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„Silbers Reitschule“: Vater und Sohn restaurieren legendäres Karussell im Odenwald

Adam Silbers Sohn Johannes und Enkel Nicolas wollen das Familien-Karussell restaurieren, das sich von 1948 bis 2007 im Odenwald drehte. Ein Blick in die Scheune, in der alles begann – und in die Zukunft.

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akw
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Johannes und Sohn Nicolas Silber stecken mitten in den Restaurierungsarbeiten von „Silbers Reitschule“, dem Karussell, das Johannes‘ Vater Adam Silber mit viel Herzblut selbst gebaut hat. Fast 60 Jahre lang drehte es seine Runden auf den Kerwen der Region. Doch die beiden haben eine andere Idee für das Karussell, das noch lange erhalten bleiben soll. © Philipp Reimer

Bergstraße. Es ist mitten in der Kerwesaison, die Luft ist heiß und zu der Schwere des Sommers gesellt sich eine in Zuckerwatte getränkte Brise, wenn in der Region eine Kerwe auf die nächste folgt. Lange Jahre gehörte auch ein ganz bestimmtes Karussell zu den Sommern dazu: „Silbers Reitschule“, eben jenes Karussell, das fast 60 Jahre lang in Betrieb war und an das ganze Generationen Erinnerungen geknüpft haben. Im Jahr 2007 saßen das letzte Mal Kinder auf den handgeschnitzten Figuren, wie dem Pferd „Hans“, dem Esel „Max“ oder dem Auerhahn, der „Jockel“ getauft wurde.

Letzterer ist das Lieblingstier von Nicolas und Johannes Silber, „weil er mit so vielen Details versehen ist“, sagt Nicolas und zeigt auf die Figur, die im alten Bauwagen verstaut ist, während die anderen Figuren in der Scheune nebenan auf ihre kleinen Reparaturen warten. „An jeder Feder des Auerhahns zeigt sich die große Kunst der Holzschnitzerei“, ergänzt sein Vater Johannes.

Wer war Adam Silber?



Adam Silber wurde am 4. April 1927 geboren und wuchs in Ober-Mumbach auf. Am ersten Sonntag im September 1948 verwirklichte sich der damals 21-Jährige seinen Kindheitstraum: Er präsentierte auf der Kerwe in seinem Heimatort erstmals sein selbstgebautes Karussell.

Wie kam er auf die Idee? Als Kind stellte er sich vor, wie schön es doch wäre, wenn sich um den alten Baum im Garten hinter dem Haus ein Karussell drehen würde. Als 18-Jähriger entschließt er sich, verwundet aus dem Krieg zurück, nach einem Rundgang über die Birkenauer Kerwe dazu, selbst ein Karussell bauen und betreiben zu wollen. Ein Dreivierteljahr lang bauen der gelernte Schreiner und sein Vater an dem Karussell, wie er sich selbst in einem Gespräch mit der Redaktion im Jahr 2015 erinnerte.

Im Laufe der Jahre gesellten sich immer mehr Karusselltiere zu den anfänglichen Pferden und Kutschen. Der Esel „Max“ war das erste Karusselltier für „Silbers Reitschule“. Für die Schnitzarbeiten baute er auf die Expertise der Profis in Südtirol, mit denen er die selbst geschnitzten Figuren perfektionierte. Der Birkenauer Maler Albert Schmitt sorgte für den letzten Schliff an den Figuren und am Karussell selbst: Die gezeichneten Motive an der Innenseite brachten dem Fahrgeschäft den Namen „Märchenkarussell“ ein.

Mit diesem war Adam Silber fast 60 Jahre lang auf den Kerwen der Region, beim Deutschen Sportball in der Frankfurter Jahrhunderthalle und beim Mannheimer Weihnachtsmarkt vertreten.

Im Jahr 2007 zog sich Adam Silber aus dem Schausteller-leben zurück. Im Herbst 2017 starb er im Alter von 90 Jahren.

