Infrastruktur

So soll die Riedbahn leistungsfähiger werden

Die Generalsanierung im nächsten Jahr soll die Trasse moderner und dadurch weniger anfällig für Störungen machen.

Von 
Christian Schall
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Der derzeit gesperrte Bahnübergang in Biblis wird bald ganz aufgegeben. © Christian Schall

Bergstraße. Wer in diesen Tagen am Mannheimer Hauptbahnhof einen ICE besteigt und Richtung Norden fahren will, der erlebt Situationen wie diese: Nach der Abfahrt überquert der Zug mit dem (rechtsrheinischen) Ziel Berlin-Gesundbrunnen den Rhein und passiert Ludwigshafen. In Frankenthal kommt er das erste Mal fast zum Stillstand, in Bobenheim dann ganz. Im Schneckentempo geht es durch Worms, bevor der Rhein ein zweites Mal überquert wird. Wirklich Tempo nimmt der Zug nie auf. In Riedstadt-Goddelau wartet er erneut. Weitere fünf Minuten vergehen, um an einer Baustelle einen entgegenkommenden ICE durchfahren zu lassen.

Der bei der Abfahrt pünktliche Zug erreicht Frankfurt-Süd – das ist derzeit der Umsteigeknoten von und nach Mannheim – mit 20 Minuten Verspätung. Der Anschlusszug ist natürlich weg – am Ende beträgt die Fahrzeit zwischen den Hauptbahnhöfen Mannheim und Frankfurt statt der üblichen 36 fast 90 Minuten.

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Dieses Erlebnis ist ein Vorgeschmack auf das, was Reisenden bis Ende nächsten Jahres in Richtung Frankfurt und darüber hinaus immer wieder blüht. Es steht sinnbildlich für den Zustand des deutschen Bahnnetzes, besonders an neuralgischen Abschnitten wie der Riedbahn. Zum Teil völlig veraltete Technik ist anfällig für Störungen und sorgt für Verspätungen und Zugausfälle. Damit soll zumindest hier absehbar Schluss sein. Das Bundesverkehrsministerium unter Führung von Volker Wissing und die Deutsche Bahn (DB) haben erkannt, dass sie diesen Zustand den Fahrgästen und Güterverkehrskunden nicht länger zumuten können.

Deshalb wird die Riedbahnstrecke – als bundesweit erste Bahntrasse – generalsaniert (wir berichteten). Das bedeutet: Anstatt wie bisher nacheinander Weichen und Gleise, dann Oberleitungen, später noch Bahnhöfe oder Lärmschutzwände und irgendwann dazwischen die Stellwerke auf Vordermann zu bringen, wird alles auf einmal unter einer Vollsperrung der Gleise erledigt. Diese beginnt am 15. Juli 2024 – dem Tag nach dem Fußball-EM-Finale in Berlin – und soll, wenn alles nach Plan läuft, bis zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2024 beendet sein.

Acht bis zehn Jahre ohne Baustelle

Dann werden laut Bahn 117 Gleiskilometer, 152 Weichen, 140 Kilometer Oberleitungen, 20 Bahnhöfe, vier Bahnübergänge und 1200 Anlagen der Leit- und Sicherungstechnik wie Signale erneuert sein. Danach sollen Reisende erst einmal Ruhe haben, verspricht der für Infrastruktur zuständige Bahn-Vorstand Berthold Huber: „Wir werden danach acht bis zehn Jahre Baufreiheit haben.“ Hin und wieder würden Inspektionen fällig. „Sicher wird auch mal etwas kaputt gehen“, gesteht Verkehrsminister Wissing. Das könne jedoch schnell repariert werden.

Zumindest zwischen Mannheim und Frankfurt hätten Fahrgäste wieder Ruhe. Anderswo nicht. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen weitere Korridore aufgerüstet werden. Als Nächstes ist Berlin-Hamburg an der Reihe, dann Oberhausen-Emmerich und Bielefeld-Hannover. So wie die Riedbahn-Baustelle haben die anderen Arbeiten ebenfalls Auswirkungen auf fast das gesamte Netz.

