Klimabewegung

Sie kleben sich auf Straßen und hoffen, dass die Menschen sich mit ihnen solidarisieren

Die „Letzte Generation“ hatte zu einem Vortragsabend in den Bürgerraum der Bensheimer Weststadthalle eingeladen hatte.

Von 
Eric Horn
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Leo Elgas war einer der Referenten bei dem Vortragsabend, zu dem die „Letzte Generation“ in den Bürgerraum der Bensheimer Weststadthalle eingeladen hatte. © Zelinger

Bergstraße. Sie blockieren Hauptverkehrsachsen, kleben sich in Museen an Gemälden fest, beschmieren das Bundeskanzleramt: Seit einem Jahr sorgt die Protestorganisation „Letzte Generation“ mit ihren Aktionen regelmäßig für Schlagzeilen. Zwei Aktivisten der Klimabewegung hielten nun in Bensheim einen rund zweistündigen Vortrag zu den Motiven und Zielen der Gruppe.

Rund 30 Zuhörer

Rund 30 Personen finden sich im Bürgerraum der Weststadthalle zu der Veranstaltung ein. Es ist ein generationsübergreifendes Publikum, das in den Sitzreihen Platz nimmt. Mit etwas Verspätung begrüßt Gregor Mitsch die Gäste. Der 41-jährige Informatiker aus Heppenheim ist einer der Referenten des Abends; Leo Elgas, der zweite, verspätet sich: Er bereitet sich noch auf seinen Prozess vor einem Mannheimer Gericht am nächsten Morgen vor. Verantworten muss sich Elgas wegen einer Straßenblockade in der Quadratstadt aus dem vergangenen Jahr, erklärt Mitsch.

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Gregor Mitsch, der hagere Mann trägt Jeans und einen grauen Pullover, übernimmt den ersten Part des Vortrages. Nach einleitenden Worten im Stehen setzt er sich auf einen Stuhl und berichtet von seiner Motivation, sich bei der „Letzten Generation“ zu engagieren.

Die Diskrepanz zwischen dem Stand der Klima-Wissenschaft und den technischen Möglichkeiten zur Umsetzung einer Energiewende auf der einen Seite und dem politischen Willen zu einem nachhaltigen Wandel in der Energiepolitik auf der anderen empfand er als „groteske Situation“. Statt der Dringlichkeit der Lage entsprechend zu agieren, wurde und werde die Klimakrise von Politik, aber auch von den Medien, verdrängt und verharmlost, sagt Mitsch. „Für mich fühlt sich das falsch an. Wir haben die Verpflichtung, das Wissen, das wir haben, zu verwenden.“

Es bleiben Fragen offen

Mitsch spricht in ruhigem, sachlichem Ton etwa 25 Minuten über das Ausmaß und die Auswirkungen der Klimakatastrophe, erinnert an die verheerenden Fluten in Pakistan und im Ahrtal, die Hitzewellen in China und Europa, warnt vor drohender Wasserknappheit, die die Kühlung von Atomkraftwerken gefährdet.

Im Zuge der Klimaveränderungen drohten Konflikte, die zum Zusammenbruch der globalisierten Welt führten. Seine Ausführungen unterfüttert er mit Forschungsergebnissen aus der Wissenschaft, zitiert den renommierten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber oder UN-Generalsekretär Antonio Guterres.

Letzte Generation

Die Anfänge der Protestgruppe gehen auf einen Hungerstreik von Aktivisten in Berlin für eine radikale Klimawende vor der Bundestagswahl 2021 zurück.

Erstmals Autobahnzufahrten blockierte die „Letzte Generation“ am 24. Januar 2022 in Berlin.

Bei ihren Straßenblockaden kleben die Aktivisten ihre Hände mit Sekundenkleber auf der Straße fest.

Nach eigenen Angaben hat die Gruppe bisher 1250 Straßenblockaden in Deutschland durchgeführt, bei denen sich rund 800 Menschen festgeklebt hätten.

2700 Strafanzeigen sind in diesem Zusammenhang bisher gestellt worden.

Im Jahr 2022 erhielt die Organisation circa 900 000 Euro an Spenden.

Mit Vorträgen wie in Bensheim will die Gruppe über ihre Aktionen informieren und weitere aktive Unterstützer und Spender gewinnen.

