Bergstraße. Sowohl das Frühjahr als auch der Sommer in diesem Jahr waren eher durchwachsen. Mal war es tropisch heiß, während der Lenz laut Deutschem Wetterdienst landesweit betrachtet der nasseste seit zehn Jahren war.
Diese Unbeständigkeit schlägt sich nicht nur in der Laune vieler Menschen nieder: auch die Apfelernte wird in diesem Jahr wohl geringer ausfallen als noch 2022.
Die deutschen Obstbaubetriebe erwarten 2023 einen Apfelertrag von etwa 889 000 Tonnen und damit einen Rückgang von rund 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Zahlen hat das Statistische Bundesamt vor einem Monat veröffentlicht.
Die ersten Früchte auf den Streuobstwiesen sind ab August reif, die Saison läuft etwa bis Ende Oktober. Eine Prognose für die Ernte 23 an der Bergstraße und im Odenwald kann Martin Schaarschmidt von der Initiative „Streuobstwiesenretter“ geben: „Die 17 Prozent beziehen sich zwar auf den Erwerbsanbau von Äpfeln, trotzdem könnte es auf den privaten Flächen ähnlich aussehen.“
Beim wirtschaftlichen Anbau von Äpfeln und anderen Obstsorten haben die Landwirte ganz andere Möglichkeiten und betreiben einen ganz anderen Aufwand als Personen, für die der Obstanbau ein Hobby ist. „Die Landwirte beregnen ihr Obst und schützen es mit Netzen vor Wetterschäden. Das kann und möchte eine Privatperson wahrscheinlich eher nicht leisten.“
Komplette Ernte verhagelt
Manchmal „verhageln“ extreme Wetterereignisse den Obstbauern trotzdem die Ernte: Das Unwetter am Dienstagabend hat beim Apfelhof Biebesheimer binnen einer halben Stunde die Arbeit eines ganzen Jahres zerstört.
„Wir haben versucht zu retten, was zu retten war“, sagt die Hofheimerin Birgit Biebesheimer, die mit ihrem Ehemann Arnd den Apfelhof bei Nordheim betreibt. Kurz vor der Haupternte traf es den Apfelhof heftig und mit voller Wucht. Die Schalen der Äpfel wurden von den Hagelkörnern, die den Durchmesser eines Zwei-Euro-Stückes aufwiesen, schier durchgeschlagen.
„Gott sei Dank haben wir vor dem Unwetter noch wenige Äpfel pflücken können“, so die Hofheimerin. Um zu retten, was noch zu retten ist, haben die Biebesheimers in den vergangenen Tagen viel Saft gepresst und die Äpfel für das Brennen von Schnaps verwendet.
Der Ertrag hängt von den Sorten ab
Zurück in den Odenwald: Martin Schaarschmidt selbst bewirtschaftet eine Streuobstwiese in Reichenbach, die Streuobstwiesenretter kümmern sich außerdem um Flächen in Bensheim und Einhausen. „Auch dort sieht es eher durchwachsen aus. Auf manchen Bäumen hängt gar nichts, andere wiederum sind voll.“ Welche Apfelsorten am Ende einen guten Ertrag liefern, hängt von einigen Faktoren ab - zum Beispiel davon, wie das Wetter zur Blütezeit war.
Äpfel als meistgeerntetes Baumobst in Deutschland
Trotz niedrigerer Ernteerwartung bleiben Äpfel das mit Abstand am meisten geerntete Baumobst in Deutschland. Die Obstbaubetriebe erwarten im Jahr 2023 eine Apfelernte von rund 889 000 Tonnen.
Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach einer ersten Schätzung vom Juli 2023 mitteilt, werden damit voraussichtlich 182 000 Tonnen weniger Äpfel geerntet (minus 17 Prozent) als im Vorjahr mit 1,07 Millionen Tonnen.
Gegenüber dem zehnjährigen Durchschnitt wird die diesjährige Apfelernte nach ersten Prognosen um 92 000 Tonnen und damit etwa 9,4 Prozent niedriger ausfallen.
Äpfel werden 2023 bundesweit auf einer Fläche von 33 000 Hektar erzeugt. Die wichtigsten Anbaugebiete liegen in Baden-Württemberg (Bodenseeregion), Niedersachsen (Altes Land) und in Sachsen. Dort werden voraussichtlich mehr als zwei Drittel (69,4 Prozent) aller Äpfel geerntet.
Dabei ist Baden-Württemberg mit Anteilen von über einem Drittel sowohl bezogen auf die Anbaufläche (35,1 Prozent) als auch auf die Erntemenge (34,5 Prozent) das bedeutendste Bundesland für den Apfelanbau in Deutschland.
Die Flächenangaben basieren Destatis zufolge auf der zuletzt 2022 durchgeführten Baumobstanbauerhebung und werden in einzelnen Ländern aktualisiert.
