Bergstraße. Warnstreiks fanden unter anderen in Darmstadt, Rüsselsheim, Groß-Gerau und in Heppenheim statt. Dort gingen am Vormittag bis zu 150 Menschen auf die Straße, um für bessere Löhne zu demonstrieren.
Der Streik sollte - eine knappe Woche vor der nächsten Verhandlungsrunde für die bundesweit 2,5 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen - den Druck auf die Entscheider erhöhen. Die Gewerkschaften Verdi und Komba sowie der Beamtenbund DBB fordern 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro pro Monat mehr. Mit Sprechchören haben die Streikenden äußerst lautstark vor dem Heppenheimer Landratsamt am Graben auf diese Forderung aufmerksam gemacht. Mit den bislang artikulierten Kompromissen der kommunalen Arbeitgeber, die der Einkommensforderung der Gewerkschaft eine Absage erteilt hatten, sei man nicht einverstanden, so Karin Harder (BILD: Zelinger), Geschäftsführerin des Verdi-Bezirks Südhessen.
Bei der zweiten Verhandlungsrunde hatte es Ende Februar trotz eines Angebots der Arbeitgeber noch keine Annäherung gegeben. Bereits vor einem Monat zogen knapp einhundert Streikende durch die Kreisstadt. Nicht nur Verdi-Mitglieder waren dem Aufruf gefolgt und hatten ihre Arbeit niedergelegt. Auch diesmal gab es mehrere Solidaritätsbekundungen von anderen Gewerkschaften. Auch der Bensheimer DGB-Vorsitzende Günther Schmidl (IG Metall) war gestern in Heppenheim dabei. Gerade in der Pflege sei die Personalsituation desaströs, was sich auch in den Arbeitsbedingungen und Belastungen der Mitarbeiter zeige, betonte er.
Enttäuschung und Ablehnung
Laut Karin Harder sorge das Angebot der Arbeitgeber, was Höhe, Laufzeit und den fehlenden sozialen Ausgleich betrifft, bei vielen Beschäftigten für Enttäuschung und Ablehnung. Der Tarifkonflikt werde damit nicht gelöst. Die Konsequenz: Die Warnstreiks werden ausgeweitet. Bei den Verhandlungen in Potsdam wurde eine tabellenwirksame Erhöhung von drei Prozent Ende 2023 sowie zwei Prozent Mitte 2024 über eine Laufzeit von 27 Monaten vorgeschlagen. Dazu soll eine Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro kommen. Dies sei gut, aber nicht nachhaltig, kritisierte die Gewerkschafterin in Heppenheim.
Ein Mindestbetrag als soziale Komponente für die unteren Einkommensgruppen sei darin nicht vorgesehen. Dass über einen Zusatztarifvertrag Gehaltsabsenkungen in den Krankenhäusern ermöglicht werden und den öffentlichen Arbeitgebern zudem ein Sonderopfer für die Beschäftigten der Sparkassen vorschwebt, kommentierte sie als skandalös. Was in der Verantwortung der Politik liege, dürfe nicht vom Arbeitnehmer ausgebadet werden, so Harder. Gerade die Niedrigverdiener im Gesundheits- und Pflegesektor litten unter einer schlechten Bezahlung. „Viele wissen am Monatsende nicht, wie sie ihre Einkäufe erledigen sollen.“ Es sei ja kein Geld da, habe es in der ersten Verhandlungsrunde geheißen, berichtet sie. Und ergänzt aus langjähriger Erfahrung: „Es wird nie Geld da sein für Euch!” Die geforderten 10,5 Prozent seien absolut berechtigt - nicht nur wegen der hohen Inflationsrate, sondern auch angesichts dessen, was im öffentlichen Dienst geleistet werde.
Die Menge reagierte: „Wir sind es wert“, skandierten die Demonstranten in der Kreisstadt, die nach der ersten Kundgebung - von der Polizei flankiert - weiter Richtung Kreiskrankenhaus zogen. Dort wiederholten sich die zentralen Reden. Beteiligt waren Mitarbeiter der Stadtwerke Viernheim, der Stadt Lampertheim, vom Kreiskrankenhaus Heppenheim, der Behindertenhilfe Bergstraße sowie der Gemeinde Mörlenbach und der Arbeiterwohlfahrt Viernheim. „Es geht nicht nur darum, Mitarbeiter zu werben, sondern Mitarbeiter auch zu halten“, betonten Elvira Ernst (Empfang) und Nadja Olzem (Pflege) vom Vitos-Klinikum Heppenheim. Sie plädierten für „gutes Geld für gute Arbeit“.
Jürgen Polom (BILD: Zelinger) ist beim Bergsträßer Jugendamt beschäftigt. Er wünscht sich, dass mehr Personal der Kreisverwaltung für seine Rechte auf die Straße geht. Polom wendete sich gestern gezielt Richtung Amtsgebäude und forderte seine Kollegen auf, sich an den Warnstreiks zu beteiligen. „Auch ihr verdient mehr Geld!“
Der Bergsträßer DGB-Chef Franz Beiwinkel bezeichnete einen Sockelbetrag von 500 Euro als enorm wichtig, um den unteren Lohngruppen mehr finanziellen Spielraum zu ermöglichen. Die Einigung zwischen Verdi und der Post auf einen neuen Tarifvertrag für die 160 000 Beschäftigten des Logistikkonzerns (die Beschäftigten erhalten ab 1. April 2024 monatlich 340 Euro mehr) bezeichnete er als schwachen Kompromiss.
Damit wurde voraussichtlich ein unbefristeter Streik abgewendet. Im öffentlichen Dienst sei man bereit, weiter für seine Ziele zu kämpfen. Beiwinkel schloss nicht aus, dass aus den Warnstreiks ein Erzwingungsstreik werden wird. Darunter versteht man einen von der Verfassung geschützten Streik, der von der Arbeitgeberseite mit entsprechenden Gegenmaßnahmen beantwortet werden kann. Er kann nach einer Urabstimmung in Form eines Flächenstreiks oder eines Schwerpunktstreiks geführt werden.
Thomas Frischkorn von der Verdi-Bezirksgruppe Telekom Südhessen wird an diesem Mittwoch als Hauptredner der zentralen Protestkundgebung in Darmstadt sprechen. In Heppenheim kritisierte er den Attraktivitätsverlust des öffentlichen Dienstes durch niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Von Arbeitgeberseite sei noch immer keine Wertschätzung für diese gesellschaftlich wichtigen Berufsbilder erkennbar.
Vom zweiten Tag der Warnstreiks werden außerdem Frankfurt, das Rhein-Main-Gebiet, Südhessen und Kassel betroffen sein. Die Kreisverwaltung hat unterdessen darauf hingewiesen, dass es auch am Mittwoch zu Einschränkungen kommen könne. (tr)
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