IG Bau

Tausende Asbest-Fallen im Kreis Bergstraße

Die Gewerkschaft fordert ein Förderprogramm zur Sanierung betroffener Gebäude und Infokampagnen für Bauarbeiter zu den Gefahren des Stoffes.

Von 
red
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Bergstraße. Tonnen von Baumaterial mit Asbest stecken im Kreis Bergstraße in Altbauten. „Von 1950 bis 1989 kamen Asbest-Baustoffe intensiv zum Einsatz. Es ist davon auszugehen, dass es in jedem Gebäude, das in dieser Zeit gebaut, modernisiert oder umgebaut wurde, Asbest gibt. Mal mehr, mal weniger“, sagt Bruno Walle von der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

Er spricht von „Asbest-Fallen“ und nennt Zahlen: „In den vier ‚Asbest-Jahrzehnten’ wurden im Landkreis Bergstraße rund 41 000 Wohnhäuser mit 76 400 Wohnungen neu gebaut. Das sind immerhin 59 Prozent aller Wohngebäude, die es heute im Kreis gibt. Dazu kommen noch Gewerbegebäude, Garagen, Ställe und Scheunen in der Landwirtschaft.“ Der Bezirksvorsitzende der IG BAU Rhein-Main verweist dabei auf die „Situationsanalyse Asbest“, die die Bau-Gewerkschaft beim Pestel-Institut (Hannover) in Auftrag gegeben hat.

„Asbest ist ein krebserregender Stoff. Wer in einem asbestbelasteten Haus wohnt, muss sich trotzdem erst einmal keine Sorgen machen. Erst bei Sanierungsarbeiten wird es kritisch. Dann kann Asbest freigesetzt und damit zu einem ernsten Problem werden“, sagt Walle. „Alles fängt mit Baustaub und dem Einatmen von Asbestfasern an. Bauarbeiter und Heimwerker haben kaum eine Chance, diese Gefahr zu erkennen.“

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Bis zu 30 Jahre dauere es, ehe es zur tragischen Diagnose komme: Asbestose – mit Lungen-, Bauchfell- oder Kehlkopfkrebs. Zum Komplett-Schutz bei einer Sanierung mit Asbest-Gefahr gehöre daher immer mindestens eine FFP3-Atemschutzmaske. Ebenso ein Muss: Overall, Schutzbrille und Handschuhe.

„Altbauten im Kreis Bergstraße sind ein tonnenschweres Asbest-Lager. Die krebserregende Mineralfaser steckt in vielen Baustoffen. Asbest ist oft im Putz und sogar in Spachtelmassen und Fliesenklebern. Vor allem aber im Asbest-Zement. Daraus wurden vorwiegend Rohre, Fassadenverkleidungen und Dacheindeckungen gemacht. Eternit war typisch für den Westen, Baufanit für den Osten“, sagt Walle. Ein großes Problem sei Spritz-Asbest: „Hier sind die Asbestfasern schwächer gebunden. Sie können deshalb leichter freigesetzt werden. Vor allem Aufzugsschächte sowie Schächte mit Versorgungs- und Entsorgungsleitungen wurden früher intensiv mit Spritzasbest verkleidet“, erklärt er.

Viele Sanierungen stehen an

„Wir stehen am Anfang von zwei Sanierungsjahrzehnten. Die energetische Gebäudesanierung wird enorm an Fahrt aufnehmen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, wird auch im Kreis Bergstraße in den kommenden Jahren ein Großteil der Altbauten angefasst.“ Dabei bleibe es in den meisten Fällen nicht bei einer reinen Energiespar-Sanierung: „Wohnhäuser werden modernisiert, senioren- und familiengerecht umgebaut. Es wird angebaut und aufgestockt, um mehr Wohnraum zu bekommen“, so Walle.

Aber IG BAU und Pestel-Institut geben auch Entwarnung. Für die Menschen, die in Wohngebäuden leben, die mit asbesthaltigen Baustoffen gebaut wurden, haben sie eine klare Botschaft: „Eine unmittelbare Gefährdung für die Gesundheit gibt es nicht.“ Bei einer Sanierung im bewohnten Zustand sei es allerdings wichtig, mit „allergrößter Sorgfalt professionell vorzugehen“, mahnen Walle und der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther.

Die IG BAU will der drohenden Asbest-Gefahren auf dem Bau mit einem Maßnahmenpaket entgegentreten. Die Gewerkschaft hat dazu eine bundesweite „Asbest-Charta“ mit zentralen Forderungen für mehr Schutz vor Asbest vorgelegt. Der Fünf-Punkte-Katalog kann bei der IG BAU Rhein-Main angefordert werden: frankfurt@igbau.de. Es gehe um bessere Informationen über Asbest-Gefahren bei Gebäuden, um die Förderung von Asbest-Sanierungen und vor allem auch um konsequenten Arbeitsschutz.

Der Gewerkschafter fordert einen Schadstoff-Gebäudepass mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die jeweilige Asbest-Belastung eines Gebäudes. „Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker muss wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert.“

Walle plädiert für eine staatliche Sanierungsprämie. Dazu müsse der Bund ein KfW-Förderprogramm „Asbest-Sanierung“ schaffen. „Das hilft, Kosten abzufedern, die bei einer Gebäudesanierung in belasteten Wohnhäusern entstehen. Außerdem ließe eine ordnungsgemäße Entsorgung von Asbest sicherstellen.“ Die Gewerkschaft fordert eine intensive Asbest-Aufklärung in Form einer Informationskampagne des Bundes und der Länder.

Die Dimension und die Gefahr, die vom Asbest ausgehe, sei gewaltig: Nach Angaben des Pestel-Instituts wurden von 1950 bis 1990 bundesweit rund 4,35 Millionen Tonnen Asbest importiert. Daraus seien rund 3500 Produkte hergestellt worden – die meisten für den Baubereich: Knapp 44 Millionen Tonnen asbestbelastetes Baumaterial stecken bundesweit im Gebäudebestand. In den vergangenen zehn Jahren sind laut IG BAU 3376 Versicherte der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft an den Folgen einer asbestbedingten Berufserkrankung gestorben – darunter allein 320 Baubeschäftigte im Jahr 2022. red

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