Weinheim/Bergstraße. Der 23. August 1968 war ein besonderer Tag in der Stadtgeschichte. Am Weinheimer Kleeblatt, dem heutigen Autobahnkreuz Weinheim, gab Bundesverkehrsminister Georg Leber den ersten Teilabschnitt der im Bau befindlichen Bergstraßen-Autobahn für den Verkehr frei. Damit erhielt Weinheim einen direkten Autobahnanschluss. Zahlreiche Straßenbauten folgten zu beiden Seiten des neuen Verkehrsweges.
Dazu gehörten der vierspurige Ausbau der Bundesstraße 38 vom Weinheimer Kreuz nach Westen bis zum Viernheimer Kreuz (heute A 659) und in Weinheim der Ausbau der B 38 auf vier Fahrspuren zwischen Pappelallee und Händelknoten (heute Mannheimer Straße).
Ungelöst: Verkehr Richtung Weschnitztal und Mannheim
Ungelöst blieb allerdings die größte und schwierigste aller Aufgaben: den stetig wachsenden Durchgangsverkehr aus dem überforderten innerstädtischen Verkehrsnetz in Weinheim herauszunehmen und die Anwohner von Mannheimer Straße, Bergstraße und Birkenauer Talstraße von unerträglich gewordenen Umweltbelastungen zu befreien.
Der Verkehrsknoten bei der OEG-Brücke, 1956 für eine Maximalbelastung von 20 000 Fahrzeugen ausgebaut, musste in der Mitte der 1970er-Jahre täglich 38 000 Fahrzeuge auf die Hauptrichtungen Mannheim, Heidelberg und Innenstadt verteilen. Das schaffte der nach dem alten Postplatz für Kaiserliche Post, Reichs- und Bundespost benannte „Postknoten“ nicht mehr. Es bildeten sich täglich lange Staus. Und für die Stadtdurchfahrt Weinheim musste man im Berufsverkehr eine Stunde „Stop-and-go“ einplanen.
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Der Ost-West-Verkehr – unter anderem aus den vielen Bergsträßer Weschnitztal-Kommunen Richtung Autobahn und Mannheim – wurde zum beherrschenden Thema der Weinheimer Kommunalpolitik und beschäftigte auch immer wieder, vor allem in Wahlkampfzeiten, Landes- und Bundespolitiker. Seit 1961 dachten die staatlichen Straßenplaner darüber nach, wie sie eine weitere Möglichkeit zur Überwindung der die Stadt trennenden Gleise der Main-Neckar-Bahn schaffen könnten. Auf der Baustelle des Main-Neckar-Schnellwegs, der heutigen A 5, sprach sich der damalige Bundesverkehrsminister Hans Christoph Seebohm 1963 für einen Ausbau und die kreuzungsfreie Führung der von Mannheim kommenden B 38 ins Weschnitztal aus. Auch seine Amtsnachfolger Georg Leber, Lauritz Lauritzen und Kurt Gscheidle sahen in der Überführung der Bahngleise die einzige finanzierbare und damit realisierbare Lösung der Verkehrsverhältnisse in Weinheim.
Stadtdurchbruchs und Hochstraße wurden diskutiert
Beim Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe entstand aus dem Gedanken, die B 38 bis zur Kreuzung mit der geplanten westlichen Stadtumgehung B 3 neu weiterzuführen und nach Osten ins Weschnitztal zu verlängern, der Plan für einen „Stadtdurchbruch“. Das vom Ingenieurbüro Krenz entwickelte Modell einer Hochstraße stand am 25. April 1963 erstmals auf dem Ratstisch im Bürgersaal.
Der Gemeinderat war aufgerufen, den Plan einer Hochstraße zu diskutieren und eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Die in nicht öffentlicher Sitzung erarbeitete Antwort: „Der Gemeinderat hat keine prinzipiellen Einwände“ dagegen, dass die von Mannheim kommende B 38 von der Kreuzung mit der neuen B 3, der heutigen Westtangente, aus einem Kreisel ostwärts weitergeführt wird, und zwar auf der zwischen Höhnerbrücke und Kreispflegeheim kanalisierten Weschnitz. Dann sollte die Rampe der Hochstraße ansetzen und Weststraße, Bundesbahn, Kapellenstraße und Bergstraße beim Hotel „Pfälzer Hof“ (heute Stadthalle) überqueren und zwischen Johannisstraße und Hermannstraße wieder auf das Niveau der Birkenauer Talstraße herabkommen.