Nicolas hat es sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit seinem Vater Johannes das Karussell, das einst von seinem Opa Adam nach eigenen Vorstellungen detailliert gebaut wurde, zu restaurieren. Und das aus einem bestimmten Grund: „Wir wollen es für die nachfolgenden Generationen erhalten“, betont Johannes sichtlich gerührt, als er auf die Figuren blickt, die für ihn viel mehr als bloße Karusselltiere sind.

Damals holte Johannes die Einzelteile wieder aus dem Wagen hervor, der die Nostalgie bewahrte wie einen gut gehüteten Schatz. In vielen Stunden wurden die einzelnen Figuren, verzierten Dachkanten und die Dachplane gesichtet – und weckten Erinnerungen bei allen, die ihm dabei halfen. Und es war klar, dass viel Arbeit ansteht, um das nostalgische Karussell fit für die Zukunft zu machen.

Die Restaurierungsarbeiten starten

Mit Freunden und Weggefährten des Karussells bauten Johannes und Nicolas die Reitschule seinerzeit zum ersten Mal wieder auf – ein Abenteuer für sich, denn einen Aufbauplan gab es nicht, sondern nur Erinnerungen, an welche Stelle welche Schraube passt. Aus vielen Einzelteilen wurde schließlich ein Ganzes und alles wurde dokumentiert. Danach starteten die Restaurierungsarbeiten, die bis heute andauern, denn jede Schleifarbeit, Ausbesserung und jeder Pinselstrich erfolgt in Eigenregie und in der Freizeit von Vater und Sohn.

Gut verstaut: In dem alten Bauwagen hat jedes Teil des Karussells seinen festen Platz. Nach und nach werden die Figuren restauriert, ohne ihnen ihren Charme zu nehmen. © Philipp Reimer

„Es war wichtig, damals den Mut zu fassen, die Figuren und alles, was zum Karussell dazugehört, wieder aus dem Wagen herauszuholen und zu sichten. Wir wussten damals ja nicht, wie der Zustand ist. Es stellte sich schnell heraus, dass beispielsweise das Dach und die Plane nicht mehr dicht waren“, erinnert sich Johannes an das Jahr 2020, während er in der Scheune steht, in der vor noch viel längerer Zeit alles begann.

Der erste Sonntag im September 1948

Es ist der erste Sonntag im September 1948, an dem sich das selbst gebaute Karussell von Adam Silber erstmals zur Kerwe in seinem Heimatort drehte. Zuvor war es in mühevoller Arbeit von ihm und seinem Vater an ebenjener Stelle in Eigenregie entstanden. Die Werkstatt und das angrenzende Elternhaus auf dem Hof gibt es heute nicht mehr. Aber die Scheune und das Karussell sind geblieben. Und mit ihm jede Menge Erinnerungen sowie Pläne für die Zukunft.

Heute, 77 Jahre nach seinem Entstehen, befinden sich die Einzelteile des Karussells wieder in der Scheune. Einige der Tierfiguren gucken hinter gestapelten Kisten hervor, andere stehen fein aufgereiht Schlange und scheinen nur darauf zu warten, bis jemand ihren Schnauzen, Pfoten und Co. zu neuem Glanz verhilft. „Im Jahr 1948 drehte sich das Karussell zunächst mit Pferden und Kutschen. Ab den 1970er-Jahren wurden es dann nach und nach immer mehr Tierfiguren“, erinnert sich der 62-Jährige, der mit dem Karussell aufgewachsen ist.

Liebevolle Gebrauchsspuren

Die Figuren sind erstaunlich gut erhalten, obwohl schon unzählige Kinderhände über ihre Nasen und Ohren gestreichelt haben. Liebevolle Gebrauchsspuren gibt es viele, wie im Laufe der Jahre abgegriffene Stellen und abgenutzte Steigbügel – „das soll aber alles so bleiben, denn Patina gehört zu einem nostalgischen Karussell“, sagt Johannes und begutachtet den großen Braunbären.

