Bergstraße. An diesem Abend sind die Handwerker die heimlichen Herrscher. Ein famoser Jux, wie sie mit possierlichem Dilettantismus den Liebestod von Pyramus und Thisbe proben und am Ende eine saftige Parodie auf den klassischen Liebesschwank servieren. Ein Komödchen in der Komödie. Zum Finale blitzt noch einmal all das auf, was in diesem nächtlichen Durcheinander so virtuos variiert wurde: flüchtige Momente der wahren Liebe als Spiel von Täuschungen und Illusionen.
Regisseur Martin Böhnlein wollte in Heppenheim einen Shakespeare inszenieren, wie er ihn selber gerne einmal hätte sehen wollen. Der lange Schlussapplaus wies darauf hin, dass sich die Ansichten des Premierenpublikums mit denen des Spielleiters zu decken schienen. Der Münchner, der erstmals im Kurmainzer Amtshof Regie führte, hat den "Sommernachtstraum" entschlackt, ohne ihm seinen Zauber zu klauen. Er hat das Stück süffiger und verständlicher gemacht und damit den Heppenheimer Festspielen auf die Bühne geschneidert. Denn bei Charakteren wie Demetrius, Hermia oder Lysander setzt durchaus schon ein Fluchtreflex ein bei jenen, die nicht Philosophie oder Theaterwissenschaften gepaukt haben.
Ensemble ohne Stars
Die Ouvertüre zur 40. Saison war eine gelungene. Ein harmonisch aufspielendes Ensemble ohne Stars als solche, eine amüsante Story in der Halbwelt zwischen Sein und Schein und ein durchgängiges Augenzwinkern des Regisseurs, der den Unterhaltungswert der Komödie in den Vordergrund platzierte.
Recht so! Wein und Backwerk vertragen sich nicht mit bleischwerer Theaterkost. Böhnlein hat es geschafft, Shakespeares feine Verschmelzung aus unterschiedlichen dramatischen Grundformen und Sprachstilen, die das innovative Moment dieses im Jahr 1600 veröffentlichten Werks ausmacht, auf das Theater zu bringen. Das Hochzeitsfest von Theseus und Hippolyta bildet den Rahmen und den Knotenpunkt aller Handlungsfäden. Während am Athener Hof menschliche Ratio dominiert, regieren in der Elfenwelt Traum und Fantasie. Doch es ist gerade diese höhere Wirklichkeit, die die Konflikte der Sterblichen löst und sie durch zauberhafte Wirrungen zueinander führt.
Shakespeare pur: Das Bühnengeschehen fächert sich in verschiedene Ansichten auf, in subjektive, perspektivisch-dynamische und zum Teil widersprüchliche Versionen der Ereignisse. Wirklichkeit erweist sich als Schein und Maskerade. Das Lustspiel als Spiegel für die illusionäre Kraft es Theaters. Pucks berühmter Epilog ans Publikum unterstreicht noch den visionären Charakter der Komödie.
In einer anarchischen Welt, die in ihrer Unberechenbarkeit zugleich verlockt und erschreckt, findet die domestizierte Menschheit ein Traumreich, in der Feen und Geister regieren. Dort bricht sich die Liebe ihre Bahn. Ihr verfallen die Zauberwesen genauso wie die langweilig braven Athener. Böhnlein versteht es mit leichter Hand, den prallen Humor dieses "Sommernachtstraums" auf die Spitze zu treiben. Verträumt, verspielt, temporeich und unheimlich komisch zündet ein absurder Reigen um Liebe, Hass, Boshaftigkeit und Zauberei. Der dicke Staub elisabethanischer Erotik - wie weggefegt. Die kompakte Erzähldichte verhindert die szenische Langatmigkeit der Vorlage, die vor 400 Jahren freilich nicht als solche empfunden wurde.