Zwischen der historischen Furt, die auch Goethe bei seinem Weinheim-Besuch passierte, und dem Talbahnhof der Odenwaldbahn sollte die Weschnitz verdolt werden, der Verkehr aus dem Gorxheimer Tal sollte über eine Schleife der Grundelbachstraße hinter der Petersbrücke zum kreuzungsfreien Anschluss an die Birkenauer Talstraße gelenkt werden, die Peterskirche damit auf einer Insel stehen, vom Durchgangsverkehr umgeben. Das Gedankenspiel schloss auch einen kräftigen Ausbau des Petersknotens auf der kanalisierten Weschnitz mit ein.
Dagegen bildete sich eine IG Nordstadt. Die Kostenschätzung ging 1963 von 35 Millionen DM für die Hochstraße mit Nebenanschlüssen aus, von 45 Millionen DM für die Hangstraße vom TuS-Platz westwärts am Hirschkopfhang entlang, und von 70 Millionen DM für die Tunnelstraße durch den Hirschkopf.
Planungen stießen auf Widerstand in der Bevölkerung
Von Anfang an stieß das Projekt „B 38 durch das Tal“ in der Bevölkerung auf Widerstand, vor allem bei den Anwohnern der Viernheimer Straße. Sie befürchteten den Verlust ihrer Häuser und schlossen sich in einer Interessengemeinschaft (IG) zusammen.
Dann schreckte man auf, als der renommierte Städtebaulehrer Professor Max Guther in einem Gutachten für die Evangelische Kirchengemeinde zur drohenden Insellage der Peterskirche warnte: „Weinheim kann es sich aus städtebaulichen Gründen nicht leisten, von einer Hochstraße in zwei Teile zerschnitten zu werden.“ Sein Vorschlag: Tieflage und Schutzkanal für die Weschnitz. Gegenargument: die Weschnitz-Hochwasser.
Die Diskussionen beschäftigten sich damals auch mit einer Kreisellösung bei der Steinernen Brücke und einer Stelzenstraße im Weschnitzbett. Die Stadt Weinheim brachte den Gedanken einer Unterführung der Bahnanlagen ins Spiel, um Eingriffe in den Baubestand an der Viernheimer Straße und in das Grün der Werderanlage zu minimieren.
Kampf für eine Nordumgehung mit einem Tunnel
Die IG Viernheimer Straße hatte sich inzwischen mit der IG Leibnizstraße zusammengetan, die sich gegen die geplante West-Ost-Spange wehrte, eine Verlängerung des gerade vierspurig entstehenden Multrings über Bundesbahn, Bergstraße und OEG-Gleise hinweg in den Fabrikweg und das Areal der Alten Lackierfabrik.
Unter dem Namen „Bürgeraktion Weinheimer Ost-West-Verkehr“ kämpften die Hochstraßen-Gegner für eine Nordumgehung Weinheims mit einem Tunnel durch den Hirschkopf, der den Durchgangsverkehr aus dem engen und kurvenreichen Birkenauer Tal herausnehmen und die innerstädtischen Verkehrswege entlasten sollte. Knapp 30 Prozent Durchgangsverkehr waren bei einer Befragung ermittelt worden. Das brachte auch Weinheims Kommunalpolitiker zum Nachdenken, doch die Kosten der Tunnellösung schreckten ab und stellten den Tunnel in der Prioritätenliste des Machbaren immer wieder hinter den Stadtdurchbruch zurück – auch im Interesse der heimischen Wirtschaft. Selbst als Rainer Offergeld, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, bei seinem Weinheim-Besuch in den Berufsverkehr geriet und die tägliche Staubelastung hautnah erlebte, änderte sich daran nichts: An der Hochstraße wurde in Weinheim, Karlsruhe und Bonn grundsätzlich festgehalten.
