Rhein-Neckar/Bergstraße. Sie lehnte an einem blühenden Apfelbaum, und auf den ersten Blick sah man nicht, dass sie tot war. So fand der Schriesheimer Hans Ringelspacher das Mädchen am 29. April 1977 auf einer Obstbaumwiese im Gewann „Dorstenäcker“, nicht weit entfernt von seinem Hof. Da war Maria-Theresia Majer noch kein „Fall“ und ihr Sterben noch nicht Teil einer Mordserie. Ihren Anfang nahm diese Serie im September 1975 – ein trauriger Anlass, an die Mädchen zu erinnern, daran, wer sie waren, wie sie umgebracht wurden, daran, in welche Richtungen die Ermittlungen der Polizei gingen. Und nicht zuletzt daran, dass bis heute kein Täter gefunden wurde.
Der örtliche Polizeipostenleiter war damals Fritz Hillerich; er wurde zum Auffindeort gerufen, wie später auch Paul Stang, seinerzeit ein Polizeibeamter in den Dreißigern und selbst Vater. „Es war ein Sexualmord, ganz bestialisch“, erinnert er sich im Gespräch mit der Lokalredaktion. Vier Opfer aus der Region gab es damals zu beklagen.
Erstes Opfer kam aus Hemsbach
Am 13. September 1975 verschwand die 18-jährige Monika S., ein zierlicher Teenager mit langem, blondem Haar. Die Hemsbacherin fuhr per Anhalter – in diesen Jahren nutzten viele Menschen die Fortbewegung per Autostopp. Das spätere Opfer hatte eine braungelbe Umhängetasche aus Leinen dabei, die ebenso wie ihre „blousonartige, hellbeige, verwaschene Cordjacke“ vom Täter geraubt wurde, wie damals der „Mannheimer Morgen“ berichtete. Als man ihre Leiche im Staatswald Lampertheim beim Stadtteil Neuschloss fand, war ihr grau-gestreifter Wollpullover vom V-Ausschnitt bis zum Bund aufgeschlitzt. Erst 14 Tage später wurde die Tote gefunden, und die Polizei teilte damals mit, dass sich ihre Todesursache „nicht mehr ermitteln“ ließ.
Das nächste Opfer war Maria Elsa Scholte aus Ludwigshafen. Die 20-Jährige wurde zuletzt am Vormittag des 29. April 1976 in der Heidelberger Hauptstraße gesehen; sie versuchte, per Anhalter zu ihrem Heimatort zu gelangen, und wurde nicht mehr lebend gesehen. Gefunden wurden ihre sterblichen Überreste am 20. Mai 1976, wiederum im Staatswald Lampertheim. Ihre Leiche lag in einem trichterförmigen Erdloch. Sie hatte gelbe Clogs getragen, daran erinnerten sich Zeugen später. Diese Schuhe tauchten nie mehr auf. Zwischen den Morden lag etwa ein halbes Jahr – später wurde versucht, aus diesen Intervallen Rückschlüsse auf Semesterferien zu ziehen, was den Täter im studentischen Milieu verortet hätte. Aber auch dieser Ermittlungsansatz führte nirgendwo hin.
Ohnehin gehörten die Opfer nicht in dieses Umfeld. Monika Pfeifer hieß die nächste Tote, auch sie war blond, auch sie per Anhalter unterwegs. Das Mädchen arbeitete in einem Heidelberger Kaufhaus, in dem auch ihr Freund angestellt war. Sie stammte aus Dossenheim, er lebte in Ziegelhausen. Von dort fuhr der junge Mann sie regelmäßig mit dem Auto nach Hause – mit zwei Ausnahmen. Anfang Oktober 1976 war er bereits eingeschlafen und nicht mehr wach zu bekommen.
Also entschloss sich die 18-Jährige, zu trampen. Ein freundlicher BMW-Fahrer aus Handschuhsheim habe sie mitgenommen, berichtete sie anderntags ihrer Kollegin. Am 11. Oktober wiederholte sich die Szene: Wieder schlief der junge Mann fest, wieder machte sich das Mädchen alleine auf den Heimweg; es war 1.30 Uhr. Die Vernehmung einer Nachbarin schränkte den Zeitraum auf wenige Minuten ein: Kurz nach dem Verlassen des Hauses wurde Monika auch schon mitgenommen.
