Bergstraße. Was kann man tun, wenn einem der Strom abgestellt wird? Wer hilft in diesen Fällen? Um Fragen wie diese geht es bei dem Vortrag „Vermeidung von Energiearmutim Mörlenbacher Bürgerhaus. Eingeladen hatte der örtliche Seniorenbeirat. Referentin war die Verbraucherschützerin Nicole Hensel: „Es ist für viele Menschen schwer, dazu zu stehen, „sagt sie. Dabei seien es nicht eben wenige, die davon betroffen sind, wie die Juristin von der Verbraucherzentrale Hessen eingangs berichtet: 22 000 Menschen wurde im vergangenen Jahr allein in Hessen der Strom abgestellt. Das Bundesland landet mit dieser Zahl bundesweit auf Platz sechs.
Bereits vor der Energiekrise sei Energiearmut ein großes Thema gewesen, weshalb die Landesregierung 2019 beschloss, gegenzusteuern: „Das war die Geburtsstunde des Projekts ,Hessen bekämpft Energiearmut‘, das ich leite.“
Die Lage spitzt sich zu
„Energieschulden? Sperre? Wir helfen Ihnen. Kostenlos“, ist der Slogan, mit dem die Verbraucherzentrale auf das Angebot aufmerksam macht. Immer wieder gibt es Runde Tische mit allen Verantwortlichen – erst recht seit der Energiekrise. Denn in den Folgejahren spitzte sich die Lage zu, der Strompreis kletterte auf das Doppelte des Vorkrisenniveaus, erklärt sie und zeigt den aktuellen Tarif: Beim Grundversorger zahlt man mittlerweile 42 Cent für die Kilowattstunde. 42 Euro pro Monat beträgt die Pauschale, die die Jobcenter zahlen für monatliche Abschläge oder kleinere Reparaturen, fährt sie fort: „Das kann ein Alleinlebender nicht stemmen, das geht nicht bei diesen Preisen.“
Daneben sind auch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Überforderung mit Finanzen die Ursachen, warum manche an den Abschlägen scheitern; ebenso wie Unkenntnis: „Viele Menschen haben keine Ahnung, dass man beim Einzug in eine Wohnung automatisch einen Vertrag mit dem Grundversorger abschließt.“ Dieser ist in der Region die Entega, an die monatliche Abschläge gezahlt werden müssen.
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Schwierigkeiten wie diese betreffen alle sozialen Schichten, alle Altersgruppen, bemerkt sie: „Das kommt immer häufiger auch bei jungen Menschen vor, die eher ihre Handyrechnung als den Abschlag für den Strom zahlen.“
Wenn jemand geltend macht, sein Zähler sei kaputt, winkt Hensel ab: Das habe sie in all den Jahren erst zwei- oder dreimal erlebt – häufiger komme es vor, dass man die Rechnung nicht verstehe. Auf der anderen Seite habe sie mit einer Frau gesprochen, die pro Jahr nicht mehr als 1000 Kilowattstunden Strom verbrauche: „Sie hat mich gefragt, wo sie noch weiter sparen kann. Aber irgendwann wird das würdelos, etwa wenn die Leute ihren Kühlschrank abstellen.“
Sie rät zur Prävention: „Man muss sich so früh wie möglich melden, um die Situation nicht eskalieren zu lassen.“ Wenn das doch geschieht, bittet Hensel den Betroffenen, ein Foto des Stromzählers und der Rechnung zu machen, außerdem eine Vollmacht zu erteilen: „Wir kontaktieren dann den Energieversorger und bitten darum, eine Mahnsperre einzulegen.“ Eine Mediation sei grundsätzlich möglich. Manchmal sei die Lösung einfach, dann seien Ablesefehler schuld oder Verwechslungen von Zählern, was in Mietshäusern häufiger vorkomme.
Apropos Mieten: Die Fachfrau rät, beim Einzug in eine neue Wohnung ein Foto des Stromzählers zu machen – zu Beweiszwecken und auch, um nicht Kosten etwa aus der Renovierungszeit aufgebürdet zu bekommen. Viele aktuelle Schwierigkeiten rühren auch noch aus der Pandemiezeit: Damals wurde nicht abgelesen, sondern der Verbrauch wurde geschätzt, oder der Wert wurde von den Bewohnern selbst abgelesen – was ebenfalls fehleranfällig sei. Nun komme bei vielen erst der wirkliche Verbrauch zutage. Bei einer Frau wurde ein Fehlbetrag von 30 000 Euro ermittelt, sie erhielt die Drohung, den Anschluss zu sperren. Doch dann stellte sich heraus, dass alles auf einem Ablesefehler beruhte, und die Sperre wurde abgewendet. In einem anderen Fall schätzte der Vater einer fünfköpfigen Familie den monatlichen Abschlag grob auf 30 Euro, berichtet Hensel: „Das war lebensfremd.“ Und am Ende stand eine Nachzahlung von 8000 Euro.
Rechnungen machen Angst
Ein Besucher merkt an, dass die Rechnungen und Formulare vielen Menschen auch Angst machten, außerdem würde den Kindern in der Schule nicht beigebracht, wie das gehe. „Wir hoffen, dass da in Zukunft mehr Bildungsarbeit stattfindet“, antwortet Hensel.
Sie hat immer wieder auch mit Menschen zu tun, die Verträge mit anderen Anbietern abgeschlossen haben; unter ihnen gebe es schwarze Schafe, verweist sie auf Namen, die bei Beschwerden immer wieder auftauchen. Sie zeigt ein vermeintlich attraktives Angebot und verweist auf das Kleingedruckte: „Ein Monat Preisgarantie! Das ist gar nichts!“ Die Verbraucherschützerin warnt vor Online-Vergleichsportalen: „Die sind mit Vorsicht zu genießen.“
Vermeintlich günstige Discounter
Und am Ende seien die angeblich günstigen Verträge überteuert, den Kunden werde mit Schufa-Einträgen und Inkassobüros gedroht. Oder sie würden aus dem Vertrag „gekickt“, wenn der sich für den „Discounter“ nicht mehr rechne: „Dann kommt man in die Ersatzversorgung“, bemerkt Hensel und betont, dass es eine Grundversorgungspflicht gebe. Davon abgesehen lohne es sich, Sonderverträge zu besseren Konditionen abzuschließen; dabei gelte es, auf eine Preisgarantie zu achten und auf Sonderkündigungsrechte bei Preiserhöhungen. Und noch einmal kommt Hensel auf die Stromsperre zu sprechen: „Es ist leichter, eine Sperre aufzuhalten, als sie aufzuheben.“
Besonders wichtig sei eine Sache, die man vielleicht auf den ersten Blick für selbstverständlich halten könne, die es im Alltag aber oft nicht ist, betont sie zum Schluss: „Öffnen Sie unbedingt Ihre Post. Auch wenn es aussieht wie Werbung, es könnte wichtig sein.“ /ü
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