Bildung

Schulamtsleiterin Hertz: „Wir müssen die Kinder erreichen“

Die Amtsleiterin des Bergsträßer Schulamts verabschiedet sich in den Ruhestand. Im BA-Interview wünscht sich Susann Hertz, dass die Lehrer noch mehr Unterstützung im Schulalltag bekommen.

Von 
Angela Schrödelsecker
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Susann Hertz im BA-Interview auf dem Heppenheimer Marktplatz. © Thomas Zelinger

Bergstraße. Susann Hertz übernahm im Jahr 2020 die Amtsleitung beim Staatlichen Schulamt für den Landkreis Bergstraße und den Odenwaldkreis. Im September war ihr letzter Tag in dieser Position, im April beginnt offiziell ihre Pension. Die Herausforderungen an den Schulen sind vielfältig und auch die Folgen der Pandemie sind nach wie vor spürbar. Wie Susann Hertz die letzten Jahre auf diesem Posten erlebt hat und was sie gerne am System ändern würde, darüber sprach sie im BA-Interview.

Wie geht es Ihnen jetzt als baldige Pensionärin?

Susann Hertz (lacht): Ich fühle mich noch gar nicht so. Meine Verabschiedung war gerade erst und ich habe Zuhause auch noch all die Geschenke, Karten und Briefe liegen. Ich habe versucht, sie zu lesen, aber das nimmt mich noch zu sehr mit. Ich brauche da jetzt erst mal einen gewissen Abstand. Aber: Ich habe mir jetzt auch das erste Mal den Luxus gegönnt, einen Mittagsschlaf zu machen. Das war schon toll.

Warum jetzt der Schritt? Sie werden nächstes Jahr 63 Jahre.

Hertz: Es gab in meinem privaten Umfeld einige „Einschläge“, die mich nachdenklich gemacht haben. Das Leben ist endlich und ich habe gemerkt, wie sehr mich mein Beruf beansprucht hat. Ich wollte diesen Schritt gehen, solange ich gesund bin und meine Pension mit meinem Mann bzw. meiner Familie genießen kann.

Über Susann Hertz

  • Susann Hertz wurde 1963 geboren.
  • Sie studierte in Heidelberg und Frankfurt am Main die Fächer Englisch, Russisch und Deutsch auf Lehramt an Gymnasien.
  • Nach erfolgreichem Bestehen der zweiten Staatsprüfung ging sie von 1995 bis 2001 einer freiberuflichen Lehrtätigkeit nach und leitete eine eigene Sprachschule.
  • Sie arbeitete im Schuldienst an einem Gymnasium in Frankfurt (Wöhlerschule), an einer Gesamtschule in Offenbach (Edith-Stein-Schule) sowie im Beruflichen Gymnasium in Offenbach (Theodor-Heuss-Schule).
  • Von 2007 bis 2013 war sie am Institut für Qualitätsentwicklung in Wiesbaden tätig.
  • Anschließend führte ihr Weg in das Landesschulamt im Bereich der Aufsicht über die Staatlichen Schulämter.
  • Den Weg der schulfachlichen Aufsicht setzte Frau Hertz dann 2015 am Staatlichen Schulamt für den Landkreis Darmstadt-Dieburg und die Stadt Darmstadt fort.
  • Ein gutes Jahr später wechselte sie den Amtsbezirk und arbeitete fortan im Staatlichen Schulamt für den Landkreis Bergstraße und den Odenwaldkreis.
  • Während der Pandemie 2020 übernahm sie die Amtsgeschäfte der Amtsleitung und leitete ab diesem Zeitpunkt das Staatliche Schulamt in Heppenheim.
  • Im vergangenen Jahr feierte Susann Hertz ihr 25-jähriges Dienstjubiläum. asch

Sie kamen während der Pandemie nach Heppenheim und übernahmen die Amtsleitung - wie haben Sie das erlebt?

Hertz: Das war eine Ausnahmesituation auf allen Ebenen - begleitet von vielen Ängsten in der Behörde, aber auch in den Schulen. Soweit ich weiß, waren wir in Hessen auch der erste Kreis, der den Hybrid-Unterricht etabliert hat - also halb digital, halb in Präsenz. Ich werde mich auch immer an den ersten Abi-Jahrgang während Corona erinnern. Wir waren alle sehr verunsichert und dann kam der Anruf einer Schulleiterin, dass ein Schüler Schnupfen habe und sie ihn nicht zur Prüfung zulassen wollte, da alle in Panik waren, dass er Corona hat. Da gab es ja noch keine Tests und richtige Masken. Später stellte sich heraus, dass er eine Allergie hat - aber er musste nachschreiben. All diese Unsicherheiten mussten wir letztendlich auffangen und ich wollte auf keinen Fall noch mehr Panik schüren. Wichtige Maßnahmen wurden natürlich ergriffen - aber es ging auch immer darum, Ruhe zu bewahren! Wir mussten auch kuriose Aufgaben übernehmen, wie Impftermine organisieren oder auch Masken und Schutzausrüstungen an die Schulen ausgeben. Wir wurden quasi ein Logistikzentrum. An Schulentwicklung war zu dieser Zeit gar nicht zu denken.