Sie trug einen roten Rollkragenpulli, eine Jeansjacke mit hochgekrempelten Ärmeln, eine Jeans und schwarze Schuhe. In ihrer schwarzen Handtasche hatte sie einen Schlüsselbund mit einer Mickymaus aus Plastik, um den Hals trug sie eine auffällige Kette mit einer silbernen Uhr. Nichts davon war mehr da, als man Monikas Leiche am 20. Dezember 1976 aus dem Rhein holte. Sie war unbekleidet; an einigen Fingern hatte sie noch Ringe, über den Kopf war eine „C&A“-Tüte gestülpt.
„Aktenzeichen XY ... ungelöst“ berichtete
Die fehlenden Sachen waren ein Ermittlungsansatz, und die Polizei zeigte Fotos von ähnlichen Gegenständen im Rahmen der Fahndung, die man in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ sehen konnte. Tatsächlich riefen etwa 100 Zuschauer an, die etwas über diese Uhr wussten. Zur Ergreifung des Täters führte allerdings keiner der Hinweise.
Ausgestrahlt wurde die Folge am 4. November 1977. Da war Maria-Theresia Majer schon das vierte Opfer. In den Berichten wird die 15-Jährige mal „Marie-Theres“, mal „Maria Therese“ und mal „Maria-Theresia“ genannt, und auch bei ihrem Nachnamen kommen verschiedene Schreibweisen vor. Sie besuchte das Hölderlin-Gymnasium in Heidelberg, das zu dieser Zeit wegen Umbauarbeiten in die Gemeinschaftsschule Hasenleiser gezogen war. Zumeist fuhr die Schülerin mit der OEG, doch trampte sie auch. Wie viele Gleichaltrige schwänzte auch sie die Schule: Am 26., 27. und 28. April 1977 war sie zwar unterwegs, kam aber nicht in ihrer Klasse an.
Parallelen zu anderen Fällen
Im Lauf der Jahrzehnte wurden verschiedene Spuren verfolgt. Gab es einen Zusammenhang mit den Münsterlandmorden? So nannte man eine Serie im Münsterland und in der Grafschaft Bentheim, der zwischen 1971 und 1975 vier junge Frauen zum Opfer fielen.
Es waren Edeltraud van Boxel (die 23-Jährige starb am 21. November 1971), die 20-jährige Barbara Storm (ermordet vor dem 17. Mai 1972), die 18-jährige Schülerin Marlies Hemmers (Tod nach dem 6. August 1973) und die 22-jährige Studentin Erika Kunze (nach dem 29. Oktober 1974 getötet). Mit Ausnahme von Edeltraud, die Prostituierte auf dem Straßenstrich war und den Täter vermutlich für einen Kunden hielt, trampten alle. Besonders tragisch beim ersten Fall war, dass das Opfer im siebten Monat schwanger war.
Alle jungen Frauen waren zierlich und hatten blondes oder hellbraunes Haar, und alle wurden erwürgt und halb entblößt aufgefunden, waren aber nicht vergewaltigt worden. Mehrmals machten Zeugen Beobachtungen, etwa von leblosen Frauen im Auto, von Fahrern, die mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs waren. Immer waren es andere Fahrzeugtypen. Die Ermittler tappten im Dunklen. Daran änderte auch die Analyse von DNA-Spuren unter Barbara Storms Fingernägeln in den neunziger Jahren nichts: In der Datenbank gab es keinen Treffer. Über diesen Fall wurde ein Dokudrama gedreht: „Akte 916 – Der Münsterlandmörder“ von Detlef Muckel kam 2022 in die Kinos.
Später wurde versucht, eine Verbindung zu den „Discomorden“ herzustellen: Zwischen 1977 und 1979 gab es im Raum Cuxhaven und Bremerhaven drei Mordfälle und weitere rund um Bremen; hier wurde der „Würger von Aachen“, Egidius Schiffer, als Täter ermittelt. Auch zu den Göhrde-Morden vom Sommer 1989 wurden Beziehungen gesehen – in diesem Fall ermittelten die Beamten einen Verantwortlichen, den Friedhofsgärtner Kurt-Werner Wichmann. Die Parallele: Als er sich für einige Zeit im Raum Karlsruhe aufhielt, wurden dort mehrere Anhalterinnen ermordet. sku
Kaufhäuser weckten ihr Interesse, besonders die Musikabteilungen, wo die Schülerin Schallplatten hörte. An ihrem Todestag wurde sie gesehen, als sie zwischen 18 und 19.45 Uhr in der Brückenstraße unmittelbar nach der Theodor-Heuss-Brücke in ein fremdes Fahrzeug einstieg. Zeugen merkten sich ein Heidelberger Kennzeichen und die Zahlen 572, aber nicht die Buchstabenfolge davor. Gesucht wurde ein graublauer Opel Rekord bis Baujahr 1964/65.
