Weinheim. Gewalt unter Jugendlichen auf offener Straße – dieses Thema ist seit Dienstag in Weinheim Stadtgespräch. Auslöser ist – wie berichtet – ein schockierendes Video, das in den Sozialen Medien kursiert. Es zeigt, wie zwei Jugendliche am Samstag, 9. Juli, gegen 18 Uhr in der Weinheimer Fußgängerzone zwei andere Jugendliche mit einem Klappmesser und einem Stilett bedrohen, Kopfstöße andeuten, nach ihren Opfern treten, sie auf übelste Art und Weise beschimpfen und sie schließlich niederknien lassen – als Zeichen der „Unterwerfung“, während Passanten an der Gruppe vorbeilaufen oder die Szene filmen.
Wie Tobias Hoffert von der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums Mannheim am Mittwoch auf Nachfrage unserer Redaktion erklärte, seien den Ermittlern alle Tatverdächtigen dieses Vorfalls bekannt. Das gelte auch für die Beteiligten eines handgreiflichen Streits, der tags zuvor in der Grundelbachstraße ausgetragen wurde und nach den bisherigen Ermittlungen der Polizei mit dem Vorfall in der Fußgängerzone im direkten Zusammenhang steht. Nichts deute derzeit darauf hin, dass die Handyvideos, die von beiden Vorfällen existieren, „gestellt“ oder „gespielt“ sein könnten, so der Polizeisprecher weiter.
Sozialamt wird eingeschaltet
Gegen die Tatverdächtigen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet – unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung und Bedrohung. Allerdings seien die Beteiligten bis auf eine Ausnahme unter 14 Jahre alt und damit strafunmündig. In solchen Fällen werde aber grundsätzlich das Jugendamt eingeschaltet, um gegebenenfalls weitere Schritte einzuleiten. Eine Kontaktaufnahme der Polizei mit den Schulen, welche die Tatverdächtigen besuchen, sei nur üblich, wenn die Taten im direkten Zusammenhang mit den Bildungseinrichtungen stehen. Im vorliegenden Fall seien aber zusätzlich die Streetworker des Stadtjugendrings Weinheim informiert worden.
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Doch nicht nur die Aggressivität, mit der die Jugendlichen in dem Video in der Fußgängerzone zu Werke gehen, sorgte bei vielen Menschen für Entsetzen. Auch die Tatsache, dass etliche Erwachsene zu sehen sind, die an der Gruppe vorbeigehen, ohne irgendetwas zu unternehmen, um den beiden bedrohten Jugendlichen (12 und 13 Jahre jung) zu helfen, macht fassungslos.
„Wenn Stichwaffen im Spiel sind, sollte man nicht selbst einschreiten, sondern am besten sofort den Notruf 110 wählen“, lautet Hofferts Rat – „am besten mit etwas Abstand zum Tatgeschehen“. Von den Beamten am Telefon erhalte man Hinweise, wie man sich weiter verhalten soll.
Doch auch für die Notruf-Option hat sich in den beiden Weinheimer Fällen offenbar keiner der Passanten entschieden. Sowohl beim Vorfall in der Fußgängerzone als auch beim Vorfall in der Grundelbachstraße sei kein einziger Notruf bei der Polizei eingegangen, teilte Hoffert auf Nachfrage mit. Die Straftaten seien erst später von den Eltern eines betroffenen Jungen auf dem Polizeirevier Weinheim zur Anzeige gebracht worden.
CDU fordert mehr Sicherheit
Eine erste Reaktion aus der Kommunalpolitik kam am Mittwoch von der Weinheimer CDU. Man verurteile die Gewalt „aufs Schärfste“, heißt es in einer Pressemitteilung. Darin wird Stadtverbandsvorsitzender Christian Lehmann mit den Worten zitiert: „Insbesondere hat uns erschüttert, dass von den vorbeilaufenden Erwachsenen keiner angehalten und die Gruppe getrennt oder zumindest die Polizei gerufen hat. Wir bitten die Stadtgesellschaft, noch wachsamer zu agieren, wenn sich Jugendliche in aller Öffentlichkeit streiten.“ Der Fraktionsvorsitzende Heiko Fändrich ergänzte: „Wir werden uns gemeinsam als CDU Weinheim weiter für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum einsetzen.“ Man werde sich in den kommenden Monaten intensiv mit dem Thema auseinandersetzen und sich bei Bedarf für weitere Stellen beim Gemeindevollzugsdienst einsetzen.
Reaktion des Oberbürgermeisters
Oberbürgermeister Manuel Just zeigte sich in einer ersten Stellungnahme „erschüttert über das Verhalten der Jugendlichen, aber auch über die Begleiterscheinungen, wie die Tatsache, dass sich die Aufnahme mittlerweile auf unzähligen Handys befindet. Vor allem das teilnahmslose Verhalten der Passanten stimmt mich traurig. Selbst wenn die Passanten gegebenenfalls selbst Angst gehabt haben, hätte ich mir gewünscht, dass sie sich Mitstreiter suchen, um den Opfern zur Seite zu stehen.“
Er sei sich sicher, so der Oberbürgermeister weiter, dass die Weinheimer Akteure der Jugendarbeit – vor allem der Stadtjugendring und die Schulen – viel Präventionsarbeit leisten, damit sich solche Vorfälle möglichst nicht wiederholen. Aber schon durch die beängstigende Zunahme virtueller und digitaler Möglichkeiten würden die Aufgaben größer. Umso wichtiger sei es in dieser Zeit, dass die Ressourcen bei präventiver Jugendarbeit auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht in Frage gestellt werden.
Martin Wetzel, Geschäftsführer des Stadtjugendrings und selbst Sozialpädagoge, erklärte: „Wir wollen nichts beschönigen, dieser Fall ist erschreckend, vor allem wegen der viralen Verbreitung – aber der Umgang mit Gewaltszenen zwischen Jugendlichen gehört fast schon zum Tagesgeschäft unserer Streetworker. Wo wir sie wahrnehmen, sprechen wir die Konflikte an und schreiten ein. Gewalt- und Konfliktbearbeitung ist daher ein Schwerpunkt des Streetworkings und eine Daueraufgabe.“ Das Team sei gerade wieder durch einen neuen Kollegen verstärkt worden.
Die Szenen im Video zeigen nach Wetzels Ansicht sehr klare Verhaltensmuster aus Video-Spielen und Action-Filmen: „Wir kennen das, und wir arbeiten permanent an diesen Themen und den gewaltbereiten Jugendlichen.“
Nach Bekanntwerden der Handyvideos sei es durch die Streetworker in jugendlichen Kreisen besprochen worden, verbunden mit Verhaltensempfehlungen. Wetzel betonte aber auch: „Wer sich jetzt über das Verhalten der Jugendlichen aufregt, sollte sich genau anschauen, wie verantwortungslos und ignorant die Passanten die Vorgänge verfolgen, ohne sich dazu zu äußern, ohne die Polizei zu rufen, ohne eine Reaktion.“ Das sei für ihn genauso erschreckend wie die Gewaltszenen selbst. /ü
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