Die Protestbewegung sieht sich als letzte Generation, die den „Klimakollaps“ durch aktives Handeln noch abwenden kann – daher rührt der Name „Letzte Generation“. eh/dpa

Einwürfe aus dem Auditorium während des Vortrages sind erwünscht. Die gestellten Fragen können meist nicht in wenigen Sätzen beantwortet werden und werden auf die anschließende Diskussion verschoben. Manche Punkte – wie etwa Einblicke in Struktur und Organisationsform sowie die Finanzierung der „Letzten Generation“ – bleiben dabei auf der Strecke.

Nicht genug öffentliches Interesse

Inzwischen ist Leo Elgas eingetroffen. Mit wehenden Fahnen betritt er den Raum, zieht seine Jacke aus und seine Mütze ab, streift sich mit der rechten Hand einige Male durch die Haare und bringt zeitgleich seinen Laptop in Betrieb. Er ist bereit und steigt sofort ein in die Materie.

Nach einem Hinweis aus der ersten Reihe schaltet er den Rückwärtsgang ein. Er hat vergessen, sich vorzustellen: 24 Jahre, Mathematik-Student aus Heidelberg. Nach intensiver Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Publikationen zum Klimawandel hat er sich der „Letzten Generation“ angeschlossen. Aus Liebe zum Leben, wie er sagt. Die Klimakrise sei gewaltig und müsse so dargestellt werden, wie sie tatsächlich ist. „Wir müssen das Richtige tun.“

Klimaschutz ins Bewusstsein rücken

Den Weg des zivilen Widerstands/Ungehorsams hält Elgas aufgrund der Gefahr der Klima-Bedrohung für geboten. Auch deshalb, weil die bisherigen Maßnahmen nichts gebracht hätten. Der Einzug der Umweltschutzbewegung über die Grünen in die Parlamente habe in den vergangenen Jahren nicht im erhofften Maße dazu geführt, die politischen Entscheidungen im Hinblick auf eine Energiewende zu beschleunigen.

Verdienst von Protestbewegungen wie „Fridays for Future“ sei es, dafür gesorgt zu haben, das Thema Klimaschutz verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Letztlich sei daraus jedoch kein entschlossenes politisches Handeln erwachsen. Zudem habe das öffentliche Interesse an dieser Art des Protestes nachgelassen.

Wie zuvor Mitsch redet auch Elgas in ruhigem, sachlichem Ton. Seine Ausführungen belegt er ebenso mit wissenschaftlichen Studien, weist auf Meinungsumfragen hin mit Mehrheiten für ambitionierteren Klimaschutz oder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021, das von der Politik in puncto Klimaschutz deutliche Nachbesserungen fordert.

Rechtlich schwieriges Terrain

Aktionen wie Straßenblockaden begründet Elgas mit einer erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit. Wenn hunderte Menschen für das Klima demonstrierten, sei das Interesse überschaubar. Wenn aber fünf Personen eine Straße blockierten, würden „sofort“ alle Medien darüber berichten.

Dass die „Letzte Generation“ mit ihren „ausschließlich gewaltfreien Protesten“ (Elgas) auf rechtlich schwierigem Terrain unterwegs ist, wissen die Aktivisten und sind bereit, die Konsequenzen für ihr Tun zu tragen – inklusive Polizeigewahrsam und Strafverfahren. Bei ihren Aktionen vermummen sich die „Klimakleber“ nicht und führen stets ihren Personalausweis mit. Die Hoffnung der Protestler ist, dass die staatlichen Sanktionen zu einem allgemeinen Solidarisierungseffekt der Gesellschaft mit den Protagonisten der „Letzten Generation“ führen.

Die Frage, ob ziviler Ungehorsam/Widerstand in einem Rechtsstaat eine legitime Handlungsform ist und damit zum Wesen einer Demokratie gehört, beschäftigt die „Letzte Generation“. Leo Elgas verweist auf rechtsphilosophische und sozialwissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema. Bestärkt sieht sich die Protestgruppe in ihrem Handeln durch historische Vorbilder erfolgreicher Kampagnen zivilen Ungehorsams: Gandhi in Indien, die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung oder die sanfte Revolution in der DDR.

Die „Letzte Generation“ will in den nächsten Wochen und Monaten ihre Aktionen intensivieren. Innerhalb der Zivilgesellschaft sollen über sogenannte Bürgerräte basisdemokratisch Klimaziele formuliert werden, die von der Politik umgesetzt werden sollen. Der Druck auf die Politik müsse hochgehalten werden, betont Leo Elgas. „Wer, wenn nicht wir, kann es sich leisten, Widerstand zu leisten.“

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