Fußball

Autor Ronny Blaschke: „Die EM kann stimulierend wirken“

In zwei Wochen beginnt die Heim-EM. Der Sportjournalist und Autor Ronny Blaschke spricht im Interview über die Stimmung im Lande, das EM-Motto sowie den Rechtsruck und Rassismus

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Lars Müller-Appenzeller
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Bei der Heim-WM 2006 ging eine Euphoriewelle durch das Land – wie hier auf der Berliner Fanmeile. © Marcel Mettelsiefen/dpa

Im Sommer 2006 war die Welt zu Gast bei Freunden, das Motto der Fußball-EM in Deutschland lautet nun „United by Football - vereint im Herzen Europas“. Buchautor Ronny Blaschke spricht über das Heimturnier, das für Deutschland eine Chance ist - mit der Pflicht, sportlich und organisatorisch gut zu funktionieren.

Herr Blaschke, sind Sie schon in EM-Stimmung?

Ronny Blaschke: Ja, ich freue mich darauf und komme immer mehr in EM-Stimmung - weil ich für mein neues Buch viel unterwegs bin und sehe, was los ist.

Wie nehmen Sie die Stimmung im Land im Vergleich zu 2006 wahr?

Blaschke: Die Euphorie war damals im Vorfeld gar nicht so groß, hat sich aber im Laufe des Turniers enorm entwickelt. Wir sehen diesmal aber kritischer auf das Heimturnier.

Warum?

Blaschke: Weil wir in den vergangene 18 Jahren unter anderem Olympische Spiele in Peking und Sotschi sowie eine Fußball-WM in Katar hatten. Der Sport hat sich in der Wahrnehmung der Bevölkerung verändert. Die EM in Deutschland ist nicht nur eine Chance, sondern fast eine Pflicht, dass das Turnier gut läuft - sportlich und organisatorisch.

Die sportlichen Vorzeichen sind nicht anders als 2006: Damals wie heute schwächelte die Nationalelf. Wird unter Bundestrainer Julian Nagelsmann nach den Siegen gegen Frankreich und die Niederlande dennoch alles gut?

Blaschke: Vor diesen Siegen gab es viele Fragen: Ist Julian Nagelsmann der Richtige? Ist er zu modern? Dann hat er zwei Spiele gewonnen und schon ist er die Hoffnungsfigur, wurde sein Vertrag verlängert. Das ist mir zu schnell, zu gefühlig, zu wenig systematisch. Denn das kann sich in zwei Spielen wieder ändern.

War das Schlechte - die Niederlagen gegen die Türkei und Österreich - die große Chance für das Gute, weil Nagelsmann einen radikalen Schnitt gemacht hat?

Blaschke: Er geht damit ein Risiko ein, hat aber das Momentum nun auf seiner Seite. Ich finde den Schritt gut und die Konstellation sehr interessant: Julian Nagelsmann ist ein junger Typ, noch im ersten Drittel seiner Trainerkarriere, der von seinem Naturell und seiner Rhetorik eigentlich gar nicht in das DFB-Korsett hineinpasst.

Ronny Blaschke



Ronny Blaschke stammt aus Rostock und ist Journalist sowie Autor. Er lebt in Berlin.

Der 42-Jährige schreibt vor allem über gesellschaftliche Hintergründe des Sports.

In seinem neuen Buch „Spielfeld der Herrenmenschen“ beleuchtet er den Kolonialismus und Rassismus im Fußball.

Vom DFB erhielt er für seine Arbeit 2013 den Ehrenpreis des Julius-Hirsch-Preises.

Passt denn das Motto der EM: „United by Football - vereint im Herzen Europas“?

Blaschke: Es liegt auf der Hand, greift rund um die Europawahl die Stimmung im Land mit dem Rechtsruck auf. Ich hoffe, dass darüber hinaus auch etwas kritische, differenziertere Töne angeschlagen werden. Bei der WM 2006 haben wir gesehen: Immer nur mit Pathos das Positive und das Verbindende zu sehen, kann Probleme und Strukturen überdecken. Damals wollten wir nicht wahrhaben, dass Rechtsextreme die Stimmung nutzen, dass Patriotismus schnell auch in Nationalismus übergehen sowie in ein Anfeinden des unterlegenen Gegners führen kann. Das kann bei der EM auch passieren.

