Heidelberg. Der schmächtige Mann auf der Anklagebank zuckt hilflos mit den Schultern. „Ich kann nicht um Verzeihung bitten, weil man das, was ich getan habe, nicht vergeben kann.“ Damit spricht der Angeklagte das aus, was die Familie von Julia B. über ihren gewaltsamen Tod denkt. Im voll besetzten Schwurgerichtssaal des Heidelberger Landgerichts verfolgen Freunde und Kollegen der 26-Jährigen die Plädoyers in dem Indizienprozess. Während die Staatsanwaltschaft von einer „vorsätzlichen Tat“ ausgeht und elf Jahre und sechs Monate wegen Totschlags fordert, ist die Verteidigung von einem Unglücksfall überzeugt. Die Anwälte von Johann N. plädieren deshalb auf Körperverletzung mit Todesfolge und wollen eine Strafe erreichen, die vier Jahre und sechs Monate nicht überschreitet.
Johann N. hatte zu Prozessbeginn zugegeben, dass Julia durch seine Hand gestorben ist, allerdings habe er ihren Tod nicht gewollt. Vielmehr will er sie im Zorn geschlagen haben, dann sei sie nach hinten gestürzt und reglos liegengeblieben. Aus Panik habe er in einen Notfall-Modus geschaltet und die Leiche seiner Freundin in einem Gebüsch an der Autobahn bei Zwingenberg versteckt, wo sie drei Wochen später von der Polizei entdeckt wurde.
Das sieht Oberstaatsanwältin Kerstin Anderson anders: „Er hat sie vorsätzlich getötet, weil sie ihn verlassen wollte.“ Das Paar sei am Ende der Beziehung gewesen: „Julia wünschte sich ein neues Leben, sie sucht sich eine eigene Wohnung, meldet sich bei einer Dating-Plattform an und versucht, den Partner bei der gebuchten Thailandreise auszuwechseln“, fasst Anderson zusammen. In Julias Augen lag ihr Freund „wie faules Gemüse“ auf dem Sofa und spielte mit seiner Playstation, während sie arbeiten ging und den Haushalt in der Wohnung auf dem Emmertsgrund managte.
Am Abend des 11. August habe sie mit ihrer Chefin telefoniert und ihr verraten, dass sie bald umziehen kann. „Er hat dieses Gespräch mitgehört und dabei erfahren, dass sich seine Freundin am Wochenende mit einem anderen Mann treffen will. Da ist er aus allen Wolken gefallen. Er wartet, bis sie eingeschlafen ist, und durchsucht ihr Handy, wo er die Bestätigung dafür findet“, skizziert Anderson. Als die 26-Jährige – die bei einem Limousinenservice arbeitete – um vier Uhr aufsteht, um sich für eine Tour zum Frankfurter Flughafen fertig zu machen – habe N. sie mit seinem Wissen konfrontiert.
Hirnblutung nicht auszuschließen
Dass es zu einem Streit kam, belegten die Aussagen von drei Nachbarn, die von „Schreien wie aus einem Horrorfilm“ im Bett hochschreckten. Es folgte ein dumpfer Schlag, dann sei es urplötzlich wieder still gewesen. „Er war tief verletzt und als Julia B. sich zur Tür umdreht, tötet er sie“, ist Anderson überzeugt. Einen Schlag hält sie durch gerichtsmedizinische Gutachten für widerlegt. Stattdessen geht sie davon aus, dass N. seine Freundin erwürgt hat.
Nebenkläger Michael Harschneck ist auch vom Vorsatz überzeugt und zerpflückt Johann N.’s Einlassung, die „bedeutungslos“ sei. „Man hätte ihn auch so überführt: Seine DNA wurde in ihrem Dienstwagen gefunden, den er nie gefahren hatte, an dem Wagen waren Pflanzen, die beweisen, dass das Auto am Leichenfundort war, und Polizeihunde haben seine Spur vom Pkw-Fundort bis zum Mannheimer Bahnhof verfolgt, wo er in einer Camouflage-Jacke mit Kapuze von den Überwachungskameras aufgenommen wird.“
Verteidigerin Inga Berg sieht indes keinen einzigen Beweis dafür, dass Julia nicht durch einen Schlag gestorben ist. „Sie war eine große starke Frau und wog über 90 Kilo, ich halte es nicht für nachvollziehbar, dass sie dieser kleine schmächtige Mann erwürgen kann, wenn sie ihm gegenübersteht.“ Zudem hätten die Rechtsmediziner eine durch einen Sturz verursachte Hirnblutung nicht ausschließen können.
Ihr Kollege Steffen Lindberg spricht von einem „Augenblicksversagen“. Johann wurde von Zeugen als nicht gewalttätig beschrieben, sie als aufbrausend. „Das Paar führte eine offene Beziehung, die auf Ehrlichkeit basierte.“ Er sei überzeugt, dass sein Mandant aus Zorn über den Vertrauensbruch zugeschlagen habe. „Er ist alleine für den Ausgang des Streits verantwortlich, aber zur Entstehung der Gesamtsituation hat Julia B. beigetragen“, sagt Lindberg.
„Ich kann sie nicht zurückbringen“ sagt Johann N. hilflos. /ü
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