Bergstraße/Cincinnati. Heute wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten – oder erstmals eine Präsidentin. Die ganze Welt blickt gespannt in die USA: Schafft es Vizepräsidentin Kamala Harris als Nachfolgerin von Joe Biden ins Weiße Haus oder kehrt Ex-Präsident Donald Trump zurück? Der Viernheimer Björn Kemper lebt seit 25 Jahren in den Vereinigten Staaten und schildert für diese Zeitung seine Eindrücke von Amerika vor der Wahl.
Schon 2020 hatte er über das politische Geschehen aus seiner Wahlheimat berichtet. „Interessant, wieviel sich bewahrheitet hat“, blickt der 54-Jährige nun zurück, „ich sagte, dass der Trumpismus nicht verschwinden wird - und so war es leider.“
Herr Kemper, wie ist, so kurz vor der diesjährigen Wahl, die Atmosphäre und die Stimmung in den USA?
Björn Kemper: Im Englischen gibt es das schöne Wort „anxiety“, für das es im Deutschen kein Äquivalent gibt. Man kann es „mit nervöser Besorgnis, mit einer Prise Angst, Panik, Stress, Unruhe, generellem Knoten im Bauch“ übersetzen. Das fasst die Stimmung zusammen. Nach neun Jahren Trump wundert einen nichts mehr. Schlimm, aber man zuckt nur noch mit den Schultern, wenn seine dumpfen Tiraden wieder mal ein tieferes Niveau erreicht haben. Wenn man die langen Schlangen bei den Vorwahlen sieht, dann merkt man, wie es den Leuten unter den Fingernägeln brennt. Die Autos stauten sich am Samstag an der Ausfahrt zu unserem Vorwahlbüro bis auf die Autobahn.
Wo liegt der Unterschied zur Situation vor vier Jahren, als Amtsinhaber Trump gegen Herausforderer Biden antrat?
Kemper: Der Supreme Court hat vor zwei Jahren das Recht auf Abtreibung gekippt. Das hat vor allem sehr viele Wählerinnen mobilisiert, die den Demokraten schon zu den Kongresswahlen 2022 Erfolge einbrachten. Die Demokraten setzen darauf, dass dieses sehr emotionale Thema weiter Wähler und Wählerinnen an die Urnen treibt, vor allem Wechselwähler in den Vorstädten. Trump hat mittlerweile die Republikanische Partei vollkommen erneuert, sie ist ihm quasi hörig. Er hat die Radikalisierung der Republikaner vorangetrieben und den Kult um sich weiter ausgebaut. Konservative Mitte-Rechts-Politiker gibt es fast nicht mehr, sie wurden abgewählt oder aus der Partei gedrängt. Er wird ohne Gegenrede regieren können, sofern er die Wahl für sich entscheiden kann. Zudem hat er schon die nächste Generation herangezogen, wie zum Beispiel seinen Vize und Senator von Ohio JD Vance, einem aalglatten „Mini-Trump“, der auch hier in Cincinnati wohnt.
Zur Person
- Björn Kemper ist 54 Jahre alt, verheiratet und hat vier Kinder (20, 18, elf und elf Jahre alt). Er lebt mit seiner Familie in Cincinnati im Bundesstaat Ohio.
- Nach dem Abitur 1989 an der Albertus-Magnus-Schule in Viernheim machte er eine Lehre zum Bauzeichner und studierte anschließend Architektur an der TU Darmstadt.
- 1999 zog Kemper in den USA und hat seit 2012 auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.
- Seit 2023 ist er der Kreativdirektor bei Hyperquake im Bereich Markenarchitektur. Nebenbei arbeitet er freischaffend als Themenparkdesigner und nimmt auch Aufträge für die Mannheimer Agentur Go7 von Bruder Kai Kemper entgegen. su/ü
Wie kommt der Wahlkampf beider Kandidaten bei den Menschen an?
