Bergstraße. Erst ist ein gleichmäßiges Stapfen und Trippeln zu hören. Dann biegen die beiden Roboterhunde durch die Bürotür ins Foyer der speedikon FM AG am Berliner Ring in Bensheim ein. Einer der metallenen Vierbeiner ähnelt in Größe und die Quirligkeit einem Terrier, der andere ist eher mit einem großen Labrador vergleichbar. Ein weiches Fell, eine feuchte Nase und treue Hundeaugen sucht man allerdings vergeblich. Die beiden Vierbeiner sind komplett aus Metall. Statt eines Kopfes besitzen sie eine zylindrische Navigationseinheit, in der ein sich drehender Laser die Umgebung abtastet.
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Schnurstracks laufen die beiden „Hunde“ auf die beiden Besucher von der Zeitung zu. Mit ausreichend Abstand machen sie einen Schlenker und weichen den im Weg stehenden Menschen automatisch aus, um im Anschluss durch den Haupteingang ins Freie zu gelangen. Mittels ihrer Laserabtastung können sie Hindernisse zwar selbstständig umschiffen; doch noch werden die meisten Aktionen der beiden Roboterhunde von Menschen per Fernbedienung gesteuert. Sie befinden sich quasi an der kurzen (Funk-)Leine. Ziel ist jedoch, die Vierbeiner fit zu machen für weitestgehend autonome Einsätze.
Der chinesische Hersteller liefert nur die reine Hardware aus
Zu diesem Zweck hat die in Bensheim ansässige speedikon-Firmengruppe die beiden hochmodernen Roboterhunde des chinesischen Herstellers Unitree Robotics erworben. Im Gegensatz zu den meisten Entwicklungen US-amerikanischer Hersteller liefern die Chinesen quasi nur die reine Hardware aus – also den eigentlichen Roboter samt einer eher rudimentären Steuerung. „Die ganze Software für künftige Einsätze entwickeln wir in Eigenregie „, sagt Peter Merkel, Vorstandsvorsitzender der zur Firmengruppe gehörenden Innomatik AG und Gründer des Familienunternehmens.
Mit zusätzlichen Video- und/oder Wärmebildkameras sowie Sensoren ausgestattet, sollen die Roboterhunde später einmal autark Aufgaben übernehmen, die für menschliche Mitarbeiter zu gefährlich, zu beschwerlich oder zu monoton sind. Die Anwendungsfälle sind denkbar vielfältig. Der Roboterhund kann laut einer Erläuterung des Unternehmens zum Beispiel für die Umgebungs-Überwachung (Perimeterschutz) eingesetzt werden, da er das Gelände und die Gebäudeumgebung selbstständig patrouillieren kann. Bei Sicherheitsüberschreitungen löst er sofort Alarm aus und informiert die Sicherheitszentrale. Zusätzlich kann der Roboterhund im Bereich der Datendokumentation eingesetzt werden, indem er Anlagendaten von verschiedenen Sensoren abliest und diese direkt in einen digitalen Zwilling - eine im Computer gespeicherte exakte Kopie eines realen Gebäudes - hochlädt.
Roboter-Hunde sollen Gaslecks entdecken können
So könne eine aktuelle und präzise Abbildung der physischen Umgebung gewährleistet werden. Durch regelmäßige Rundgänge, zum Beispiel in einer Fabrik, erfasst der Roboterhund die Umgebung erneut und aktualisiert somit den digitalen Zwilling kontinuierlich mit visuellen Daten. Ausgestattet mit Sensoren sollen die Robo-Spürnasen auch potenzielle Gaslecks erkennen und umgehend melden können. Denkbar sind auch Einsätze bei Havarien.
Um sich dann in einer fremden Umgebung eigenständig orientieren zu können, müssen die je nach Größe martialisch oder gar ein wenig putzig aussehenden „Elektro-Tierchen“ Einiges lernen. Dazu sollen sie mit leistungsstarken Minicomputern ausgestattet werden. Sie bekommen quasi ein zusätzliches externes Gehirn.
