Technik

Vorbild Wormser Nibelungenbrücke? Warum sie jetzt in den Fokus rückt

Fast wäre die Wormser Nibelungenbrücke dem Abrissbagger zum Opfer gefallen. Nun soll sie als Paradebeispiel dafür dienen, wie man Brücken saniert und neu baut.

Von 
Bernhard Zinke
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Die Wormser Nibelungenbrücke wird eine Woche lang gesperrt und verschiedenen Belastungstests unterzogen. © Berno Nix

Worms. Sie gilt als Vorzeigestück deutscher Ingenieurskunst der Nachkriegszeit: Die Nibelungenbrücke zwischen Worms und dem südhessischen Ried war Deutschlands erste große Spannbetonbrücke, die im sogenannten freien Vorbau über den Rhein gebaut wurde. Doch um ein Haar wäre diese Brücke jetzt Geschichte gewesen. Laut ursprünglicher Planung wären in diesem Jahr die Bagger angerückt, um das Bauwerk vor dem markanten Brückenturm niederzureißen und Platz für eine neue Rheinquerung zu schaffen.

Diese Pläne sind jetzt abgewendet. Stattdessen untersuchen Forscher in den kommenden Wochen und Monaten, wie standfest die Brücke tatsächlich ist und wie sie für weitere Jahrzehnte erhalten werden kann. Die Brücke könnte dabei sogar beispielgebend für die künftige Bewertung von bestehenden Brücken sein und auch den Neubau künftiger Brücken mit beeinflussen.

Nibelungenbrücke bei Worms ist ein Wahrzeichen der deutschen Ingenieurbaukunst

„Die Brücke hat durch ihre Geschichte einen besonderen ingenieurbautechnischen Wert“, sagt Bernhard Knoop, Leiter der Wormser Außenstelle beim Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz. Vor drei Jahren zeichnete die Bundesingenieurkammer das Bauwerk als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ aus – was in der Fachwelt einem Ritterschlag gleichkommt. Nicht zuletzt deshalb wurden die Abrisspläne schon vor zwei Jahren zu den Akten gelegt. „Wir sind mit der Oberen Denkmalpflege im ständigen Austausch“, betont Knoop die historische Bedeutung der Brücke.

Die Brücke hat durch ihre Geschichte einen besonderen ingenieurbautechnischen Wert
Bernhard Knoop Leiter der Wormser Außenstelle Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz

Die Nibelungenbrücke wurde zwischen 1951 und 1953 von beiden Uferseiten jeweils abschnittsweise betoniert, bis sich die Brückenteile in der Flussmitte punktgenau trafen. Das Freibauverfahren war zu Beginn der 50er Jahre geradezu revolutionär. Damit galt das Bauwerk als Pionier des modernen Brückenbaus. Schon während der Bauzeit erlangten die Planer, Ingenieur Ulrich Finsterwalder und Architekt Gerd Lohmer, internationale Anerkennung für ihre Leistung.

Das Verfahren wird bis heute besonders bei Brücken mit großen Spannweiten angewendet und ist technischer Standard. Bei der Schwester der Nibelungenbrücke, die wenige Meter weiter südlich parallel über den Rhein führt, haben die Menschen in der Region diese Bauweise zu Beginn der 2000er Jahre live verfolgen können.

Mittlerweile hat freilich der Zahn der Zeit an dem Bauwerk genagt. Immerhin sind rund 23.000 Kraftfahrzeuge pro Tag auf der – alten und neuen – Brücke unterwegs. Allerdings ist sie nicht in einem solch schlechten Zustand, dass da nichts mehr zu retten wäre. „Sie hat ihre Defizite, aber von der Bausubstanz ist sie noch absolut in Ordnung“, sagt Bernhard Knoop.

Im richtigen Winkel lässt sich durch den Brückenbogen der Wormser Dom sehen. © Bernhard Zinke

Um zu sehen, wo die Brückenexperten den Hebel bei der Sanierung sinnvollerweise ansetzen sollten, nehmen Forscher die Nibelungenbrücke nun ganz genau unter die Lupe. Beteiligt ist das Bundesverkehrsministerium und das Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden. Der Titel des Forschungsvorhabens gibt die Richtung vor: „Hundert plus – Verlängerung der Lebensdauer komplexer Baustrukturen durch intelligente Digitalisierung“ lautet der Name. Es geht darum, Bauwerken wie eben Brücken eine Lebensdauer von hundert Jahren und mehr zu verschaffen.

Im Rahmen des Projektes haben die Forscher sämtliche Daten gesammelt, die Geometrie vermessen und die Bestandspläne inklusive der Stahlbewehrung in der Brückenkonstruktion eingearbeitet. „Wir kennen die Bausubstanz, die Geometrie und den inneren Aufbau der Brücke ganz genau“, sagt Knoop. Daraus entsteht jetzt am Computer ein sogenannter digitaler Zwilling der Nibelungenbrücke.

Sensoren in der Nibelungenbrücke bei Worms messen jede Veränderung genau

Zusätzlich haben die Forscher an vielen Stellen Sensoren eingebaut, die alle Veränderungen an der Brückenkonstruktion messen: die Feuchtigkeit, Temperaturen, Bewegungen, Ausdehnungen. Um genaue Messergebnisse zu bekommen, wird deshalb in der kommenden Woche die Brücke von Montag, 17. November, ab 9 Uhr bis Samstag, 22. November, 18 Uhr, komplett gesperrt. „Das gilt auch für Fahrradfahrer und Fußgänger“, sagt Knoop. Denn geplant sind unter anderem feinste seismische Messungen. Und die liefern nur ohne jeglichen Verkehr brauchbare Ergebnisse. Die Sperrung der Brücke dürfte zwar in den Pendlerzeiten für etwas Rückstau auf beiden Rheinseiten führen. Allerdings steht mit der Parallelbrücke eine Alternative direkt daneben zur Verfügung.

Neben den seismischen Messungen nehmen die Forscher vor allem in den Abendstunden gezielte Belastungsproben vor. Sie platzieren an den neuralgischen Stellen des Bauwerks sechs Lastwagen mit jeweils 30 Tonnen Gewicht. So wollen die Experten herausfinden, wie starke Kräfte auf das Bauwerk wirken.

Der Nibelungenturm ist der Blickfang der Brücke. © Bernhard Zinke

Dabei sind die Untersuchungen nicht nur von Nutzen für den Erhalt dieser Brücke. Sie sollen auch beispielgebend für andere vergleichbare Bauwerke sein. „Es gibt eine hohe Zahl von geburtenstarken Brückenjahrgängen“, sagt Bernhard Knoop schmunzelnd. Immerhin entstanden in den 1960er und 1970er Jahren eine Menge Brücken, die nun nach und nach für jede Menge Probleme sorgen. Aber auch für neue Bauwerke könnte das Forschungsprojekt ausgesprochen nützlich sein. Erkenntnisreich könnte sein, wo sich Sensoren schon beim Neubau auszahlen, um frühzeitig Schäden zu erkennen und rechtzeitig mit Reparaturen beginnen zu können.

Der Wormser LBM-Chef widmet der Brücke am kommenden Montag sogar einen Vortrag an der Volkshochschule. Um 19 Uhr berichtet er über die Geschichte, Bedeutung und die Herausforderung bei ihrer Erhaltung. Der Vortrag beginnt um 19 Uhr bei der VHS, Willy-Brandt-Ring 11, Raum U14. Der Vortrag ist kostenlos, um Anmeldung unter vhs@worms.de oder 06241/853 42 56 wird jedoch gebeten.

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