Im Gegensatz zu den anderen Opfern war Maria-Theresia brünett und trug die Haare kurz – kürzer als auf den Fotos, die später von ihr veröffentlicht wurden. An diesem Tag hatte sie eine blaue Cordhose an, eine grün-schwarz karierte Kapuzenjacke mit hellgrünem Futter und einen roten Frottee-Pullover, dazu schwarze Socken und schwarze Schuhe. Das alles trug sie noch, als sie gefunden wurde.
Todesursache waren schwere Stichverletzungen und Schädelbrüche. Außerdem wurde ihr ein Balkenkreuz auf den Oberbauch geritzt, und an ihrer linken Brust gab es ähnliche Male. Das Mädchen hatte verzweifelt um sein Leben gekämpft und auch Kleidung des Täters zerrissen. Waren Säume beschädigt? Gab es Löcher? War der Mörder mit dem Blut seines Opfers beschmutzt? In diese Richtung wurde zunächst ermittelt, doch wieder ohne Erfolg. Rechtsmediziner erklärten mal den Fundort zum Tatort, mal wurde vermutet, dass der Teenager anderswo ermordet worden war.
In den Heimatorten der toten Mädchen herrschte Angst. „Warum hat man ihr das angetan?“, das fragt sich Stang, der Maria-Theresia vom Sehen kannte und als schüchternes Mädchen in Erinnerung behielt. Im Ort kannte man sich und kennt sich noch heute: „Das ging unter die Haut.“ Weshalb brachte ihr der Mörder diese Verletzungen bei? Die Polizei richtete eine Sonderkommission ein; diese Soko suchte nach Hinweisen, die Tageszeitungen unterstützten die Fahndungen durch regelmäßige Veröffentlichungen von Bildern der Opfer und der Gegenstände, die verschwunden waren. Außerdem wurden hohe Belohnungen ausgelobt: bis zu 50.000 Mark, falls ein Hinweis zu dem Serientäter führte.
„Zur falschen Zeit am falschen Ort“
Ob es dem Mörder um eine Inszenierung ging? Ähnlich wie bei Maria Elsa Scholte hat man auch beim jüngsten Opfer den Eindruck, dass eine Art Szenario geschaffen wurde, denn sie lehnte halb a einem Baum. Stang ist heute 84 Jahre alt, erinnert sich aber noch gut an die Einzelheiten und ist überzeugt, dass der Teenager ein Zufallsopfer war: „Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Apropos Ort: An der Auffindestelle ist heute nichts mehr so, wie es damals war. Zufahrten wurden geändert, Neubaugebiete entstanden, Landwirte bauten Hallen, fällten Obstbäume. Bei der Suche tun sich selbst Ortskundige schwer.
Viele Menschen gaben im Lauf der kommenden Zeit ihre Beobachtungen an die Ermittler weiter; es wurde nach einem Mann mit „dunklen, ungepflegten Haaren in Struwwelpeterfrisur“ gesucht, der am Morgen des 29. April 1977 mit hohem Tempo im Bereich „Dorstenäcker“ unterwegs war. Das gezeichnete Phantombild erinnert tatsächlich eher an die Figur aus Heinrich Hoffmanns Kinderbüchern als an einen realen Menschen. Und verwirrend war auch die Tatsache, dass Zeugen ein Aachener Kennzeichen gesehen haben wollten.
Eine weitere Sackgasse? Es ist zu vermuten. Bis heute wurde kein Täter ermittelt, selbst die heißesten Spuren sind erkaltet. Für die Fundorte bei Lampertheim ist die hessische Polizei zuständig. Bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt heißt es auf Anfrage: „Leider ist der von Ihnen genannte Fall für uns nicht recherchierbar. Es liegen dazu keine Informationen oder Akten mehr vor.“ Der Vorgang sei nicht bekannt, teilt die Pressestelle weiter mit, und dass die Namen der Mädchen im System nicht zu finden seien: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Akten nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist bereits ausgesondert wurden. Bei Vorgängen, die 50 Jahre alt sind, kann die Frist bereits abgelaufen sein.“ Vom Polizeipräsidium Mannheim kommt ebenfalls wenig. „Beide von Ihnen angefragten Fälle sind noch ungelöst“, teilt Pressesprecher Michael Klump mit und erklärt, Auskünfte zu Sachbearbeitern und auch sonst weitere Auskünfte nicht geben zu können. Es ist ein trauriges Ende – nach 50 Jahren. sku
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