Heppenheim/Peking. Die Olympischen Winterspiele in Peking haben begonnen. Selten waren sie in den vergangenen Jahren so umstritten wie dieses Mal, selten stand die Vergabe in das (totalitäre) Land so im Kreuzfeuer der Kritik. Einer aus Südhessen, der Olympia in China derzeit hautnah miterlebt, ist Aris Donzelli. Der ZDF-Reporter lebt seit 2008 an der Bergstraße, seit 2013 im Heppenheimer Stadtteil Ober-Laudenbach. Seit 1992 war Donzelli für das ZDF bei allen Olympischen Spielen live dabei. Mit einer Ausnahme: Die Sommerspiele 2021 in Tokio kommentierte er wegen der Corona-Pandemie wie die meisten seiner Kollegen von ZDF und ARD live aus dem Sendezentrum am Mainzer Lerchenberg. In Peking ist er nun wieder vor Ort, kommentiert ab Montag die alpinen Skiwettbewerbe der Damen.
Mit welchen Gefühlen startet der 63-Jährige in seine vermutlich letzten Winterspiele als Live-Reporter? „Die Gefühle sind zwiespältig, aber ich freue mich auf den Sport. Die Sportanlagen sollen vom Feinsten sein. Die Spiele sind für die Sportler – und die schwärmen von den Sportstätten.“ Doch das heißt nicht, dass Aris Donzelli mit einer rosa Brille in das Land der Mitte geflogen ist. Im Gegenteil. Dass Olympia in China anders ist, das haben Donzelli und seine Kollegen schon im Vorfeld gespürt. So gab es vorab eine extra Sicherheitseinweisung für alle.
Zur Sicherheit ein neues Handy
Was hat er dabei gelernt? „Dass man vorsichtig sein muss und sich nicht ausfragen lassen soll. Und dass man sich nicht mit dem eigenen Handy anmelden sollte“, erzählt der Sportjournalist. Er und seine Kollegen – die Sportler übrigens auch – wurden daher für die Reise nach China extra mit neuen Handys ausgestattet, die am Ende der Spiele auf Werkseinstellung zurückgesetzt und samt SIM-Karte zerstört werden. Man befürchtet eine Überwachung, dass die Chinesen beispielsweise Spyware auf den Mobiltelefonen installieren. Allein diese Vorkehrungen seien schon ganz schön „gruselig“, wie Donzelli einräumt.
Um 11 Uhr war Donzelli am vergangenen Mittwoch bereits am Frankfurter Flughafen. Und das, obwohl sein Flugzeug erst um 17.20 Uhr starten sollte. Zum Glück. Denn gleich mehrere Stunden habe das Ausfüllen des Online-Formulars für das Erlangen des sogenannten „Green Health Codes“ gedauert, den die Chinesen für die Einreise voraussetzen. Dem deutschen Alpindirektor Wolfgang Maier ging es zur gleichen Zeit genau so, wie er dem Mann vom ZDF erzählte. Es ist 15 Uhr vorbei, als die beiden endlich einchecken können. „Das raubt Zeit und geht auf die Nerven“, so Donzelli. Es ist ein Vorgeschmack auf das, was ihn erwartet.
„Das ist kein freies Land und wir sind ein Stück weit dem ausgeliefert“, das weiß er. Immerhin: „Die Kollegen, die bereits da sind, sagen, die Leute seien sehr freundlich.“ Dass in China Menschenrechte missachtet werden, Volksgruppen verfolgt und viele in Straflagern leben, verliert er nicht aus den Augen. „Wir sind da, um zu zeigen, was passiert“, sagt der Mann vom ZDF.