„Sensible Daten bleibenauf den Rechnern des Endkunden“
Ein wichtiger Aspekt für Unternehmen, die diese chinesischen Wachhunde mit in Deutschland entwickelter Intelligenz einsetzen wollen: „Sensible Daten bleiben alle vor Ort auf den Rechnern des Endkunden“, erläutert Adrian Merkel, Vorstandsvorsitzender der speedikon FM AG: Die Roboterhunde haben keine Schnittstelle nach außen.“ Schließlich können bei den künftigen autonomen Rundgängen der mechanischen Helfer beispielsweise auch Videoaufnahmen aus geschützten Firmenbereichen entstehen. Bei ähnlichen Roboter-Entwicklungen in den USA müsse zumeist auch die Software-Plattform des jeweiligen Herstellers genutzt werden. So manchem potenziellen Kunden sei da das Risiko zu hoch, dass erfasste Daten, Ton- und Bildmitschnitte oder auch Informationen zur räumlichen Aufteilung eines Firmengebäudes in die Cloud oder auf externe Rechner hochgeladen werden.
Über das Unternehmen
Die speedikon FM AG mit Sitz in Bensheim ist ein Softwarehaus, das sich auf die Digitalisierung der technischen/kaufmännischen Prozesse in Gebäuden, Rechenzentren und Industrieanlagen spezialisiert hat.
Dazu bietet das Unternehmen seit 1997 neben Produkten und Technologien zahlreiche Dienstleistungen an, die Kunden in die Lage versetzen sollen, ihre Geschäftsprozesse intelligenter zu machen.
Die Firmengruppe besteht aus dem Softwarehersteller speedikon FM AG, der Beratungs- und Technologiefirma Innomatik AG, dem Hersteller fotorealistischer digitaler Zwillinge Framence GmbH und dem Softwarehaus für Energiedatenmanagement WiriTec GmbH. red
Damit die „Roboterhunde“ bereit sind für künftige Aufgabenstellungen, müssen sie jedoch zunächst einmal lernen, sich in fremden Umgebungen zu orientieren. „Dazu müssen sie wissen: Was ist eine Tür? Was ist ein Gang? Was ist eine Treppe?“, erklärt Adrian Merkel. Die mechanischen Wachhunde müssen erkennen, wo ihr Weg durch einen Gegenstand blockiert wird und wie sie das Hindernis im Zweifelsfall umgehen können. „Wir arbeiten daran, eine KI (Künstliche Intelligenz) zu entwickeln, die generalisieren kann“, erläutert der speedikon-Chef. Letztlich geht es darum, dass die Roboter auch Aufgaben bewältigen können, für die sie nicht direkt trainiert wurden. „Die Roboter lernen sozusagen, wie unsere Welt funktioniert“, sagt Adrian Merkel. Ohne vorherige Anlernphase soll sich der Roboterhund in für ihn neuen Umgebungen zurechtzufinden. Als Karte fungiert hierbei ein durch die Framence GmbH erstellter fotorealistischer digitaler Zwilling. Die Innomatik AG übernimmt die Programmierung, Bilderkennung, Steuerung und Integration der Künstlichen Intelligenz, die den Roboterhund befähigt, autonom zu handeln. Gleichzeitig bindet die speedikon FM AG diese Technologie in ihre C-Plattform ein - eine Lösung, die allen Softwareanwendungen der speedikon-Firmengruppe zugrunde liegt.
Zehn Mitarbeiter beschäftigen sich mit Zukunftsthemen
Adrian Merkel verweist auf den hohen Erfahrungswert der Bensheimer mit KI-Entwicklungen. Rund 100 Mitarbeiter beschäftigt die Unternehmensgruppe, einige am Unternehmenssitz am Berliner Ring, viele jedoch auch im Homeoffice und an verschiedenen Standorten in Europa, etwa in der Slowakei und in Rumänien. „Allein zehn Mitarbeiter beschäftigen sich ausschließlich mit Zukunftsinvestitionen“, sagt Alexandra Merkel von der zur Unternehmensgruppe zählenden Innomatik AG. „Für viele Bereiche haben wir aber bereits die entsprechende Basissoftware“, sagt Peter Merkel. Und so gehen die Bensheimer davon aus, dass die Programmierung in spätestens einem halben Jahr bereits soweit fortgeschritten sein wird, dass man die Roboterhunde sinnvoll wird einsetzen können. „Aber natürlich ist man mit der Softwareentwicklung nie richtig fertig“, betont Adrian Merkel.
