Bergstraße. 112 – ein Anruf bei dieser Notfallnummer soll schnellstmöglich Hilfe bringen. Doch steigende Einsatzzahlen und komplexe Strukturen stellen das System Notruf zunehmend vor Herausforderungen. Deshalb diskutierten Landrat Christian Engelhardt, Markus Stracke, Abteilungsleiter Gefahrenabwehr des Kreises Bergstraße, und Michael Hahn, Fachbereichsleiter der Zentralen Leitstelle, bei einem Pressegespräch im Nibelungensaal des Landratsamtes Heppenheim über die Bedeutung der bestehenden Leitstellenstruktur in Hessen.
Anlass für das Gespräch war ein Prüfbericht des Verbandes der Ersatzkassen (vdek Hessen), der die Zusammenlegung der Leitstellen in Hessen zu größeren, zentralisierten Einheiten als wirtschaftlich und organisatorisch effizienter bezeichnet hatte. Landrat Engelhardt machte gleich zu Beginn deutlich, dass er diese Schlussfolgerungen äußerst kritisch sehe.
Der Bericht, so Engelhardt, übersehe zentrale Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Leitstellen, die weit über die reine Notrufkoordination hinausgingen. „Unsere Leitstellen sind das Herzstück der Gefahrenabwehr und sichern die Einsatzfähigkeit in den Landkreisen. Sie sind nicht nur Vermittlungsstellen für Notrufe, sondern koordinieren komplexe Einsatzlagen, bei denen jede Sekunde zählt“, betonte der Landrat. Eine Zentralisierung, wie sie der Prüfbericht nahelege, würde die Handlungsfähigkeit vor Ort schwächen und den direkten Kontakt zu den Einsatzkräften gefährden.
Knotenpunkt für sämtliche Hilfeersuchen
Michael Hahn erläuterte die Funktionsweise der Zentralen Leitstelle des Kreises Bergstraße, die als Knotenpunkt für sämtliche Hilfeersuchen fungiert – ob über die Notrufnummer 112, über die 19222 oder über digitale Kanäle wie die Notruf-App. „Unsere Leitstelle nimmt alle Anfragen entgegen, priorisiert sie, leitet sie an die richtigen Einsatzkräfte weiter und dokumentiert jeden Vorgang lückenlos“, erklärte Hahn. Neben Rettungsdienst und Feuerwehr koordiniert die Leitstelle auch Einsätze des Technischen Hilfswerks, der DLRG oder anderer Hilfsorganisationen. Über moderne Kommunikationssysteme könnten Einsatzmittel in Echtzeit angefordert und koordiniert werden – auch über Kreisgrenzen hinaus. Diese Vernetzung sei ein entscheidender Faktor, um im Ernstfall schnell und effizient reagieren zu können – ohne die Nähe und Ortskenntnis zu verlieren, die in einer zentralisierten Struktur nicht in gleichem Maße vorhanden wäre.
Markus Stracke ergänzte, dass die Leitstellen in Hessen längst zu komplexen Dienstleistungseinrichtungen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr geworden seien. Sie arbeiteten eng mit hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräften zusammen, unterstützten die Feuerwehren bei Einsätzen, organisierten Katastrophenschutzmaßnahmen und stellten sicher, dass alle relevanten Informationen zeitnah weitergegeben würden. „Die Krankenkassen betrachten die Leitstellen ausschließlich aus der Perspektive des Rettungsdienstes. Das greift zu kurz“, so Stracke. Die eigentliche Stärke der hessischen Leitstellen liege in ihrer Interdisziplinarität – also in der Verknüpfung von Rettungsdienst, Feuerwehr, Katastrophenschutz und Zivilschutz. Zudem verwies Stracke auf bestehende Optimierungsmöglichkeiten innerhalb des Systems.
Technische Vernetzung in Hessen weiter ausbauen
Zwar seien die Leitstellen im südhessischen Raum bereits gut vernetzt, doch müsse die technische Kopplung im ganzen Land noch weiter ausgebaut werden. Die Mitarbeiter der Leitstellen kämen zudem oft selbst aus dem Rettungsdienst oder der Feuerwehr, würden die örtlichen Strukturen kennen und seien eng mit den Ehrenamtlichen verbunden. „Diese Kenntnis, dieses Vertrauen und das gewachsene Miteinander kann keine zentrale Leitstelle ersetzen“. Die Schnittstellen zwischen Rettungsdienst und ärztlichem Bereitschaftsdienst böten jedoch erhebliches Verbesserungspotenzial. Oft wüssten Bürgerinnen und Bürger nicht, ob sie im Notfall die 112 oder die 116117 wählen sollten. „Wir erleben täglich Fälle, in denen Menschen aus Unsicherheit die falsche Nummer wählen. Da liegt enormes Aufklärungs- und Strukturpotenzial“, betonte Stracke.
Landrat Engelhardt griff diesen Punkt auf und erinnerte an ein Modellprojekt des Kreises Bergstraße, das bereits vor einigen Jahren die Zusammenlegung der Rufnummern 112 und 116117 erprobt hatte. Das Projekt, das von den Universitäten Heidelberg und Marburg wissenschaftlich begleitet wurde, zeigte, dass eine enge Verzahnung von Rettungsdienst und ärztlichem Bereitschaftsdienst Ressourcen deutlich effizienter nutzen kann. Engelhardt sprach sich daher klar dagegen aus, den Weg der Zentralisierung zu gehen, und forderte stattdessen, Synergieeffekte zwischen bestehenden Strukturen zu nutzen. Eine Zusammenlegung der ärztlichen Bereitschaftsdienste mit den Rettungsleitstellen würde mehr bewirken als eine rein organisatorische Fusion mehrerer Leitstellen.
Zum Abschluss appellierte der Landrat an die Landespolitik, die bestehende Struktur der dezentralen Leitstellen zu erhalten und wissenschaftlich weiterzuentwickeln. „Wir brauchen keine Zentralisierung, sondern starke regionale Systeme mit hoher Fachkompetenz und enger Einbindung des Ehrenamts“, sagte Engelhardt. Die Leitstellen seien mehr als Verwaltungseinheiten – sie seien gelebte Sicherheit vor Ort.
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