Sie fragen in Ihrem Buch: „Wie kann der Fußball vor der EM zur Aufklärung gegen Rassismus beitragen?“ Wie lautet Ihre Antwort?

Blaschke: Ich sehe, dass viele Förderprogramme angestoßen werden. Dass die Gastgeberstädte mit Bildungseinrichtungen und Fanprojekten zusammenarbeiten. Dass das Theater was macht, die Schule, die mobile Beratung gegen Rechts. Dass alle den Fußball aufgreifen. Da passiert was. Und erstaunlicherweise ist so etwas von größerem Erfolg geprägt, wenn die Nationalelf erfolgreich ist. Denn dann sind junge Menschen noch offener, positiv gestimmter.

Wo stehen wir im Kampf gegen Rassismus?

Blaschke: Das ist schwierig einzuordnen. Es geht immer wieder auf und ab. Wir haben gerade eine schwierige Zeit - auch mit dem Erstarken der AfD. Rassismus ist nicht mehr so offen sichtbar und hörbar wie in den 90er Jahren, als Affenlaute und Bananen noch wesentlich öfter im Stadion zu beobachten waren.

Aber?

Blaschke: Wir haben noch immer sehr starke rassistische Denkmuster in unserer Gesellschaft. Die gab es immer und die wird es immer geben. Auch im Fußball. Die Nationalmannschaft ist bunt, die Teams sind bunt. Aber schauen Sie auf das Präsidium des DFB, schauen Sie auf Sponsoren und Sportredaktionen: Die Entscheidungen treffen meistens weiße Männer.

Weil Sie von bunt sprachen: Was halten Sie vom neuen DFB-Auswärtstrikot in Lila und Rosa?

Blaschke: Ich bin kein Fan von pinken Kleidungsstücken, habe mich aber darüber gefreut. Weil ich alles charmant finde, was die spießige Mitte ein bisschen aufregt. Wenn das Trikot eine Debatte auslöst, wofür es steht, wofür es vielleicht auch nicht steht, wenn die Leute dafür ein Symbol für Vielfalt sehen, finde ich das voll okay. Das Trikot ist für alle ein Erfolg, ein Verkaufsschlager geworden. Und das ist das Spannende am Fußball: Manchmal muss man das politisch Interessante mit dem Kommerziellen verknüpfen.

Apropos Erfolge: Erstmals seit 29 Jahren standen drei deutsche Mannschaften in Europapokal-Halbfinals. Was bedeutet das für die EM?

Blaschke: Aus sportlicher Sicht kann das positiv sein, denn wir führen keine Debatte darüber, ob der deutsche Fußball in der Krise steckt. Das Thema Fußball ist noch für einige Wochen positiv konnotiert.

Der DFB wechselt nach 70 Jahren den Ausrüster - von Adidas zu Nike. Leben wir in Zeiten, in denen Traditionen umgestoßen werden müssen?

Blaschke: Es ist interessant, dass vor allem im Fußball Traditionsbewusstsein so ausgeprägt ist. Vielleicht brauchen viele Menschen in einer Welt, in der uns vieles entgleitet und in der wir uns an viel Neues gewöhnen müssen, den Fußball als Gewöhnungsmaschine. Ich jedenfalls brauche Adidas nicht und freue mich, wenn sich der Fußball erneuern kann.

Wie wichtig ist für den DFB diese Heim-EM?

Blaschke: Das Turnier ist ein wichtiger Faktor für die Industrienation Deutschland. Auch mit Fußball kann man gut Diplomatie betreiben, Netzwerke knüpfen und Handelsverträge schließen. Die EM kann stimulierend wirken - nicht nur im Sport, sondern auch für die Wirtschaft und diese Stagnation, die wir gerade in der Politik empfinden.

Wie weit kommt die deutsche Mannschaft?

Blaschke: Bis ins Halbfinale. Aber meine Sympathie liegt auch bei England, das so tragisch bei der letzten EM gescheitert ist. Ich freue mich auf ein sehr lebendiges Turnier - mit umherreisenden, sich freuenden Menschen und mit etwas positiverer Stimmung in unserem Land.

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