits des Rasens?
Bereits vergangene Saison kam aufgrund des sportlichen Erfolges als Ergebnis der akribischen Detailversessenheit des stets nach Perfektion strebenden Xabi Alonso die Frage nach dessen Zukunft auf. Dass der Baske schon im Frühjahr bekannt gab, auch 2024/25 auf der Bank von Bayer 04 zu sitzen, verlieh dem Verein Ruhe sowie den Spielern noch einmal größere Flügel. Doch Alonsos frühere Clubs werden sich erneut melden. Weil Carlo Ancelotti bei Real Madrid nicht jünger wird, die Fußstapfen von Jürgen Klopp beim FC Liverpool für Arne Slot zu groß sein könnten und Vincent Kompany bei Bayern München sowieso irgendwie nur als Platzhalter erscheint.
Wird Leverkusen wieder feiern dürfen?
Ausgeschlossen ist es nicht. Dem Kader wurde mit dem 19-jährigen französischen Abwehrspieler Jeanuel Belocian, der für zehn Millionen Euro von Stade Rennes kam sowie dem Spanier Aleix García (27/Mittelfeld/25 Millionen Euro/FC Girona) und dem Franzosen Martin Terrier (27/Angriff/20 Millionen Euro/Stade Rennes) weitere Qualität zugeführt - einziger echter Abgang ist der nach München zurückgekehrte Stanisic. Allerdings wird die Champions League eine höhere Intensität verlangen. Überdies haben auch die Bayern und Borussia Dortmund ihre Kader mächtig aufgepäppelt.
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