Die Story in 30 Sekunden: Vier allzu menschlich Verliebte flüchten liebesbedingt in den Wald, wo eine Theatergruppe für die Hochzeit von Herzog Theseus den Ovid probt und Elfenkönig Oberon Ehekrieg mit seiner Titanina führt. Um sich an ihr zu rächen, zettelt er mit Hilfe des Erdgeists Puck ein perfides Komplott an: Ein geheimer Liebessaft bewirkt, dass sich Titania in den zum Esel verzauberten Handwerksburschen Zettel verknallt. Die Dinge geraten außer Kontrolle.
Zehn Erstauftritte in Heppenheim
Pucks schusseliger Drogenmissbrauch verwirrt die Herzen im Sekundentakt, es folgt ein aufreibendes erotisches Großkampfmanöver, das Emotionen durcheinanderwirbelt und Leidenschaften in Wallung versetzt. Am Ende verlischt der Zauber und jeder Topf bekommt seinen Deckel, weil Elfenfürst und weltlicher Herzog keinen dauerhaften Ärger mit ihren Weibchen wollen. Die amouröse Katerstimmung mündet in einer beschwipst heiteren Theateraufführung.
Das Heppenheimer Ensemble spielt souverän und rasant. Der Star ist die Mannschaft. Besondere Dribbelkünste beweisen Arzu Ermen als leichtsinniger Kobold Puck mit staunend großen Augen, der als Oberons williger Diener immer wieder Benzin ins Liebesfeuer gießt und dabei einiges verschüttet. Zu den neuen Gesichtern im Amtshof gehört auch Martin Dudeck, der im "Sommernachtstraum" schon vor 30 Jahren (!) in der Rolle des Lysander zu sehen war. Damals in Hannover und 22 Jahre jung. In Heppenheim begeisterte er das Premierenpublikum als naiv liebenswerter Weber Niklaus Zettel, der von Puck in einen Esel verwandelt wird. Im Amtshof offenbarte sich Dudeck als charmanter Vollblutkomödiant und ging als gefeierter Publikumsliebling von der Bühne.
Von zwölf Schauspielern sind zehn erstmals im Hoftheater zu sehen. Die anderen beiden sind Christopher Krieg und Achim Stellwagen, der gleich in drei Rollen zu sehen ist. Als Peter Squenz macht er als Knittelvers anweisender Leiter der kläglichen Schauspieltruppe lachen. Christopher Krieg gefällt als Elfenkönig, der sich am Spiel seines Dieners wechselseitig labt und verzweifelt.
Am Ende kommt noch einmal Puck auf die Bühne. Er bittet die Zuschauer, wenn ihnen das Stück nicht gefallen hat, es als Traum zu betrachten. Wenn es ihnen aber gefallen habe, sollen sie klatschen. Das Heppenheimer Publikum überlegte nicht lange und entschied sich für die zweite Variante.
Auf, vor und hinter der Bühne: die Besetzung
Theseus, Oberon: Christopher Krieg
Hippolyta, Titanina: Ulla Wagener
Lysander: Edgar Diel
Demetrius: Julian Bayer
Hermia: Lena Tonne
Helena: Ilena Gwisdalla
Egeus, Peter Squenz, Bohnenblüte: Achim Stellwagen
Philostrat, Puck: Arzu Ermen
Niklaus Zettel: Martin Dudeck
Franz Flaut, Senfsamen: Sören Messing
Hans Schnock, Spinnweb: Christina Peteanu
Tom Schnauz, Motte: Thomas Stegherr
Regie, Kostüme: Martin Böhnlein
Regieassistent: Olaf Lemitz
Technik, Licht: Stephan Brömme
Bühnenbild: Sabine Richter
Bühnenbau: Stephan Brömme, André Linke
Bühnenmalerei: Lilian Rettig
Schneiderei: Hilde Windisch, Helma Simon, Olga MIronova-Bouktsis
Maske: Marie-Louise Wondra-Singh, Annegret Eyrich
Musik: André Linke tr
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