Die Bürgeraktion ließ sich allerdings nicht entmutigen. Sie forderte hartnäckig und ausdauernd die Tunnelstraße, die allerdings nicht mehr durch den Hirschkopf, sondern seinen nördlichen Nachbarn, den Saukopf, führen sollte. Aber auch mit neuem Namen schaffte es das Tunnelprojekt nicht auf die Pole-Position.
Allerdings wurde nach dem Weinheim-Besuch des neuen Karlsruher Regierungspräsidenten Dr. Trudpert Müller der Stadtdurchbruch nur noch mit zwei statt vier Fahrspuren geplant. Die beiden weggefallenen Fahrspuren sollten im Tunnel entstehen – aber erst nach dem Stadtdurchbruch.
Um den Verkehrsplanern klarzumachen, wie einfach eigentlich die Lösung der Weinheimer Verkehrsprobleme wäre, nutzte Egon Schlegel seinen Auftritt beim Bürgerforum der Bürgeraktion 1976 in der voll besetzten Stadthalle zu dem legendär gewordenen Vorschlag: „Macht e Loch dorch de Buckel un die Sach is geritzt!“ Die Veranstaltungsbesucher klatschten lange Beifall und die „Weinheimer Blüten“ gestalteten in der Kampagne 1977 ihren Jahresorden mit dem Loch im Buckel.
Geschichte der B 38 a bis heute nicht abgeschlossen
Ende der 1970er-Jahre drehte sich der Wind und blies fortan, auch mit Unterstützung der Politik, stärker in Richtung Tunnel. Nach jahrelangen, oft leidenschaftlich geführten Diskussionen um die Bewältigung des Ost-West-Verkehrs in Weinheim lag im Dezember 1978 ein knapp einen Meter langer Faltplan auf dem Ratstisch, mit der Aufforderung des Regierungspräsidiums an den Gemeinderat, zum Linienfeststellungsverfahren für eine als Nordumgehung bezeichnete Tunnelstraße Stellung zu nehmen.
Der Saukopftunnel war keine Utopie mehr. Nun sagte auch der Gemeinderat „Ja“ zu den Karlsruher und Wiesbadener Vorschlägen für einen grenzüberschreitenden Neubau der B 38a zwischen Weinheim und Krumbach, weil er die Hoffnungen der Weinheimer Bürger und die Forderungen der Bürgeraktion voll erfüllte.
Dass die mit 230 Millionen DM Kosten kalkulierte Straße bis heute nicht in Krumbach angekommen ist, sondern nach wie vor zwischen Reisen und Mörlenbach endet, gehört zu den enttäuschenden Kapiteln in der noch immer endlosen Geschichte B 38 a. Im Juni 1986 erging beim RP Karlsruhe der Planfeststellungsbeschluss für die neue B 38 auf badischer Seite, 1988 verkündete der neue Regierungspräsident Karl Miltner bei seinem Antrittsbesuch in Weinheim, dass im November die Arbeiten für den Tunnel mit dem Bau der Brücke aus der Westtangente über die B 3 zum Tunnelund in Höhe des Weisenbergweges beginnen werden. Es dauerte zwar noch ein bisschen länger, ehe mit dem Tunnelanschlag die Arbeiten offiziell begannen, aber das störte angesichts von 30 Jahren Vorlauf in Weinheim kaum noch jemanden.
Knapp vor dem Jahr 2000 endlich am Ziel
Am 9. Dezember 1999, kurz vor der Jahrtausendwende, gaben die damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (Baden-Württemberg) und Roland Koch (Hessen) den mit 2715 Metern „längsten einröhrigen, im Gegenverkehr befahrenen Straßentunnel Mitteleuropas außerhalb der Alpen“ für den Verkehr frei. Zwischen 2009 und 2013 erhielt er einen parallelen Rettungsstollen.
Die Gesamtkosten des Saukopftunnels, der nach 1,3 Kilometern in Baden-Württemberg die Landesgrenze ziemlich genau auf der Mitte überschreitet, beliefen sich auf 160 Millionen DM. Der Saukopftunnel wird werktags von 20 000 Fahrzeugen befahren. Der jährliche Unterhaltungsaufwand liegt bei einer Million Euro. -ell/ü
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