Gesellschaft

Tierrettung an der Bergstraße stellt 24-Stunden-Dienst ein

Die Helfer werfen das Handtuch: Überlastung und Anspruchsdenken machen ihnen zu schaffen.

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shy/ü
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Die Ratte, die in Auerbach in einem Kanaldeckel festhing, machte weit über die Region hinaus Schlagzeilen. Die Tierrettung hatte dem Nager damals wieder zur Freiheit verholfen. © Berufstierrettung Rhein-Neckar

Bergstraße. Schluss, aus. Die Berufstierrettung Rhein-Neckar stellt ihren 24-Stunden-Dienst auf unbestimmte Zeit ein. Diese Nachricht, die die Retter am Dienstag via Facebook bekannt gegeben haben, hat für mächtig Wirbel gesorgt. Was steckt dahinter? Die Redaktion hat mit Michael Sehr gesprochen. Er leitet das Unternehmen und was er berichtet, macht fassungslos.

„Wir werden für sämtliche Tiere verantwortlich gemacht – und wenn wir an andere Stellen verweisen, weil wir es nicht schaffen, dann werden wir beleidigt und man droht uns mit der Presse oder schlechter Kritik auf Facebook“, erzählt Sehr am Telefon.

Er klingt müde an diesem Morgen. Kein Wunder. Sehr hat – wie so oft – nur wenige Stunden geschlafen, war bis nachts um drei unterwegs, um acht ist er schon wieder auf den Beinen, um kurz vor halb zehn hat er bereits 25 Anrufe angenommen. Ein Knochenjob.

Beruhigend: Die Berufstierrettung stellt nicht ihre gesamte Arbeit ein. Für Vertragspartner, Behörden und die Feuerwehr ist sie nach wie vor jederzeit zu erreichen. „Aber wir können nicht mehr zu jedem jungen Wildvogel fahren. So leid uns das tut“, sagt Sehr und weiter: „Die Leute verstehen das nicht und das ist einfach traurig.“

Die Befreier der Ratte

In der Region bekanntgeworden ist die Berufstierrettung Rhein-Neckar durch den Fall einer Ratte, die in Auerbach in einem Kanaldeckel feststeckte und sich nicht mehr alleine befreien konnte. Die Tierretter verhalfen dem Nager wieder zur Freiheit. Die Geschichte machte sogar weit über die Region hinaus Schlagzeilen.

Zwei Personen arbeiten bei der Berufstierrettung. Michael Sehr selbst ist quasi ununterbrochen im Einsatz. Ihm geht das an die Substanz: „Ich habe Angst, dass ich irgendwann tot umfalle und dann hilft überhaupt niemand mehr. Ich kann mich überhaupt nicht mehr erholen, nie durchschlafen“, sagt Sehr.

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Dazu kommt, dass die Tierretter jeden Monat am Existenzminimum arbeiten. „Von uns wird stets erwartet, alles zu bewältigen, aber kosten darf es nichts. Ein Eichhörnchen in Neckargemünd, ein Vogel in Rockenhausen, eine Katze in Alzey, längst schon außerhalb des Einzugsgebiets – man soll von hier nach da und das möglichst pronto.“

Personal und Geld fehlen

Spenden gibt es so gut wie keine. Dabei wäre den Rettern mit Spenden wirklich geholfen. Konkret bräuchte die Berufstierrettung einen Sponsor, der über die Sommermonate zwei 450-Euro-Kräfte bezahlt. „Dann könnten wir Leute einstellen.“ Nun gibt es bis dato weder den Sponsor noch ausreichend „kleinere“ Spenden.

Über 1000 Einsätze hat das Retterteam allein in diesem Jahr schon abgearbeitet. „Normalerweise sind es zwischen 1300 und 1700 im Jahr, aber 2019 kommen wir sicherlich auf 2000 Einsätze“, sagt Sehr. Damit ist die Arbeit aber längst nicht zu Ende, auch der Telefondienst und die Büroarbeit fressen viel Zeit.

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Dazu kommt auch, dass nicht jeder Tierfreund ehrenamtlich für die Berufstierrettung arbeiten kann, auch wenn er das gern würde. „Ich kann keinen Laien zu einem aggressiven Hund schicken, oder zur Hilfestellung mit dem Veterinäramt bei einer Wohnungsräumung mit 40 Katzen. Die Problematik liegt im Grundgerüst. Und da eine konstante Basis zu finden, ist schon fast ein politisches Problem“, schreibt Christina Sehr auf der Facebook-Seite der Berufstierrettung.

Unzählige Kommentare haben sich dort seit Dienstagabend gesammelt. Viele Menschen zeigen Verständnis, viele wollen helfen, aber mit kurzfristiger Hilfe ist es leider nicht getan.

Ein Leser bringt dort zum Ausdruck, was wohl sehr viele denken: „Ich kann euch gut verstehen. Vielleicht bewirkt das ein Umdenken in der Bevölkerung und Dankbarkeit und Anerkennung rücken wieder in den Vordergrund. Danke für alles, was ihr leistet!“ shy/ü

Wenn ein Tier in Not ist . . .

Das sind die richtigen Ansprechpartner:

Bei Wildvögeln in Not sind die örtlichen Stellen des Naturschutzbundes beziehungsweise Wildvogelrettungen die richtigen Ansprechpartner.

Bei Wildtieren jeglicher Art ist die Polizei, beziehungsweise ein Jagdpächter zu verständigen.

Bei aufgefundenen Haustieren wenden sich Bürger bitte an Tierheime oder an die zuständigen Polizeidienststellen.

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