Ein Grund für die geringen Erwartungen der Obstbaubetriebe sind ungünstige Witterungsverhältnisse. Das nasse, kalte Wetter zum Zeitpunkt der Blüte wirkte sich negativ auf die Bestäubung aus und führte teilweise zu Frostschäden. Im Frühsommer auftretende Hitze und Trockenheit setzten vielen Bäumen zusätzlich zu und förderten Sonnenbrand und Trockenstress.
Dazu kommt ein erhöhtes Risiko für Krankheiten und Schäden durch vermehrt auftretende Niederschlagsereignisse. „Viele Bäume werfen ihre Früchte ab, bevor sie reif werden, da sie wurmstichig sind oder wegen der Feuchtigkeit faulen. Sie sortieren quasi selbst aus.“
Auf ein gutes folgt ein weniger gutes Apfel-Jahr
Kultivierte Apfelsorten sind zudem einer sogenannten Alternanz unterworfen, erklärt Schaarschmidt. „Auf ein sehr ertragreiches Jahr folgt meist eines, in dem weniger geerntet werden kann.“ Damit sich dieser Zustand nicht auf den erwerbsmäßigen Anbau von Äpfeln auswirkt, greifen die Obstbauern gerne einmal gezielt zur Schere und schneiden die Bäume zurück: Dadurch gibt es keine zu großen Schwankungen zwischen den Erntejahren.
Im Gegensatz zu den Obstbauern achten viele Streuobstwiesenbesitzer weniger auf die Pflege ihrer Bäume. Und die macht einen weiteren großen Faktor aus, wenn es um den Ertrag geht. Ein Baum, der regelmäßig beschnitten und von Misteln befreit wird, ist gesünder und hat bessere Chancen, mehr Äpfel „durchzubringen“.
Ähnlich wie in der Gesellschaft gibt es auch auf den Streuobstwiesen eine Art demografischen Wandel: Der Baumbestand ist eher älter, es werden weniger Bäume nachgepflanzt. Auch das wirkt sich natürlich auf die Erntemenge aus.
An dieser Stelle möchten die Streuobstwiesenretter ansetzen. Aktuell und noch bis zum 30. September läuft zum Beispiel wieder die Obstbaum-Sammelbestellung über den Kreis Bergstraße. Gerne macht die Initiative auch immer auf die unterschiedlichen Angebote des Fördervereins Odenwälder Apfel aufmerksam. Dort kann man etwa Schnittkurse besuchen oder eine Fachwartausbildung machen.
Der Betrieb läuft schleppend an
Wie sieht es an den Stellen aus, an denen die Äpfel ankommen? Seit vergangener Woche können fleißige Apfelsammler ihre Früchte in der Kelterei Horn in Reichenbach abgeben und zu Saft pressen lassen. „Der Betrieb ist etwas schleppend angelaufen“, berichtet Monika Seehaus. Von vielen, die ihre Früchte vorbeibringen, hört sie, dass die Ausbeute eher mager sei.
Am Ende kann auch sie bestätigen, was Schaarschmidt wiedergibt: „Je nach Sorte kann es ganz unterschiedlich aussehen.“ Ihr Geschäft sei am Ende eine Überraschungsbox. Aktuell werden zwar weniger Äpfel als im Vorjahr abgegeben, wie die Saison aber letztlich lief, wird sich zeigen, wenn alle Äpfel gepresst sind.
Einen Rückschluss von den 17 Prozent Ertragrückgang, den die Erwerbsbauern erwarten, auf die Streuobstwiesen zu ziehen, ist nicht so leicht: „Auf manchen Wiesen hängen vielleicht alle Bäume voll, es gibt aber niemanden mehr, der die Äpfel ernten möchte oder kann“, gibt sie ein Beispiel.
Neben weniger Menschen, die die Äpfel ernten gebe es auch immer weniger Bäume, erklärt Reinhard Bitsch, der seinen Betrieb in Glattbach am heutigen Samstag für die Lohnkelterei öffnet. In etwa zwei Wochen können dann auch Privatleute ihr Obst abgeben. „Zwar werden auch neue Bäume gepflanzt, die Zahl der alten liegt aber deutlich darüber.“
Die prognostizierten Einbrüche nimmt er gelassen: „Am Ende sind diese Zahlen Mittelwerte. Der eine wird vielleicht wirklich wenig ernten, während ein anderer Landwirt volle Lager hat.“ Als ein besonders schlechtes Apfeljahr hat Bitsch 2017 in Erinnerung. Davon sei 2023 aber weit entfernt, denn die Witterungsbedingungen seinen, wenn sie auch ab und an geschwankt hätten, im Grunde in Ordnung gewesen.
Wer also frischen Apfelsaft oder Apfelwein aus den eigenen Früchten genießen möchte, braucht am Ende Glück - und genügend fleißige Hände, die bei der Ernte helfen. (ame)
Infos zur Odenwälder Apfelkultur gibt es hier: www.odenwaelder-apfel.de
Alles zu den Streuobstwiesenrettern unter: www.streuobstwiesenretter.de
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