Wie stehen Sie zu den Schulschließungen während der Pandemie? Richtige Entscheidung?

Hertz: Wir hatten alle keine Erfahrung mit einer solchen Pandemie. Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, dass wir aus dieser Zeit lernen und die Corona-Zeit aufarbeiten. Wenn wir aber noch mal in eine solche Situation kommen sollten, dann bitte auf keinen Fall die Schulen schließen und dafür sorgen, dass die Menschen in echtem Kontakt bleiben können. Abstand ja, Hybrid-Unterricht ja, aber bitte nichts mehr schließen! Die Kinder und Jugendlichen waren isoliert und haben sich verstärkt mit Social Media beschäftigt. Das wiederum hat sie aber auch umso mehr vereinsamt. Diese Flucht in die digitale Welt hat durch die Anonymität auch zu einer Verrohung im Umgang geführt.

Die Digitalisierung hat durch die Pandemie einen enormen Schub bekommen - auch an den Schulen. Wie stehen wir aktuell im Kreis da?

Hertz: Wir haben eine gute Ausstattung an den Schulen und wir haben Glasfaser. Ein großer Hemmschuh - muss man leider sagen - ist aber der Datenschutz. Bei jeder App muss genau geprüft werden, ob sie verwendet werden darf. Das verlangsamt alles enorm.

Wie stehts um die Künstliche Intelligenz - KI - an den Schulen?

Hertz: Ich behaupte, fast jeder Schüler nutzt KI auf irgendeine Art. Das hat ja auch sehr viele Vorteile, das darf man auch nicht bestreiten. Wir müssen Methodik und Didaktik auf den Prüfstand stellen und an diese neue Situation anpassen. Die Schüler müssen lernen, KI ganz selbstverständlich, aber auch kritisch zu nutzen. ChatGTP erzählt manchmal totalen Blödsinn, da müssen wir die Kinder und Jugendlichen dabei unterstützen, dass sie lernen, KI sinnvoll als Hilfestellung zu nutzen, aber auch zu hinterfragen. Sie sollen triangulieren und auch andere Quellen und ihren Menschenverstand nutzen. KI darf an den Schulen nicht ignoriert werden. Es gibt von Landesseite und auch von meinem Schulamt viele Fortbildungen zur Nutzung von KI. Doch ist hier noch mehr Unterstützung notwendig. Wir hatten z.B. einen Betrugsfall bei einer Klausur. Da wurde eine KI eingesetzt. Da müssen wir immer noch herausfinden, wie das funktioniert hat. Ich bin ein Fan davon, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Ich würde mir wünschen, dass das Ministerium eine Expertengruppe einsetzt, bei der auch fitte Schüler mitmachen. Wir wissen ja gar nicht, welche Möglichkeiten es im Moment gibt. Auch eine neue Prüfungsordnung, die an die Möglichkeiten von KI angepasst ist, wird meiner Meinung nach notwendig werden. Es ist wichtig, wirklich Gas zu geben, wir vor die Bugwelle kommen, denn in einem Jahr wird die Entwicklung wieder viel weiter sein als heute.

Inwieweit müssten unsere Lehrpläne grundsätzlich überarbeitet werden? Brauchen wir mehr Lebenspraxis an den Schulen?

Hertz: Man kann eigentlich jedes Fach, also auch Mathe oder Deutsch sehr praxisnah unterrichten. Das hängt von den Aufgaben, die man stellt, ab. Ich weiß gar nicht, ob wir am Lehrplan so viel verändern müssen - es geht häufig eher um die Methodik. Wobei - das gehört auch dazu - ist das theoretische und logische Denken auch wichtig. Das Hauptaugenmerk muss immer darauf liegen, dass wir unsere Schüler am Ende erreichen. Das ist das Wichtigste. Wir können nicht mehr so unterrichten, wie vor 20 Jahren noch. Die Konzentrationsspanne von Kindern - das wissen wir von den Schuleingangsuntersuchungen - wird immer kürzer. Das liegt sicher auch am Medienkonsum. Aber das kann man auch sinnvoll nutzen. Es gibt zum Beispiel Virtuell Reality Brillen, mit denen man Teil einer Szene von Faust werden kann. Aber: Die Lehrer haben auch ein Zeitproblem. Schließlich gibt es Vorgaben, welche Inhalte die Schüler am Ende des Schuljahres gelernt haben sollen.

Viele Schulklassen zeichnen sich durch große Vielfalt aus, was aber auch Herausforderungen birgt - wie muss man die Lehrkräfte dabei unterstützen?

