Bergstraße. Ein global ausgerichtetes Freiwilligenprogramm und eine grenzenlose Pandemie – das gibt Probleme. Eigentlich wären die 16 Jugendlichen der Karl-Kübel-Stiftung erst Ende März aus ihren Einsatzorten in Indien und auf den Philippinen zurückgekehrt.
Doch angesichts gestrichener Flüge, der Schließung von Flughäfen und weltweiten medizinischen Sicherheitsvorkehrungen im Kontext der Corona-Krise wurde das „Weltwärts“-Programm frühzeitig beendet. Die Stiftung hatte bereits Mitte März beschlossen, die jungen Frauen und Männer so schnell wie möglich zurückzuholen.
Den Horizont erweitern
Zwischen dem 16. und 21. März sind alle wieder wohlbehalten in Deutschland angekommen, teilt die Stiftung auf Nachfrage mit. Anfang August waren die Teilnehmer von Bensheim aus aufgebrochen, um in verschiedenen Hilfsprojekten mitzuarbeiten, konkret zu helfen und ihren Horizont zu erweitern. Bei dem 2008 gestarteten Freiwilligenprogramm der Bundesregierung, an dem sich die Stiftung von Anfang an beteiligt hat, geht es um barrierefreies Lernen, interkulturellen Austausch und um einen Dialog auf Augenhöhe mit den Partnerorganisationen im Süden.
„Weltwärts“ trägt dazu bei, Verantwortungsbewusstsein und Kompetenzen zu entwickeln, die notwendig sind, um die dringendsten Zukunftsfragen anzugehen. Neben Indien schickt die Kübel-Stiftung als offizielle Entsendeorganisation seit 2015 auch Jugendliche auf die Philippinen.
Mit dem aktuellen Jahrgang sind es bereits 187 Freiwillige, die mit der Stiftung in die Welt gezogen sind. Das Team begleitet die jungen Menschen intensiv von der Vorbereitung bis zur Rückkehr und unterstützt sie dabei, sich nach ihrem Einsatz mit entwicklungspolitischen Themen in der Öffentlichkeit zu engagieren. Die Dokumentation ihrer Tätigkeit ist ein wesentlicher Aspekt der persönlichen Reflexion und Verarbeitung. Aus den interkulturellen Brückenbauern werden nach ihrer Rückkehr Multiplikatoren zur Verbreitung des neu gewonnenen Wissens. Trotz Corona.
„Zuerst konnte ich gar nicht fassen, dass dieses Virus mir tatsächlich die letzten zwei Wochen des Freiwilligendienstes und damit auch das geplante Abschiednehmen von all den Menschen aus unserem Projekt klauen würde“, berichtet Hannah Reemtsma. Die 19-Jährige aus Nürnberg war bei der KKS- Partnerorganisation Prajna Counselling Centre in Indien im Einsatz, die sich für die Rechte und den Schutz von Frauen, Kindern und Benachteiligten einsetzt. Bei aller Enttäuschung hält sie die Entscheidung für richtig, weil vernünftig.
Auch Lasse Sieberth aus Bensheim fand es schade, früher als geplant abzureisen. „Aber ich habe schnell eingesehen, dass es das Beste ist und keine andere Option gibt.“ Gemeinsam mit Merlin Müller aus Zwingenberg absolvierte er seinen Freiwilligendienst bei der Karuna Social Service Society, die eine Schule und ein Internat für behinderte Kinder in Nordindien unterhält. „Wir haben den Kindern bei den Hausaufgaben geholfen, mit ihnen gespielt und auch die Lehrer in der Schule unterstützt“, erzählt er, und dass er froh sei, sich nicht Hals über Kopf von den Kindern hätte verabschieden müssen. Weil die Kinder zu ihren Familien in die Ferien gefahren waren, fand das Lebewohl schon früher statt.
„Wie bei einem Zwischenstopp“
Seit 18. März sind die beiden jungen Männer nun wieder daheim an der Bergstraße. „Ich habe das Gefühl, als befinde ich mich in einem Zwischenstopp, weil ich mein altes Leben noch nicht zurückhabe“, so Merlin Müller. Es werde wohl noch etwas dauern, bis er sich wieder mit Freunden treffen und Fußball spielen kann. Auch für Lasse sei der soziale Abstand in Zeiten von Corona in Deutschland noch etwas gewöhnungsbedürftig. „In Indien war das noch kein so großes Thema wie in Europa. Wir haben in einer sehr ländlichen Region gelebt. Da gab es keine Fremden, die das Coronavirus hätten einschleppen können.“
Er hoffe jetzt, dass die Menschen dort vor dem Virus weitgehend verschont bleiben. Doch inzwischen hat sich die Situation auch in Indien enorm geändert. Für rund 1,3 Milliarden Menschen wurde eine Ausgangssperre verhängt. Bis Mitte Mai steht die Bevölkerung praktisch unter Hausarrest. Auf diese Weise hofft die Regierung, eine weitere Ausbreitung des neuartigen Virus stoppen zu können. Die Angst ist groß, dass das Land vor einer massiven Infektionswelle steht.
Aufgrund des Infektionsschutzes verlief das Wiedersehen für alle „Weltwärts“-Teilnehmer anders als geplant. Anne Grahl aus Niedersachsen hatte die vergangenen Monate bei der Society of the Helpers of Mary in Mumbai verbracht: „Ein bisschen Zeit werde ich wohl noch brauchen, um zu verstehen, dass das Abenteuer Indien jetzt vorbei ist.“
Dass die Rückholaktion so gut geklappt hat, ist laut Stiftung vor allem den „Weltwärts“-Verantwortlichen Kirsten Sames und Andrea Riehle zu verdanken. „Deren umsichtiges, vorausschauendes und äußerst verantwortungsvollen Handeln, aber auch die Kooperation mit unseren Partnern vor Ort, haben es ermöglicht, alle Freiwilligen zwar etwas überstürzt, aber dennoch gesund zurückzuholen“, sagt Ralf Tepel, Vorstandsmitglied der Karl-Kübel-Stiftung.
Angesichts der sich stetig verschärfenden Situation um die weltweite Ausbreitung des Virus hatte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt am 17. März entschieden, dass alle im Ausland befindlichen Freiwilligen nach Deutschland zurückkehren.
Für internationale Teilnehmer, die ihren Freiwilligendienst aktuell in Deutschland leisten, sei ein Abbruch ebenfalls in jedem Fall möglich, heißt es. Freiwillige und Aufnahmeorganisationen in Deutschland seien nun aufgefordert, einvernehmliche Lösungen zu finden. Die Möglichkeit der Rückreise hängt allerdings von den aktuell verfügbaren Flugverbindungen ab. Bei der Rückreise der Freiwilligen in ihre Heimatländer gehe Sicherheit vor Schnelligkeit.
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