Trotzdem sind Bahn und Ministerium davon überzeugt, dass dieser Ansatz der richtige ist. „Das bringt eine deutlich bessere Qualität und höhere Kapazität im Bestandsnetz“, sagt Huber. Würde man, wie bisher, bei laufendem Bahnbetrieb sanieren, müssten Fahrgäste noch zehn Jahre lang unter Einschränkungen wie den derzeitigen leiden. Huber geht davon aus, dass die Kapazität im bestehenden Bahnnetz um 20 Prozent steigt, wenn alle wichtigen Korridore im Land saniert sind. „Wir müssen jetzt handeln“, fordert er, „wir sind an einem Punkt, wo wir bald gar nicht mehr fahren können“.

Thorsten Bartholmae (r.) erklärt Volker Wissing das Stellwerk in Lampertheim. © Christian Schall

Auf der Trasse in Südhessen wird schon gebaut, unter anderem an der Leit- und Sicherheitstechnik, wie dem neuen elektronischen Stellwerk in Gernsheim. Es soll alle anderen Stellwerke an der Strecke ersetzen. So auch das in Lampertheim. Dort steuert noch Fahrdienstleiter Thorsten Bartholmae Weichen und Signale zwischen Mannheim-Waldhof und Biblis. Seit 2011 ist der 59-Jährige dort tätig. Wenn das neue Stellwerk in Gernsheim in Betrieb geht, wird er nicht mehr gebraucht. Er geht vorzeitig in den Ruhestand.

„Das Stellwerk Lampertheim wurde 1966 in Betrieb genommen und hat die Leistungsgrenze überschritten“, erklärt Philipp Nagl. Er ist Vorstand der DB Netz AG, eines der Infrastrukturunternehmen der DB. „Es ist drei Mal so störanfällig wie ein neues, elektronisches Stellwerk.“ Ein Nadeldrucker erfasst jeden Handgriff am Steuerpult sowie jede Ein- und Ausfahrt in den Bahnhof. In modernen Stellwerken wird das auf einer Festplatte gespeichert.

Alte Stellwerke, Weichen und Kabel, die seit 40 bis 50 Jahren in der Erde liegen und teilweise korrodieren – all das trägt zu den Störungen auf der Trasse bei. Eine weitere anfällige Anlage ist in Biblis zu betrachten: Dort ist einer von sechs Bahnübergängen an der Riedbahn. Gerd-Dietrich Bolte, bei der Bahn Leiter der Infrastrukturprojekte Mitte, erklärt eine der Störquellen dieser und anderer Anlagen: „Der Schließvorgang der Schranken wird ans Stellwerk gemeldet. Doch nicht immer kommt die Meldung an.“ Dann müssen Züge warten, bis klar ist, dass die Schranken geschlossen sind. Wegen eines Defekts ist der Übergang zurzeit gesperrt. Er soll laut Nagl noch repariert werden. Im Zuge der Generalsanierung werden dieser und ein weiterer in Bobstadt aber dauerhaft geschlossen. „Zwei potenzielle Störstellen weniger“, meint Bolte.

Schneller durch die Bibliser Kurve

Eine andere Bauweise bei der Oberleitung, die schon einige Jahre angewandt wird, soll bei Störungen vermeiden, dass ein Streckenabschnitt komplett gesperrt werden muss. Statt, wie etwa in Biblis zu sehen, mehrere Gleise zu überspannen, baut man heute mehr Einzelmasten und schafft damit für jedes einzelne Gleis eine Stromversorgung, „Das alte Prinzip stammt aus den 1960er Jahren“, erläutert Nagl. „So konnte man schneller und günstiger die Strecken elektrifizieren.“ Und noch eine Neuerung wird für Verbesserungen sorgen: Müssen Züge auf das Gleis der Gegenrichtung ausweichen, können sie dort dank der neuen Signaltechnik in viel kürzeren Abständen fahren als heute.

Wer die Strecke öfter mit dem ICE fährt, kennt es, dass die Züge bei Biblis stark abbremsen. Grund ist eine Kurve, die derzeit nur mit Tempo 90 durchfahren werden darf. Sie wird so ertüchtigt, dass Tempo 100 möglich ist. ICE müssen dann zwar immer noch abbremsen, aber nicht mehr die Güterzüge. Für die Anwohner bedeutet das weniger Lärm, macht Nagl Hoffnung. Insgesamt soll der Lärmschutz entlang der Strecke besser werden. Moderner und barrierefreier werden die Bahnhöfe gestaltet. Vielerorts ist das schon fortgeschritten. An allen Stationen ist ein eigenes Riedbahn-Design geplant.

Redaktion Redakteur in der Wirtschaftsredaktion

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