Hertz: Wir bieten in unserem Aufsichtsbezirk Austauschforen an, dass die Lehrer miteinander sprechen und auch Ideen weitergeben können. Wir haben Fortbildungen, die allerdings immer nachmittags sind, so dass kein Unterricht ausfällt. Das ist aber sicherlich auch der Grund, dass diese Angebote nicht so häufig genutzt werden, weil die Lehrer auch so schon zeitlich genug eingebunden sind. Da sollte das Ministerium noch mal darüber nachdenken. Wir sind auch dran, dass wir an den Schulen multiprofessionelle Teams, mit Sozialpädagogen beispielsweise, einsetzen. Das alles kostet natürlich Geld, die Kassen sind klamm, aber wir müssen auch an die Folgekosten denken. Betriebswirtschaftlich kommt es unsere Gesellschaft viel teurer, wenn ein Kind durchs Raster fällt. Wir haben aktuell mehr Schulpsychologen im Einsatz und die haben wirklich viel zu tun. Auch eine Ganztagsschule mit einem guten Konzept kann hier eine Lösung sein. Wir brauchen zudem mehr Sozialprojekte oder AGs, zum Beispiel in Pflegeheimen. Das kann viel bewirken. Das Thema Vielfalt und Demokratieförderung ist passenderweise der Schwerpunkt bei uns im laufenden Schuljahr.

Was haben Sie als Lehrerin am meisten gemocht?

Hertz (lacht): Wirklich die Kinder. Ich begann als Englisch-Lehrerin mit einer 7. Klasse an einer Hauptschule in Offenbach. Ich hatte einen riesigen Respekt davor. Der raue Umgangston war für mich völlig neu. Aber am Ende war genau diese Klasse meine liebste Klasse. Die waren so ehrlich, das war toll. Ich hatte auch ganz vielfältige Klassen. Das hat mich ganz schön Kraft gekostet, aber unter dem Strich hat es sich total gelohnt. Ich habe zum Beispiel mal die „Young Americans“ an die Schule geholt. Das waren Künstler von einer Uni aus Kalifornien. Die haben mit den Schülern innerhalb von drei Tagen eine Show auf die Beine gestellt. Die haben das auch wirklich geschafft - alles auf Englisch und obwohl in der Gruppe echte Haudegen oder auch besonders schüchterne Kinder dabei waren. Da haben die Kinder auf einmal vor 600 Menschen ein Solo gesungen. Da kamen mir wirklich die Tränen. Solche Erfolge wirken bei den Kindern auch noch lange nach. Sie bekommen das Gefühl: So wie ich bin, bin ich toll. Und es ist wichtig, den Kindern eine Stimme zu geben, ihnen zuzuhören.

Was war als Schulamtsleiterin ihr größter Erfolg?

Hertz: Mir fallen spontan zwei ein. Das erste ist die Kirchbergschule in Bensheim. Das war bis vor kurzem noch eine Förderschule mit einem Grundschulzweig - ein Konstrukt, dass es so in Hessen eigentlich gar nicht gibt. Das führte dazu, dass der Schule zu wenig Leitungsstellen zugewiesen wurden und die Arbeit auf wenigen Schultern lastete, wir das aber in dieser Konstellation nicht ändern konnten. Das Problem war außerdem, dass es nicht genug Platz gab, um diese Schulen räumlich zu trennen. Ich bin dann ein bisschen forsch vorangegangen, habe gemeinsam mit meinem Förderschuldezernenten um einen Gesprächstermin mit der Bürgermeisterin Bensheims gebeten, denn gegenüber der Kirchbergschule war ein Gebäude der Stadt Bensheim. Da waren Verwaltungsräume und der Eigenbetrieb Kinderbetreuung mit Kita drin.

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David Nau
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Frau Klein, die Bürgermeisterin und der Eigenbetriebsleiter Zeißler signalisierten ihre Bereitschaft, wenn sie passende Räume finden. Also: Wir haben die Immobilienangebote gecheckt und weil alle – einschließlich Kreis Bergstraße und Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen (HMKB) – an einem Strang zogen, haben wir tatsächlich in einem Kraftakt eine Lösung gefunden. Wir haben nun zwei eigenständige Schulen, die Kirchbergschule als Förderschule und die Löwenherzschule als Grundschule direkt gegenüberund alle sind zufrieden. Der zweite Erfolg ist die anstehende Umwandlung der Martin-Buber-Schule (Haupt- und Realschule) in eine Integrierte Gesamtschule in Heppenheim als Teil des Schulentwicklungsplans, der nach vielen Gesprächen sogar einstimmig vom Kreisausschuss verabschiedet wurde. Da warten wir nur noch auf die Genehmigung des Hessischen Ministeriums für Kultus, Bildung und Chancen.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Hertz: Erst mal Urlaub, bei meinem Herzensprojekt Koole Kidz möchte ich gerne weiter unterstützen und: Mit meinem Hund Bruno werde ich die Begleithundeprüfung machen. Mein Ziel ist es, mit ihm in Pflegeheime zu gehen oder auch in Schulen den Kindern vorzulesen. Auch Sport steht auf meinem Plan. Zum Abschied bekam ich von meinen Kollegen individuelle Ausflugtipps. Da freue ich mich schon drauf, die alle zu testen.

Welchen Rat geben Sie Ihrem kommissarischen Nachfolger, Ingo Stechmann?

Hertz: Atmen, Zuhören, Gelassen bleiben.

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