Hin und wieder juckt es Andy Schmid doch noch in den Fingern. Dann würde er gerne selbst übernehmen und das Spiel seiner Mannschaft gestalten. „Wenn ich Fehler sehe und weiß, dass ich bestimmte Dinge nicht mehr in meinen eigenen Händen halte, spüre ich schon eine gewisse Ohnmacht“, gibt der frühere Weltklasse-Mittelmann zu. Jahrelang dirigierte er die Angriffe der Schweizer Handball-Nationalmannschaft, bestimmte Tempo und Rhythmus auf dem Feld. Nun aber steht er daneben. Als Trainer. Was eine Umstellung war und ist. Doch der 41-Jährige gewöhnt sich immer besser an seine neue Perspektive.
„Am Anfang war es ein Sprung ins kalte Wasser. Wobei ich sagen muss, dass das Wasser schon sehr kalt war“, erinnert sich Schmid, der von 2010 bis 2022 in der Bundesliga für die Rhein-Neckar Löwen spielte, an den Beginn seiner Amtszeit vor etwas mehr als einem Jahr. Kurz zuvor hatte er mit den Eidgenossen noch die EM in Deutschland gespielt, nach diesem Höhepunkt endete die aktive Karriere und wenig später begann die Trainerlaufbahn. An diesen Rollentausch musste sich der Schweizer erst einmal gewöhnen. Immer mehr spürt der 41-Jährige aber jetzt, dass er auch in neuer Funktion eine Menge bewegen kann.
Die „Ohnmacht“ hatte er sich schlimmer vorgestellt
„Ich habe verinnerlicht, dass die Mannschaft und ich in einem Boot sitzen. Im Endeffekt stehe ich oben und setze die Segel. Anschließend müssen die Spieler das Schiff in die richtige Richtung lenken und ich kann nur noch Anweisungen geben“, sagt Schmid, der sich die angesprochene „Ohnmacht“ noch viel schlimmer vorgestellt hatte. Doch mittlerweile ist ihm klar geworden, dass er auch als Trainer extrem viel Einfluss nehmen kann.
„Das hatte ich vorher nicht so gesehen und diese Möglichkeit unterschätzt“, räumt der 41-Jährige ein und zählt seine Optionen auf: „Ich kann Angriffsvarianten und Deckungssysteme verändern und damit einem Spiel eine andere Richtung geben oder es sogar komplett auf den Kopf stellen.“ Damit beschäftigt er sich, das Handball-Genie Schmid kann also wieder kreativ sein. So wie früher bei den Löwen, als er als Kopf des Angriffsspiels die gegnerischen Abwehrsysteme knackte wie Einbrecher Tresore. Nur ohne Gewalt, sondern mit Feingefühl. Er entschlüsselte nämlich den Code.
Wenn Schmid an diese Zeit zurückdenkt, fällt ihm immer wieder ein, was ihm stets am meisten zu schaffen gemacht hat: „Ich weiß als Spielmacher aus eigener Erfahrung, wie ätzend das ist, ständig vor neue Aufgaben gestellt zu werden.“ Denn das stresst. Unter hoher körperliche Belastung muss schließlich plötzlich umgedacht werden. Das kann nicht jeder.
Flexibilität und Variabilität als oberstes Gebot
„Variabilität und Flexibilität im Angriff und in der Abwehr sind für mich wesentliche Erfolgsfaktoren“, sagt Schmid, der bei den Löwen mit zwei Meisterschaften und einem Pokalsieg zu einer Legende reifte und aufgrund seiner eigenen Laufbahn natürlich einen Ruf als Mastermind mit Blick auf die Offensive hat. Doch als Trainer beherrscht er es längst, die Gegner auch mit wechselnden Defensivformationen ins Grübeln zu bringen. Gut zu sehen war das bei der WM in diesem Jahr, bei der die Eidgenossen ohne ihre verletzten Spielmacher Jonas Schelker und Manuel Zehnder mehr denn je auf eine stabile Defensive angewiesen waren und genau das dann auch auf die Platte brachten. Der elfte Platz war beachtlich. Ein Erfolg der Deckung. Und des Trainers, dem eine gewisse Unberechenbarkeit wichtig ist: „Ich möchte aktiv und dem Gegner einen Schritt voraus sein.“ Agieren statt reagieren, lautet also das Motto des Schweizers, der mit seinem Nationalteam vor einem weiteren Erfolg steht: der EM-Teilnahme.
Bei einem Sieg am Sonntag in Graz über Österreich wären die Eidgenossen als Gruppenzweiter hinter Deutschland sicher beim Turnier im Januar 2026 in Dänemark, Norwegen und Schweden dabei. Doch selbst bei einem Unentschieden oder sogar einer Niederlage stehen die Chancen gut, dass sich Schmids Mannschaft als einer der vier besten Gruppendritten das EM-Ticket sichert. Das beachtliche Remis am Mittwoch gegen Deutschland könnte also Gold wert sein, obwohl die Schweizer in den Schlussminuten noch den Sieg verschenkten.
Löwen-Legende Schmid ist trotzdem „stolz auf das, was wir gezeigt haben“. Das Unentschieden bedeute am Ende, „dass wir sehr viel richtig gemacht haben“, lobt der 41-Jährige seine Mannschaft. Im Prinzip hätte er sich dieses Kompliment aber auch selbst machen können. Denn zu keiner Zeit sah es bei den glänzend eingestellten Schweizern danach aus, dass sie Schmid als Dirigent auf dem Feld benötigen.
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