Kemper: Schwer zu sagen. Der Wahlkampf versucht, die kleine Minderheit an Wechsel- und Nichtwählern in den Swingstates zu erreichen. Die meisten Amerikaner wissen ohnehin, wen sie wählen. Bei uns in Ohio geht es übrigens nur um die enge Senatorenwahl zwischen dem Demokraten Sherrod Brown und dem Trump-Mann Bernie Moreno. Dabei geht um die Erhaltung der demokratischen Mehrheit im Senat und darum, dass Ohio nicht vollends in republikanische Hand fällt. Ich sehe in Ohio fast gar keine Werbung zum Präsidentschaftswahlkampf selbst.
Ihre Söhne dürfen das erste Mal wählen. Welches Stimmungsbild herrscht in der jungen Generation vor?
Kemper: Ich denke die junge Generation ist sehr sensitiv, wenn es um soziale Themen, Umweltschutz oder gerade um Waffengewalt geht. Man muss sich vorstellen, dass so genannte „Active Shooter Drills“, bei denen Kinder üben, sich in ihrem Klassenzimmer vor einem potenziellen Attentäter zu verbarrikadieren, hier so zum Schulalltag gehören. Mein Sohn lernte dabei, wie man eine Schusswunde abbindet -unglaublich. Ich hatte immer den Eindruck, dass die junge Generation eher demokratisch tendiert. Aber wie wir sehen, findet Trump durch sein Machogehabe vor allem bei jungen Männern Zulauf. Mein Sohn Lars hat das bestätigt: „Überraschenderweise habe ich bemerkt, dass sich immer mehr junge Menschen mit den Ansichten der Republikanischen Partei identifizieren. Mein ganzes Leben lang war ich der Überzeugung, dass die meisten meiner Altersgenossen eher Demokraten sein würden. Aber seit meinem Wechsel an die Universität und mit dem Kontakt zu jungen Leuten aus allen Teilen des Landes habe ich eine stärkere republikanische Tendenz wahrgenommen.“
Die meisten Amerikaner haben ihre Stimme also schon abgegeben – so wie Sie und Ihre Frau und Kinder. Verraten Sie uns Ihre Abstimmung?
Kemper: Wir sind da leider sehr gespalten, meine volljährigen Söhne und ich sind liberal, wir stimmten für Harris und Normalität. Meine eigentlich aus der liberalen Gegend um San Francisco stammende Frau wurde in den späten Obama-Jahren sehr konservativ und wählt seitdem Trump. Wir vermeiden jede politische Diskussion.
Was passiert in den USA im Fall eines Trump-Siegs – und was bei einer Niederlage des Republikaners? Welche möglichen Auswirkungen hat das Wahlergebnis auf die USA, aber auch auf Sie persönlich?
Kemper: Die Republikaner arbeiten schon lange an einem Plan, dem sogenannten „Project 2025“, der an die Gleichschaltung 1933 erinnert: Austausch aller Beamten durch loyalste Trump-Anhänger, Verfolgung politischer Gegner, Massendeportation aller undokumentierten Einwanderer, Einschränkung der Pressefreiheit. Wenn die Republikaner Repräsentantenhaus und Senat gewinnen, dann hat er quasi freie Hand, mit dem Supreme Court im Rücken. Allerdings sollte man nicht meinen, dass es mit einem Harris-Sieg einfacher wird. Das Land ist zu polarisiert. Trump wird eine verlorene Wahl wieder nicht anerkennen. Seine Anhänger könnten wieder von ihm angestachelt und gewalttätig werden. Falls die Republikaner die Mehrheit im Senat gewinnen sollten, wonach es aussieht, würden sie Harris’ Agenda komplett blockieren und sie würde kaum etwas in die Wege leiten können. Für mich persönlich wird sich nichts ändern. Das Leben geht weiter. Ich bin da ziemlich resigniert. Ich spiele immer mal wieder mit dem Gedanken, nach Deutschland zurückzukehren, meine Eltern und mein Bruder wohnen ja nach wie vor in Viernheim - Viernheim ist meine Heimatstadt. Allerdings ist das mit einer großen Familie leider nicht so einfach. su/ü
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