Der Blick von der Bank für den früheren Ministerpräsidenten Volker Bouffier reicht über das Hambacher Tal bis weit in die Rheinebene hinein. Bei der offiziellen Übergabe der Bank wollte Bouffier, der ab 2010 als hessischer Landesvater regierte, gestern am liebsten gar nicht mehr aufstehen. Kein Wunder, bei sonnigen 23 Grad zwischen den Rebzeilen.
Doch bei der alljährlichen Weinlese mit den „Botschaftern der Bergstraße“ wollte sich der Ministerpräsident a. D. dann auch wieder nicht mit einer Rolle als Zuschauer begnügen. Etliche Repräsentanten trafen sich in der Parzelle des Landrats am Erlebnispfad Wein & Stein, wo seit 15 Jahren die regionale Prominenz mit Bütte und Rebschere bei der Ernte hilft, um die Trauben für den offiziellen Botschafterwein zu schneiden. Eine Cuvée aus über 100 ursprünglich heimischen (autochthonen) Sorten. Dazu muss man wissen: der Landkreis ist Mitglied in der Bergsträßer Winzer eG und hatte 2008 die Patenschaft für den Weinberg übernommen.
Das historische Rebsortiment umfasst unter anderen Blauer Willbacher und Roter Riesling sowie Raritäten wie Weifler Elbling, Gelber Orleans, Laska, Schwarzer Urban oder Roter Heunisch. Alles zusammen wird als Rotling deklariert, also als Verschnitt von roten und weißen Trauben, die zusammen gekeltert werden müssen. Auf dem Etikett befinden sich die Unterschriften aller Botschafter, von denen längst nicht alle, aber doch einige nach Heppenheim gekommen waren: Musiker Franz Lambert, Fußballtrainer Klaus Schlappner, Unternehmensgründer Holger Zinke (Brain AG) und – als Nachzüglerinnen – die Goldkanutin Nicole Reinhardt sowie die Önologin und ehemalige Deutsche Weinprinzessin Caroline Guthier.
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Für Musik im Weinberg sorgten die Original Blütenweg Jazzer, die ebenfalls zur Riege der Botschafter gehören. Zur Eröffnung gab es ein Ständchen an der Winzerrast im Steinkopf, wo die Formation zur Ouvertüre ein süffig verjazztes „My Bonnie“ anstimmte.
Mit dem Geschäftsführer der Winzer eG, Patrick Staub, dem Rebveredler Reinhard Antes und der Winzerfamilie Rau, den Besitzern des Patenweinbergs, war die geballte Weinkompetenz vertreten. Für Christian Engelhardt war es die siebte Weinlese als Landrat. Es gehe dabei auch um die Pflege des Miteinanders unter den Botschaftern, sagte er.
Mit dem Besuch von Volker Bouffier habe der Termin eine „dramatische Steigerung“ erfahren, so Engelhardt, der mit dem Ex-Ministerpräsidenten auch nach dem Rebstock sah, für den er anlässlich seines 70- Geburtstags im Dezember letzten Jahres eine Patenschaft übernommen hatte.
Dabei handelt es sich um die Sorte Zinfandel, die auch unter dem Namen Primitivo bekannt ist und als „Blauer Scheuchner“ schon früh über Österreich den Weg an die Bergstraße gefunden hatte, wie Reinhard Antes erläuterte.
Die Ruhebank war ein Geschenk von Engelhardt, der Ersten Kreisbeigeordneten Diana Stolz und des Heppenheimer Bürgermeisters Rainer Burelbach anlässlich Bouffiers Abschied aus dem Amt im Mai. Nach Georg-August Zinn (1950 bis 1969) war Bouffier mit fast zwölf Jahren Amtszeit der am zweitlängsten amtierende Ministerpräsident Hessens.
Zur Weinlese sei er als Bürger und Freund gekommen, sagte er. Dass der Kreis Bergstraße der schönste hessische Landkreis sei, wie Christian Engelhardt betonte, wollte der gebürtige Gießener auf Heppenheimer Terrain gar nicht erst bestreiten. Die Lage, das Klima und die Menschen seien ein besonderer Dreiklang. Und die Bank auch eine stille Verpflichtung: „Ich bin sicher nicht das letzte Mal hier.“
Im Weinberg sprach Volker Bouffier die schwierige weltpolitische Lage an. Da könne man nicht unbeschwert das Leben genießen – umso wichtiger seien Momente wie diese. Bereits im Jubiläumsjahr „75 Jahre Hessen“ 2021 habe die Pandemie alle Planungen ausgebremst. Besonders darunter zu leiden hatten die alten Menschen, die in Senioren- und Pflegeeinrichtungen bleiben mussten, wo Besuche monatelang kaum möglich waren, so Bouffier. Mit der Konzertreihe vor 75 Senioren- und Pflegeeinrichtungen habe man den Menschen Lebensfreude und gute Laune geschickt. Auch die Original Blütenweg Jazzer nahmen daran teil.
Nach etlichen Erinnerungsfotos starteten die Lesehelfer ihren Job. Der Termin markierte auch das Finale der Ernte an der Hessischen Bergstraße, die in den nächsten Tagen abgeschlossen sein wird. Aktuell steht bei der Winzer eG die Lese der letzten Riesling-Trauben ins Haus, bei den roten Sorten hängen lediglich noch die spät reifenden Merlot und Cabernet Sauvignon.
Das Weinjahr habe geradezu beispielhaft die Launen der Natur demonstriert, so Staub, der von einem Jahr der Extreme sprach. Nach einem heißen und trockenen Sommer folgte der Regen gerade zur besten Lesezeit. „Etwas mehr Niederschlag im Sommer und weniger Regen im Herbst wäre uns lieber gewesen.“ Angesichts der Dürre betonte Staub die Notwendigkeit künstlicher Bewässerungssysteme.
Zu Beginn der Lese, als die Genossen die Trauben für die Sektgrundweine geerntet hatten, zeigte sich Mutter Natur noch kollegial, doch die Feuchtigkeit der vergangenen Wochen hat den Beeren arg zugesetzt, was die Fruchtqualität buchstäblich etwas verwässert und die erfreuliche Entwicklung des Frühjahrs wieder ausgebremst habe. Unterm Strich erwartet Patrick Staub aber gute Qualitäten bei insgesamt etwas weniger Erträgen als in den Vorjahren.
Wie der Botschafterwein qualitativ ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Die Menge steht bereits fest: Etwa 1000 Flaschen des bislang meist feinherb ausgebauten Rotlings werden abgefüllt. tr
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