Halb so schnell wie Usain Bolt und 60 Kilo schwer
Mit einem Gewicht von 60 Kilo ist das große Exemplar der beiden von der speedikon FM AG erworbenen Roboterhunde durchaus respekteinflößend. Das etwas martialische Aussehen ist auch der Technik geschuldet. Mit einer Maximal-Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde ist er auch durchaus flott unterwegs. Zum Vergleich: Sprint-Star Usain Bolt rannte bei seinem Weltrekord 12,5 Meter pro Sekunde. Mit einem Sprung überwindet der vierbeinige Roboter immerhin 1,6 Meter. Der deutlich kleinere, 20 Kilo schwere Metall-Hund erreicht immer noch ein Tempo von vier Metern pro Sekunde.
Auch, wenn die Roboter so programmiert sind, dass sie immer automatisch Abstand zu Hindernissen, also auch zu Menschen halten, wird das Thema Sicherheit ein wichtiger Aspekt sein, wenn man die „Hunde“ tatsächlich von der Funk-Leine lässt. „In Bereichen, in denen sich auch Menschen befinden, werden sich die Roboter bemerkbar machen müssen“, sagt Adrian Merkel. Man werde Sicherheitsvorkehrungen wie eine Notfallabschaltung einbauen, ergänzt Peter Merkel. Sinnvoll sei dabei ein Sprachbefehl. Wer hingegen warten möchte, bis sich das Gerät von selbst abschaltet, braucht Geduld. Für vier bis sechs Stunden Laufzeit liefert die Batterie des großen Hundes Strom – je nach Anwendung. Frost und Hitze unserer Breitengrade können ihm wenig anhaben. Von -20 bis 55 Grad Celsius reicht die Temperaturspanne, bei denen der Roboterhund nicht schlappmacht.
Das große Exemplar kann Höhenunterschiede von 40 Zentimetern und Steigungen von 45 Grad bewältigen. Auch Treppen sind für ihn kein Problem.
Während Menschen die mechanischen Vierbeiner sofort mit Hunden assoziieren, erkennen lebende „Wauzis“ in ihnen keine Artgenossen, konnten Mitarbeiter des Unternehmens bereits feststellen.
Der chinesische Hersteller arbeite aber bereits auch an menschenähnlichen Robotern, weiß speedikon-Chef Adrian Merkel. Bis diese jedoch praxistauglich sind, werde es noch einige Jahre dauern. kel
Dann gehe es darum, mit potenziellen Nutzern ins Gespräch zu kommen. „Wir verfügen weltweit über einen großen Kundenstamm“, sagt Peter Merkel. Unter anderem mit Workshops und Messepräsentationen werde man auf die Fähigkeiten der „Vierbeiner“ aufmerksam machen. „Das ist natürlich noch eine Nische“, sagt Adrian Merkel. Im Zusammenwirken mit den Kunden wolle man jedoch auch lernen, wie man diese am besten nutzen kann.
Eine Kiste Bier ist für die Roboterhunde kein Hindernis
Preislich bewegen sich die Roboterhunde seiner Einschätzung nach mittlerweile auf einem für viele Unternehmen bezahlbaren Niveau. Für rund 10 000 Euro sei das kleine Exemplar aus chinesischer Herstellung zu erwerben. Das deutlich stabilere große Exemplar koste an die 70 000 Euro. Hinzu kommen dann noch zusätzliche Ausgaben für die Ausstattung mit Rechnern, Kameras und Sensoren sowie natürlich für die KI-Software.
Nicht als Zusatzausstattung vorgesehen ist hingegen eine Kiste Bier. Die könnte der große der beiden Vierbeiner nämlich ohne Probleme bei einer Wanderung transportieren, nennt Peter Merkel scherzhaft eine mögliche weitere Anwendung für die Roboterhunde.
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