2008 war Donzelli schon einmal bei Olympia in Peking. „Da haben wir das Gefühl gehabt, das ist ein freies Land. Wir konnten überall hin. Peking war eine Metropole.“ Diesmal ist alles anders. Auch der Naturschutz wird im Land der Mitte mit Füßen getreten, Olympia geht vor. Auf der einen Seite schwärmen die Athleten von den tollen Skipisten, doch das Ganze hat auch eine Kehrseite: Für die Pisten der Alpinen auf dem Berg Xiaohaituo in Yanqing, 74 Kilometer nordwestlich vom Stadtkern Pekings entfernt, wurde einfach ein Naturschutzgebiet geteilt. Aus der Vogelperspektive muten die weißen Bänder in der kargen braunen Berglandschaft fast schon skurril an.
Dort oben ist es zwar um die minus 20 Grad kalt, Niederschläge gibt es dort jedoch so gut wie nie. 300 Schneekanonen sorgen für den Schnee. Das Wasser stammt aus großen Stauseen. Doch nicht nur in China wird die Natur dem Profit untergeordnet: Bereits in Albertville 1992, so erinnert sich Donzelli zurück, seien Felsen für die Sportanlagen aus den Bergen gesprengt worden.
Doping, Corona – erwartet Aris Donzelli wirklich faire Spiele? Allein die unterschiedliche Interpretation von PCR-Tests gibt zu denken. Die Chinesen setzen einen anderen Schwellenwert an. Während man in Europa bereits als negativ getestet gilt, ist man nach chinesischen Maßstäben noch positiv. Immerhin konnte – auch dank des massiven Protests von Wolfgang Maier – der chinesische Schwellenwert von 40 auf 35 gesenkt werden. „Das ist schon ein Gewinn“, findet der Mann aus Ober-Laudenbach.
Manipulation beim Corona-Test
Donzelli selbst, der Anfang Dezember coronapositiv war, hat vor der Abreise einen PCR-Test mit Schwellenwert 40 bestanden. Er scheint erst einmal auf der sicheren Seite. „Viele Sportler waren aber Ende Dezember/Anfang Januar positiv. Die haben jetzt alle Angst, weil der Schwellenwert in den ersten Wochen nach der Infektion noch schwankt. Dabei sollten sie sich nur auf ihre Wettbewerbe konzentrieren,“ beschreibt er den großen psychischen Druck, dem alle ausgesetzt sind.
Befürchtet er, dass die Chinesen die Situation ausnutzen, eventuell manipulieren, um Konkurrenten schon vorher auszuschalten? „Ich fürchte schon. Der Rahmen für Willkür ist gegeben. Da muss das IOC ganz genau hinschauen,“ fordert er. ARD-Kollege Claus Lufen, der mit einem negativen PCR-Test in Deutschland losgeflogen ist, wurde in Peking positiv getestet. Lebt seitdem eher spartanisch im Quarantäne-Hotel. Doch auch er sagt, wie Aris Donzelli, er sei zu Olympia geflogen, weil es um die Sportler geht. „Und weil ich dabei sein will, wenn etwas nicht so läuft, wenn vielleicht tatsächlich manipuliert wird, wenn Unrecht recherchiert werden muss“, sagte er in einem Sportschau-Interview.
All das weiß man ja schon, bevor man Spiele in ein solches Land vergibt. Warum vergibt das IOC Olympische Spiele nach China, die FIFA eine WM nach Katar? Hier wird Aris Donzelli sehr deutlich: „Totalitäre Systeme unter sich verstehen sich gut“, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Wäre da nicht ein Boykott angebracht? „Der hilft weder den Uiguren noch den Tibetern“, findet der Reporter. „Und die Sportler haben sich viele Jahre auf die Spiele vorbereitet. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Spiele in einem solchen System stattfinden. Man kann von den Sportlern nicht erwarten, dass sie fernbleiben. Ein diplomatischer Boykott ist ein Zeichen.“
Was wünscht sich Donzelli für die Zukunft der Olympischen Spiele? „Mein Wunsch wäre, man würde mehr auf die Sportler hören, dann würden Sportveranstaltungen in dieser Größenordnung nicht mehr in solchen Systemen stattfinden.“ awa/ü
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