An einer seiner Tatzen fehlte ein großes Stück Holz, das nun nachgebessert wurde. Mit speziellem Harz aus den Niederlanden und Tipps von Fachmännern wie Schreinern gehen Johannes und Nicolas Figur für Figur vor und reparieren einige Stellen. „Ein paar andere Dinge als die Figuren hatten aber zunächst Priorität“, erklärt Johannes. „Beispielsweise die verzierten Dachkanten mussten getrocknet werden, um sie vor dem Verfaulen zu schützen. Auch das haben wir bereits geschafft.“

Im Bauch der Karusselltiere

Übrigens: Jedes der 20 Karusselltiere ist innen hohl. In jedem Bauch der Figuren befindet sich eine Tageszeitung vom Tag der Fertigstellung, ein Karussellbild, ein aktuelles Prospekt des Mannheimer Weihnachtsmarkts sowie ein Fahrchip.

In einer Ecke der Scheune leuchten die blauen Fahrchips mit silberner Schrift in einer Holzkiste, die einer Schatztruhe gleicht. Mit ausgestreckter Hand greift Johannes beherzt in die Kiste und bringt die Chips zum Klingen. In den Anfangsjahren kostete eine Fahrt mit dem Karussell zehn Pfennige, in seinem letzten Jahr 1,50 Euro. „Mein Vater gab den Kindern oft so viele Chips, wie in ihre kleinen Hände passten, damit sie öfter fahren konnten“, erinnert sich Johannes und verteilt mit einem Lächeln die Fahrchips als kleine Erinnerung an vergangene Kindertage.

Der Esel „Max“ war das erste Karusselltier für „Silbers Reitschule“. © Philipp Reimer

Im Museum und bei der Hochzeit

Einige Figuren von „Silbers Reitschule“ verließen in den vergangenen Jahren bereits das eine oder andere Mal die alte Scheune. Im Jahr 2024 wurden sie Teil einer Ausstellung der aus Birkenau stammenden Künstlerin Laura Gaiser, die sie im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen in ganz anderem Licht zeigte.

Und vor Kurzem bildeten einige der Karussellfiguren eine besondere Kulisse: Als Nicolas im Juli dieses Jahres in der Mörlenbacher Wieschands Scheier seine Hochzeit feierte, gehörten auch neun Karusselltiere dazu. „Weil mein Opa nicht mehr dabei sein konnte, haben wir ein paar Figuren in die Dekoration integriert. Auf diese Weise war er dann doch irgendwie dabei“, erklärt der 28-Jährige.

Wie geht es mit dem Karussell weiter?

Und wie soll es mit dem Karussell nun weitergehen? „Wir werden weiter in unseren freien Minuten an der Restaurierung arbeiten. Ich möchte das Karussell fit machen und es in einem guten Zustand an meine Söhne Nicolas und Christopher, der in Spanien lebt, weitergeben können“, sagt Johannes und fügt hinzu: „Es geht uns nicht ums Geldverdienen.“ Sondern es geht ihnen um viel mehr.

„Man muss dranbleiben“

Dass das Karussell noch heute existiert, ist nicht selbstverständlich. „Anfang der 2000er-Jahre brannte es einmal. Die Dachplane und die Figur des kleinen Eisbären wurden in Mitleidenschaft gezogen“, erinnert sich Johannes. „Und zum Glück hatte sich mein Vater in den 70er-Jahren gegen den Verkauf des Karussells entschieden, als blinkende Lichter beliebter wurden als nostalgische Fahrgeschäfte. Es zeigte sich: Man muss dranbleiben und sollte nicht aufgeben.“

Das wird mit jedem Wort und mit jedem ihrer Blicke auf die Karussellfiguren in der Scheune deutlich. Es ist ein Stück Familiengeschichte, an der so viele Generationen teilhaben konnten und es auch noch in Zukunft können sollen. Denn: „Wir möchten das Karussell zwar nicht mehr als Schaustellerbetrieb führen. Aber vielleicht finden wir ein Museum, das das Karussell, vor Witterung geschützt, ausstellen und seine Geschichte erzählen möchte“, sagt Nicolas. Sein Vater Johannes fügt hinzu: „Schließlich ist dieses Karussell auch ein Stück Odenwald.“ akw

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