Heppenheim. Wer sich Sonntag für Sonntag auf den Fußballplatz begibt, aber weder Spieler noch Zuschauer ist, sondern vor der Aufgabe steht, 22 oft eigenwillige Charaktere 90 Minuten lang nach (s)einer Pfeife tanzen zu lassen, muss entweder masochistisch veranlagt sein oder einen gewissen Hang zur Selbstdarstellung haben. Jörg Ballweg ist weder das eine noch hat er das andere. Der 59 Jahre alte Heppenheimer ist Schiedsrichter aus Leidenschaft. Mit 100 Spielleitungen im Jahr ist Ballweg einer der eifrigsten Vertreter seiner Zunft in der Bergsträßer Vereinigung. In mehr als 4100 Begegnungen war er Chef auf dem Platz. Mit dieser Zahl dürfte der Heppenheimer auch in Hessen weit vorne liegen.
Gerade die Aufgabe, viele unterschiedliche Charaktere während des Spiels zu händeln, mache den Reiz aus, sagt der Steuerfachangestellte, der für den SV Eintracht Zwingenberg pfeift und bis zur A-Jugend bei der TSG 46 Darmstadt selbst am Ball war. Dass er Schiedsrichter wurde, hatte einen einfachen Grund: „Als 15-Jähriger wollte ich etwas Taschengeld dazuverdienen.“ Das war 1981. Die ersten D-Mark, es waren wohl zehn gewesen, gab es für die Leitung eines C-Jugend-Spiels, FCA Darmstadt gegen VfR Eberstadt.
Viele Schiedsrichter, gerade im jungen Alter, hören nach den ersten Einsätzen wieder auf, weil sie oft von Eltern der Spieler oder auch den Trainern angepöbelt werden. Nicht so Ballweg. Er zog durch. „Ich weiß gar nicht mehr, ob ich damals angemacht wurde, aber bestimmt ist das auch passiert.“ Im Laufe der Jahre habe er auf dem Platz keine bedrohliche Situation erlebt, blickt der Schiri-Oldie zurück. Was wenig wundert. „Den kannst du nicht aus der Ruhe bringen“, lobt ein langjähriger Schiedsrichterkollege. Ruhig, besonnen, unaufgeregt, immer im lockeren Gespräch mit den Spielern. „So sollte ein Schiri immer sein.“
Ballwegs schönstes war zugleich sein schwierigstes Spiel. Saison 1995/96, Flutlicht, Bieberer Berg. Absteiger Kickers Offenbach (3. Platz) traf in der Hessenliga auf den aufstrebenden SV Bernbach (4.), und 9000 Zuschauer waren dabei. Die Kickers siegten 2:0, verpassten aber den Aufstieg. Schön war die hohe Zuschauerzahl, schwierig, dass das kampfbetonte Spiel mit den Zuschauerreaktionen höchste Konzentration erforderte, erinnert sich Ballweg. Übrigens: SV Mörlenbach und VfR Bürstadt stiegen nach dieser Runde aus der damals viertklassigen Hessenliga ab.
Die Hessenliga war auch die höchste Klasse, in der Jörg Ballweg Spiele leitete. Eins drüber, in der Regionalliga, war er als Linienrichter (heute Assistent) unterwegs. Ein DFB-Pokalspiel steht ebenfalls in Ballwegs Annalen: Beim 2:0 des 1. FC Kaiserslautern im August 1994 bei der SG Egelsbach begleitete er Edgar Steinborn als Assistent Nummer eins, der seinen Dienst vor den Trainerbänken verrichtete.
Aber egal, ob Hessen- oder A-Liga, ob Männer-, Frauen- oder Jugendspiele: Ballweg geht die Sache „völlig unvoreingenommen“ an: „Die Fairnesstabelle habe ich mir noch nie angeschaut, die aktuelle Tabelle dagegen schon, und ob es vielleicht ein Derby ist.“ Die einzigen Unterschiede sieht der 59-Jährige in Athletik und Schnelligkeit der Protagonisten. Und, natürlich: Je höher die Spielklasse, umso besser werde Fußball gespielt. Vom Grundsatz her ändere sich in Sachen Spielleitung wenig. „Man muss sich in jedem Spiel von Neuem beweisen“, sagt der Fan des FC Bayern München.
Sohn Cristian tritt in die Fußstapfen, leitet Spiele in Liga drei und wird in der 2. Liga an der Linie eingesetzt. Wer gibt da wem Tipps? Da würden kaum welche ausgetauscht, „der Profibereich im Fußball ist mittlerweile eine eigene Welt“. Das wird alleine schon an der Existenz des Videoschiedsrichters in den beiden höchsten Ligen erkenntlich. Bei knappen Torentscheidungen (war der Ball auf oder hinter der Linie?) würde sich Ballweg senior schon über die Hilfe der Technik freuen. Den Bundesliga-Kollegen jedenfalls stellt der Heppenheimer ein gutes Zeugnis aus: „Heute ist alles athletischer und schneller. Daher meine ich: Die sind gut!“
Ein Spiel aus Fanperspektive zu schauen, das gesteht Ballweg ein, sei schwierig: „Alle Szenen denkt man auch immer als Schiedsrichter mit.“ Ab und zu gibt er sich als Privatier ein Spiel, so die Auftritte der Nationalmannschaft in der Nähe. Sein Engagement auf dem Platz sieht er auch als guten Ausgleich zum Bürojob. „Ich versuche, solange es geht, aktiv zu pfeifen.“ Denn der Spaß sei immer noch vorhanden. „Zu hundert Prozent.“ Auch nach so vielen geleiteten Spielen. kar/ü
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